"Terror in Österreich: Mehrere Täter, mehrere Verletzte, womöglich mehrere Tote", schreibt De Standaard auf Seite eins. "Mehrere Schüsse, mehrere Tote", titelt auch De Morgen. Einige Zeitungen haben versucht, den Terroranschlag von Wien vom Abend noch auf die Titelseite zu bringen. Viele übernehmen die Formulierungen der österreichischen Behörden. Denn bei Redaktionsschluss war die Informationslage noch sehr diffus. "Terroristen schlagen an der Synagoge in Wien zu", schreibt Het Nieuwsblad. "Sechs Schießereien in der Nähe einer Synagoge", präzisiert Het Laatste Nieuws.
USA – "Die Stunde der Wahl"
Das große Thema sind aber die Präsidentschaftswahlen in den USA. "In den USA schlägt die Stunde der Wahl", titelt Le Soir. "Die USA stehen vor einer historischen Wahl", schreibt das GrenzEcho. "Die USA in der Krise fällen ihr Urteil über Trump", so die Schlagzeile von De Tijd. "Amerika steht unter Hochspannung", notieren De Standaard und L'Avenir. "Amerika ist konfrontiert mit dem Virus der Spaltung", so formuliert es L'Echo.
Die Wahl wird wohl, wie so oft, in den sogenannten Swing-States entschieden. Das sind die Bundesstaaten, die nicht traditionell von vornherein für ein Lager stimmen, wo die Wahl also offen ist. "Zehn Schlüsselstaaten werden das Duell 'Trump gegen Biden' entscheiden", so denn auch die Aufmachergeschichte von La Libre Belgique.
Umfragen sehen den demokratischen Herausforderer Joe Biden vorne, ziemlich eindeutig sogar. "Und doch ist Trump noch nicht ausgezählt", warnen Het Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen auf Seite eins. Nach wie vor kann man nichts wirklich ausschließen. Trump hat allerdings schon klargemacht, dass er eine mögliche Niederlage nicht akzeptieren wird. Gegebenenfalls will er das Wahlergebnis juristisch anfechten. De Morgen macht daraus seine Schlagzeile: "Die juristische Schlacht um das Weiße Haus hat begonnen".
"Einsatz: die Seele der Nation"
Aus wirklich allen Leitartikeln spricht aufrichtige Sorge. Der Einsatz ist enorm, die Wahlen sind von kapitaler Bedeutung, meint etwa La Libre Belgique. Das zeigt sich auch schon daran, dass bereits jetzt 95 Millionen Wähler ihre Stimme abgegeben haben, das entspricht zwei Dritteln der Gesamtwahlbeteiligung von vor vier Jahren. Zur Wahl stehen nicht nur zwei Politiker, sondern zwei grundsätzlich entgegengesetzte Weltbilder. Für den Zustand der amerikanischen Demokratie ist es bezeichnend, dass der 77-jährige Joe Biden, der noch dazu nicht wirklich über Charisma verfügt, der Hoffnungsträger ist, und damit quasi die Zukunft des Landes symbolisieren soll. Sollte am Ende doch Donald Trump gewinnen, dann bedeutet das hingegen, dass es genügend Amerikaner gibt, die es normal finden, dass eine Weltmacht von einem notorischen Lügner regiert wird, einem vulgären Narzissten, der über keinerlei Empathie verfügt. Joe Biden hat recht: Der Einsatz bei dieser Wahl, das ist die Seele der Nation. Es ist eine Nation, der schlimmstenfalls die Spaltung droht.
Es ist aber auch eine Nation in Angst, die heute ihren neuen Präsidenten wählt, analysiert Le Soir. Das Klima ist aufgeheizt. Kein Lager wird den Sieg des jeweiligen Gegners akzeptieren. Über der Wahl hängt der düstere Schatten von Gewalt. "Stand back, but stand by", hatte sich Donald Trump unverhohlen an rechtsextreme Milizen gewandt: "Haltet euch zurück, aber haltet euch bereit". Durch Amerika geistert schon das irrationale Schreckgespenst eines neuen Bürgerkriegs.
Großer Test für die amerikanische Demokratie ...
Ob das wirklich so "irrational" ist, das lässt De Morgen mal dahingestellt. Donald Trump hat seine Anhänger schon Slogans skandieren lassen wie "Twelve more years", "Zwölf weitere Jahre". Der Mann hat nicht vor, das Weiße Haus zu verlassen. Und den Amerikanern ist in den letzten vier Jahren aufgegangen, dass die Fundamente ihrer Institutionen doch nicht so stark waren, wie sie geglaubt haben. Simulationen haben gezeigt, dass die wahrscheinlichsten Szenarien allesamt auf Chaos und Unregierbarkeit hinauslaufen, schlimmstenfalls Gewalt. So vergiftet wie jetzt war das Klima nicht mehr seit 1860, der letzten Wahl vor dem blutigen Bürgerkrieg.
Es ist ein großer Test für die amerikanische Demokratie, meint auch L'Echo. Die mit Abstand größte Gefahr geht von Amtsinhaber Donald Trump aus. Der Mann, der versprochen hatte, dem Land seine einstige Größe zurückzugeben, er hat sich in seiner Amtsführung als ganz klein erwiesen, hat vor allem die Funktion entehrt. Und jetzt stellt er auch noch das Wahlsystem infrage, sät Zweifel, spricht ohne Beweise von Wahlbetrug. Es waren die USA, die vielen Staaten der Welt manchmal nachdrücklich Lektionen in Sachen Demokratie erteilt haben. Jetzt wären sie gut beraten, diese Ratschläge selbst umzusetzen.
… gar für die Welt?
"Die Vorzeigedemokratie USA, das war einmal", meint auch das GrenzEcho. In einigen Bundesstaaten wurden den Bürgern unzählige Steine in den Weg gelegt, um sie möglichst von der Stimmabgabe abzuhalten. Und nach der Wahl droht die Nicht-Anerkennung der Ergebnisse durch den unterlegenen Kandidaten. Beobachter hoffen denn auch auf einen deutlichen Wahlausgang. Viele in Europa wünschen sich einen Sieg von Joe Biden, allzu siegessicher darf man aber nicht sein.
Allein diese Feststellung ist auch schon ein bizarres Phänomen, meint De Standaard. Dass nach vier Jahren eines beschämenden politischen Verfalls die Wiederwahl von Trump noch immer nicht ausgeschlossen werden kann, spricht Bände. Die Polarisierung innerhalb der amerikanischen Gesellschaft hat einen Höhepunkt erreicht. Trump war kein Betriebsunfall der Geschichte, er ist Sinnbild dieses Problems. Und zu glauben, ein Präsident Biden könne diese Risse kitten, das ist Tagträumerei. Wenn die Amerikaner nicht mehr zusammenfinden können, dann ist das Ansehen der Demokratie in der Welt in großer Gefahr.
Vor vier Jahren konnte man Trump vielleicht noch als ein interessantes Experiment betrachten - das gilt jetzt aber nicht mehr, ist Het Nieuwsblad überzeugt. Der Mann hat alles getan, um die demokratische Legitimität zu torpedieren. In Ermangelung wirklicher Erfolge versucht er jetzt die Wahl zu sabotieren, Zweifel zu säen. Was würden noch weitere vier Jahre Trump bringen? Vor allem noch mehr an flagranter Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien. Demokratie lebt davon, dass alle die Spielregeln einhalten, die Institutionen, Grundprinzipien und Normen respektieren. Und alledem hat Trump den Krieg erklärt. Weltweit sind autoritäre Regime auf dem Vormarsch, sie fordern die liberale Weltordnung heraus. Der Ausgang ist noch ungewiss. Doch wird dieser Kampf noch schwieriger, wenn im Weißen Haus ein Mann sitzt, der die Grundprinzipien einer liberalen Demokratie nicht begreift, nicht respektiert und damit auch nicht verteidigt.
Roger Pint