De Wevers Kompromiss
"De Wever bekommt von den Frankophonen ein glattes Non", titeln heute fast gleichlautend De Morgen und Het Belang van Limburg. L'Avenir spricht demgegenüber von einem "Kompromiss, der keiner war". De Standaard und Le Soir sehen die Brüsseler Rue de la Loi mehr denn je in einer Sackgasse. Gazet van Antwerpen stellt sich auf Seite 1 in Blockbuchstaben die Frage: "Und was jetzt?" Het Nieuwsblad und Het Laatste Nieuws haben darauf schon eine mögliche Antwort auf ihrer Titelseite: "Neuwahlen werfen ihr Schatten voraus".
N-VA-Chef Bart De Wever hat seine Vermittlungsmission abgeschlossen. Er legte den anderen sechs Parteien, die in den letzten Wochen und Monaten über eine neue Staatsreform verhandelt haben, einen Kompromissvorschlag vor. Der sieht eine vollständige Neuordnung des belgischen Staatsgefüges vor. Die Reaktion der Frankophonen ließ nicht lange auf sich warten. PS, cdH und Ecolo fegten die Note als unausgewogen, parteiisch, gar provokativ vom Tisch.
Staatsmännisch oder unaufrichtig?
So tief die Kluft zwischen Flamen und Frankophonen, so unterschiedlich auch die Lesarten in der flämischen Presse einerseits und in der frankophonen auf der anderen Seite.
Gazet van Antwerpen etwa bescheinigt Bart De Wever staatsmännisches Verhalten: Im Gegensatz zu Elio Di Rupo habe De Wever immerhin zum ersten Mal einen Kompromissvorschlag ausformuliert. De Wever ist dabei sehr weit gegangen, hat aber allen Parteien weh getan und zugleich die Forderungen aller irgendwie berücksichtigt. Die Frankophonen haben jedoch nicht einmal ihre jeweiligen Vorstandsitzungen heute abgewartet, um den Kompromiss vom Tisch zu fegen. Zumindest eins ist klar: Die Sieben-ParteienFormel ist nun definitiv tot.
Für La Dernière Heure hat Bart De Wever nie ernsthaft auf einen Konsens hingearbeitet. Sein Auftrag lautete, den Klärungsbedarf auszuräumen. Das war nie seine Absicht. Vielmehr wollte er auf der flämischen Bühne punkten. De Wever hat einen Text vorgelegt, der fast schon einem flämischen Manifest gleichkommt. Seine Note dürfte zum Maßstab werden für alle künftigen flämischen Unterhändler. Für die Frankophonen heißt das: Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder das Ende des Landes oder ein Tal der Tränen.
Manipulation?
Auch L'Avenir kritisiert mit scharfen Worten die Vorgehensweise des N-VA-Chefs. De Wever hat allenfalls einen Kompromiss mit seiner eigenen Partei geschlossen. Selbst mit einer Lupe haben die Frankophonen in der Note Zugeständnisse an ihre Adresse nicht finden können. Sein Ziel war einzig, die Frankophonen für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich zu machen. Nach dem Motto: Man macht dem Opfer auch noch Schuldgefühle. Das ist fast schon pervers, meint L'Avenir.
La Libre Belgique spricht von einem "Scheitern auf der ganzen Linie". De Wever hat seinen Auftrag wissentlich falsch verstanden. Es war nicht seine Aufgabe, den Regierungsbildner zu spielen und einen Kompromisstext vorzulegen. Er sollte den Klärungsbedarf ausräumen und die Parteien wieder an den Verhandlungstisch bringen. Stattdessen präsentiert er einen parteiischen und unausgewogenen Vorschlag. Sein Ziel: Er will beweisen, dass im Rahmen des belgischen Föderalstaats keine Einigung mehr möglich ist.
De Wever bietet auch etwas an
Die flämische Presse sieht das ganz anders.
De Wever darf nicht als unredlich betrachtet werden, meint etwa De Morgen. Er hat durchaus Wasser in seinen Wein gegossen. Zum Beispiel ist er bereit, für die Spaltung des Wahlbezirks Brüssel-Halle-Vilvoorde einen Preis zu zahlen. Auch bleibt die Solidarität zwischen den Landesteilen unangetastet. Wer diesen Kompromiss als unausgeglichen und unaufrichtig abschießt, der spielt mit dem Feuer. Zumindest sollte die Note als Verhandlungsgrundlage dienen können.
Het Nieuwsblad sieht das ähnlich. De Wever verzichtet ganz offensichtlich auf einige Kernforderungen aus seinem Programm und brüskiert damit womöglich auch einen Teil seiner radikalen Basis. Er ist also durchaus zu Kompromissen in der Lage. Wenn die Frankophonen postwendend den Vorschlag verwerfen, dann ist das dumm, sehr dumm. Statt das Gesprächsangebot De Wevers anzunehmen, riskieren die Frankophonen jetzt eine weitere Radikalisierung.
Verdächtig hastige Ablehnung durch die Frankophonen
Für Het Belang van Limburg ist die schnelle Reaktion der Frankophonen verdächtig. Die De Wever-Note umfasst mehr als fünfzig Seiten. Der Inhalt ist zum Teil hoch technisch. Die Frankophonen können offensichtlich sehr schnell lesen und noch schneller analysieren, meinte auch schon CD&V-Chef Wouter Beke. Fazit: De Wever hätte sich die Mühe sparen können; die Frankophonen sagen ohnehin Non.
Auch für Het Laatste Nieuws stand die Antwort der Frankophonen von vornherein fest. Hier ging es gar nicht um den Inhalt, hier ging es um die Person. Elio Di Rupo war gescheitert, also musste auch De Wever baden gehen. Di Rupo hat De Wever den Erfolg nicht gegönnt. Doch könnten die Frankophonen ihre arrogante Haltung noch bedauern.
Le Soir und De Standaard schließlich haben zwar auch unterschiedliche Lesarten, kommen aber zu demselben Schluss: Die Kluft zwischen Flamen und Frankophonen ist abgrundtief. Neuwahlen würden die Situation nur noch aussichtsloser machen. Doch scheint es derzeit nicht mehr sehr viele andere Optionen zu geben. Anders gesagt, das Land steckt in einer absoluten Sackgasse, was bleibt ist das Chaos.
Bild:belga