"Willkommen im Wilden Westen", titelt Het Laatste Nieuws. "Finish für die Demokratie", so die doppeldeutige Überschrift bei Le Soir. "Stellt Trump Biden ein juristisches Bein?", fragt das GrenzEcho auf Seite eins.
Die nach wie vor offene Präsidentschaftswahl in den USA ist das allesbeherrschende Thema, auch in den Leitartikeln. Amtsinhaber Trump hatte sich ja kurzerhand selbst vor Auszählung aller Stimmen zum Sieger ausgerufen und seine demokratischen Herausforderer des Wahlbetrugs beschuldigt.
Die Waffen, mit denen Joe Biden und Donald Trump um den Wahlsieg kämpfen, könnten nicht unterschiedlicher sein, analysiert De Standaard. Biden ruft seine Anhänger zur Geduld auf und verspricht ihnen, dass letztlich alles in Ordnung kommen wird. Trump hingegen lässt keinen Zweifel daran, dass er sich mit allen Mitteln an die Macht klammern wird. Nach seinen substanzlosen Vorwürfen des Wahlbetrugs wurden seine Anhänger noch am gleichen Tag von seinem Wahlkampfteam aufgefordert, im Falle eines Siegs Bidens dagegen zu kämpfen. Damit hat Trump für eine gehörige zusätzliche Dosis Spannung in einer ohnehin bereits extrem sensitiven Situation gesorgt. In beiden politischen Lagern halten jeweils 60 Prozent den Gegenkandidaten für eine Bedrohung für die USA. Einer von fünf Amerikanern hält sogar Gewalt für gerechtfertigt, falls die Gegenseite gewinnen sollte. Ein Amtsinhaber, der sich an der Macht festkrallt und seine Anhänger dazu aufruft, sich demokratischen Prozessen zu widersetzen – das kannten wir bisher nur aus den Straßen von Kinshasa, Abidjan und Caracas. Wer hätte je gedacht, dass ein solches Szenario auch in Washington DC möglich sein würde?
"Offensichtlicher und schamloser versuchter Staatsstreich"
Selten war ein versuchter Staatsstreich in einem demokratischen Land so offensichtlich und schamlos wie gestern bei Trump, wettert Het Belang van Limburg. Seine Rede sucht in ihrer Unverantwortlichkeit in der jüngeren Geschichte ihresgleichen. Und die Gründerväter der USA drehen sich in ihren Gräbern um. Trumps Anhänger, darunter die schwer bewaffneten Milizen, werden im Falle eines Siegs Bidens diese Rede als Rechtfertigung aufgreifen. Die zahlreichen Agitatoren im Radio, Fernsehen und in den Sozialen Medien haben der Wählerschaft Trumps eine entsprechende Gehirnwäsche verpasst. Die Frage ist jetzt, ob das demokratische System gegen den populistischen Ansturm bestehen kann. Wir können nur die Daumen drücken. Und uns ins Gedächtnis rufen, wie zerbrechlich die Demokratie, die wir in Europa für selbstverständlich halten, in Wirklichkeit ist.
Das Verhalten Trumps ist eines demokratischen Politikers unwürdig, giftet De Morgen. Und war vollkommen vorhersehbar. Selbst wenn Biden die Wahl gewinnt, ist das Land damit noch nicht gerettet. Angesichts der explosiven Lage, der allgegenwärtigen Waffen und der Geschichte blutiger Massenausschreitungen spielt Trump hier mit den Streichhölzern in der Pulverkammer. Und er hat gezeigt, dass er vor allem den angeknacksten Stolz vieler weißer Amerikaner, die einen Hang zu autoritären Führern haben, bedienen kann.
Für Het Nieuwsblad ist Trump ein Pyromane mit einer Fackel in einem Feuerwerksgeschäft. Niemand braucht jetzt noch Illusionen zu hegen, dass er vor irgendetwas zurückschrecken wird, um an der Macht zu bleiben. Und etwas anderes ist auch deutlich geworden: Vier Jahre nach der Schockwahl Trumps haben die Demokraten und auch die gemäßigten Republikaner noch immer keine Antwort auf das Phänomen Trump.
"Ein unauslöschbarer Schandfleck"
Het Laatste Nieuws sieht vor allem Chaos und Spaltung nach der Wahlnacht. Zu verdanken hat man das dem Präsidenten, der Zwietracht zu seiner Marke gemacht hat. Und einem klapprigen Wahlsystem. Und auch wenn viele Amerikaner aus wirtschaftlichen Gründen wieder für ihn gestimmt haben mögen, die Art und Weise, wie er die vergangenen Jahre das Misstrauen zwischen den Bürgern geschürt hat, wird immer ein unauslöschbarer Schandfleck bleiben. Und ganz in dieser Tradition hat Trump aus einem demokratischen Festtag einen Albtraum gemacht.
Die Hälfte der Amerikaner hat den Mann wiedergewählt, der für Lügen, Misogynie und Rassismus steht, der seinen Anhängern empfohlen hat, Bleichmittel gegen das Coronavirus zu trinken und der seine Tage damit verbringt, Fox News zu schauen und dabei zu twittern, hält Le Soir fest. Und selbst wenn Trump die Wahl nicht gewinnen sollte, werden seine Anhänger das Land, Biden und die Demokraten weiter heimsuchen. Der Erfolg Trumps zeigt: Populistische Reden und Führer haben ihre besten Tage noch nicht hinter sich.
Das schlimmste vorstellbare Szenario ist eingetreten, stöhnt La Libre Belgique. Und es könnte lange dauern, bis dieser Konflikt gelöst ist. Man kann aber schon jetzt festhalten, warum Trump erneut ein solcher Erfolg gelungen ist. Seine Basis ist von seiner Arbeit zufriedengestellt genug, um ihn weiter zu unterstützen. Seine Lügen und Halbwahrheiten haben gewirkt, beispielsweise in Florida, wo er die Latinos überzeugen konnte, dass Biden vorhabe, das Land in ein zweites Kuba zu verwandeln. Außerdem hat Trump eine fast beispiellose Energie gezeigt bei seinem Wahlkampf. Und schließlich ist auch deutlich, dass sehr viele Amerikaner das Coronavirus nach wie vor nicht ernstnehmen und deswegen Trump auch nicht für sein Krisenmanagement abstrafen wollten.
"Öl ins schwelende Feuer"
Mit seiner rundheraus antidemokratischen Ansprache hat Trump dafür gesorgt, dass Gewalt auf den Straßen fast nicht mehr zu vermeiden sein wird, fürchtet Gazet van Antwerpen. Eine friedliche Abwicklung der Wahl ist so gut wie unmöglich geworden. Viele Experten haben genau dieses Verhalten Trumps vorhergesagt. Aber niemand hat es verhindern können. Den Vereinigten Staaten stehen schwierige Wochen bevor.
Trump hat mit seinem Vorwurf des Wahlbetrugs reichlich Öl ins schwelende Feuer gegossen und möglicherweise seinen Trupps damit das Fanal gegeben, den Wahlsieg mit Gewalt zu erzwingen, meint das GrenzEcho. Die Hoffnung ruht jetzt auf den noch nicht ausgezählten Wählerstimmen, der Unabhängigkeit der US-Gerichte und der Vernunft führender Republikaner. Die Hoffnung, weiß der Volksmund, stirbt bekanntlich zuletzt. Hoffentlich überlebt sie diesmal.
Boris Schmidt