"Wiedereröffnen oder sterben", titelt La Dernière Heure. "Die Tür der Geschäfte steht vielleicht doch wieder einen Spalt offen", schreibt De Morgen.
Am Freitag kommt erneut der Konzertierungsausschuss zusammen, um über die Corona-Lage zu beraten. Die Vertreter aller Regierungen des Landes müssen dabei auch entscheiden, ob es bei der derzeitigen Marschrichtung bleibt, oder ob doch erste Lockerungen vorgenommen werden.
Diese Option liegt anscheinend tatsächlich auf dem Tisch. "Keine gute Idee!", sagen aber bekannte Mediziner auf Seite eins von Het Laatste Nieuws: "Lockerungen für die Endjahresfesttage: Tut das nicht", so der Appell mehrerer Krankenhaus-Ärzte. Die Schlagzeile des Grenzechos liest sich wie ein Fazit: "Das Dilemma mit der Volksgesundheit", schreibt das Blatt.
Ein Stufenplan und eine Perspektive
Der Druck, der auf dem Konzertierungsausschuss lastet, ist umso größer, als Frankreich jetzt erste Corona-Maßnahmen lockern will. "Macron will in drei Etappen lockern", titelt Le Soir. "In Frankreich dürfen die Geschäfte wieder öffnen. Und was ist mit Belgien?", fragt sich La Libre Belgique. Denn der frankophone Landesteil ist ja sehr beeinflusst davon, was in Frankreich passiert.
"Viele in Belgien werden dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron am Mittwochabend andächtig zugehört haben", meint Le Soir in seinem Leitartikel. Und was haben wir erfahren? Dass die Rückkehr zur Normalität noch nicht in Sicht ist, dass allein die Zahlen bestimmen, ob gelockert werden kann, und dass eine dritte Krankheitswelle unbedingt vermieden werden muss.
Macron hat aber einen Stufenplan vorgestellt. Um die Inkraftsetzung der nächsten Stufe zu ermöglichen, müssen erst die Zahlen stimmen. Das kann grausam sein, eben dann, wenn man die nächste Stufe nicht erreicht. Das gibt den Menschen jedoch wenigstens eine Perspektive. Unsere Regierungen sollten sich daran inspirieren.
Das Grenzecho sieht das ähnlich. Der Konzertierungsausschuss steht vor einem Dilemma. Auf der einen Seite ist das Infektionsgeschehen eindeutig rückläufig, auf der anderen Seite wächst bei den Bürgern die Corona-Müdigkeit. In den Krankenhäusern kann zudem trotz sinkender Zahlen von Entspannung keine Rede sein. Dennoch ist es eine vornehmliche Aufgabe der Politik, den Menschen Perspektiven zu geben. Auf die Gefahr hin, dass viele Bürger den letzten Rest Vertrauen in ihre Führung verlieren. Und ohne eine konsequente Unterstützung durch die Bevölkerung wird jede Virus-Eindämmungsstrategie scheitern.
Corona-Deal in Quebec – Ein Vorbild?
Vielleicht sollten wir uns am kanadischen Modell inspirieren, meint La Dernière Heure. Im Moment gibt uns die Regierung nicht den Hauch einer Perspektive. Die Moral ist im Keller, die der Bürger und vor allem die der Geschäftsleute. Natürlich ist weiter Vorsicht geboten; die Pandemie ist schließlich noch nicht besiegt.
Dennoch: Wie wäre es mit einer winzigen Prise Menschlichkeit? Dass das geht, das zeigt die kanadische Provinz Quebec. Dort sind die Zahlen vergleichbar mit denen in Belgien. Und doch haben die Behörden mit ihren Bürgern einen Deal geschlossen: Größere Zusammenkünfte zu Weihnachten sind erlaubt - mit bis zu zehn Personen an einem Tisch.
Im Gegenzug verpflichten sich die Bürger, in der Woche vor und in der Woche nach dem Fest ihre Kontakte einzuschränken. Die Belgier wären doch bestimmt auch zu so viel Disziplin und Verantwortungsbewusstsein imstande. Was wollen wir wetten?
Wer A sagt, muss auch B sagen
Viele flämische Zeitungen beschäftigen sich mit der Aufwertung der Pflegeberufe in Flandern. Die flämische Regierung hat mit den Sozialpartnern ein entsprechendes Abkommen ausgehandelt. Das Gesamtbudget wird deutlich erhöht.
"Stolz wie Oskar waren sie gestern", frotzelt Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Ministerpräsident Jan Jambon und Gesundheitsminister Wouter Beke haben sich demonstrativ und selbstherrlich auf die Brust geklopft. Nach den Irrungen und Wirrungen in der Corona-Krise brauchte die Regierung diesen Erfolg, wenn es eigentlich auch nur ein Erfölgchen ist. Frage ist allerdings, wo das Geld herkommen soll.
De Tijd stellt sich dieselbe Frage. Die Entscheidung an sich, also die Aufwertung der Pflegeberufe, das ist unumstritten. Nur hat das Ganze auch finanzielle Konsequenzen. Selbst die Opposition hat dazu geschwiegen. Die Regierung hat A gesagt, zeigt sich großzügig für den Pflegesektor. Jetzt muss sie auch B sagen und erklären, wo sie das Geld hernehmen will.
"Jede Euphorie ist fehl am Platz"
"Mit Geld allein kommt man nicht weit", warnt ihrerseits Gazet van Antwerpen. Klar ist, dass die Aufwertung der Pflegeberufe keine Sekunde zu früh kommt. Laut Amnesty International wurde in den Wohn- und Pflegezentren in diesem Land während der Corona-Krise gegen die Menschenrechte verstoßen.
Und, noch schlimmer: Stellenweise passiert das immer noch. Jetzt wird der Pflegeberuf attraktiver, wird man also endlich mehr Personal einstellen können. Doch braucht man vor allem eine klare Vision. Am allerschlimmsten wäre es, wenn das Geld schlecht eingesetzt würde und sich am Ende nichts ändert.
Jede Euphorie ist fehl am Platz, meint auch Het Nieuwsblad. Zunächst mal wegen des allgemeinen Kontextes. Mitten in der zweiten, desaströsen Welle ist wohl nicht der richtige Zeitpunkt für Freudentänze. Darüber hinaus kommt das Ganze reichlich spät.
In vielen Wohn- und Pflegezentren ist die Lage wieder kritisch. Wäre das nicht zu vermeiden gewesen? Davon abgesehen hat die Corona-Krise nur Probleme offengelegt, die längst bekannt waren. Der ganze Sektor verdient es, dass nach diesem Moment der Selbstzufriedenheit weiter knallhart an einer wirklichen Zukunft für den Pflegesektor gearbeitet wird.
Startpunkt für ein anderes Leben?
"Hat die Corona-Krise unser Leben wirklich nachhaltig verändert?", fragt sich schließlich nachdenklich De Standaard. Vor einigen Monaten hieß es noch, dass diese Krise vielleicht zu einem allgemeinen Umdenken führen würde: zu einem "anderen" Leben.
Diese Aussicht hat sich leider weitgehend zerschlagen. Wir konsumieren weiter "auf Teufel komm' heraus." Die Post bricht unter der Menge der zu liefernden Päckchen fast zusammen. Es ist, als hätten wir jegliche Geduld verloren. Unsere Wünsche müssen, bitteschön, augenblicklich erfüllt werden.
Wir buchen selbst Reisen wider besseren Wissens. Ein Jahr ohne Skiurlaub wäre ja auch ein regelrechtes Drama. Und wir sind empört, wenn wir nicht – wenn die Reise doch abgesagt werden muss – unser Geld augenblicklich zurückbekommen. Nein, für viele war die Corona-Krise nicht der Startpunkt für ein anderes Leben...
Roger Pint