"Das letzte Abendmahl (vorläufig zumindest)", schreibt De Morgen über einem Bild mit Menschen, die sich in einem Restaurant zuprosten. "Gastronomen fühlen sich zu Unrecht am Pranger", titelt das GrenzEcho. "Horeca – zwischen Wut und Resignation", so die Überschrift bei La Libre Belgique.
Viele Zeitungen greifen in ihren Leitartikeln die landesweite Schließung von Cafés, Kneipen und Restaurants auf. Diese verschärfte Maßnahme gegen die Ausbreitung des Coronavirus war am Freitag beschlossen worden und gilt seit Mitternacht.
Notwendige Klarheit
Zu glauben, dass wir die zweite Welle meistern würden, ohne auf tiefgreifende Maßnahmen zurückgreifen zu müssen, war eine Utopie, kommentiert La Dernière Heure. Man kann den Zorn der Restaurantbetreiber verstehen, aber man muss der Wirklichkeit der Zahlen ins Auge blicken. Die zweite Welle droht noch schlimmer zu werden als die erste.
Und wenn die Kurven nicht schnell wieder in eine gute Richtung gehen, werden nicht nur Bars und Restaurants die Rollläden unten lassen müssen. Jetzt sind wir in einem Semi-Lockdown. Wenn sich in den nächsten Tagen nichts ändert, zeichnet sich ein echter Lockdown ab. Und eine Katastrophe in den Krankenhäusern, wo das Wasser dem Personal schon jetzt bis zum Hals steht.
Die Horeca-Schließungen scheinen ungerecht, aber wer eine bessere Idee mit vergleichbarer Wirkung und geringeren wirtschaftlichen Kosten hat, der soll die Hand heben, schreibt De Standaard. Die Gleichbehandlung von Restaurants und Cafés ist notwendig.
Der vorherige Beschluss suggerierte, dass man zwischen ihnen einfach unterscheiden kann. Das Gegenteil ist der Fall. Dadurch war die alte Maßnahme, was die Umsetzung betraf, alles andere als wasserdicht. Oder wie der flämische Ministerpräsident Jan Jambon es formulierte: "Jedes Café, das ein paar Partysnacks in die Fritteuse wirft, nennt sich jetzt Restaurant." Die neue Regelung bringt Klarheit.
Mangel an nationalen Daten
Wenn die Regierung De Croo den sozialen Frieden im Sektor bewahren und juristische Nachspiele vermeiden will, muss sie jetzt liefern, meint La Libre Belgique. Erstens die entsprechenden Gesetzestexte, zweitens Zahlen und Daten aus Belgien. Das ist ihre moralische Pflicht. So drastische Maßnahmen unter Berufung auf Beispiele aus dem Ausland zu treffen, impliziert Beiläufigkeit.
Und schließlich muss die Politik die Verhältnismäßigkeit der Regeln beweisen. Wenn in zwei oder drei Wochen die Gesundheitslage nicht besser geworden ist, müssen Maßnahmen für andere Sektoren, in denen es zu vielen Kontakten kommt, getroffen werden. Ansonsten wird der Eindruck entstehen, dass mit zweierlei Maß gemessen wird.
Die Schließung fühlt sich so bitter an, weil vorläufig nicht mit Zahlen belegt werden kann, welche Rolle der Horeca-Sektor bei der Verbreitung des Virus genau spielt, findet auch Het Belang van Limburg. Mit besseren Untersuchungen hätte die Diskussion entschärft werden können, aber die entsprechenden Daten fehlen eben. Und jetzt ist die Lage so schlecht, dass schlicht keine Zeit mehr ist für solche Studien.
Deswegen scheint es, genau wie im März, als ob wir mit verbundenen Augen mit einem Schwert um uns schlagen, ohne zu wissen, was wir eigentlich treffen wollen. Bei einer dritten Welle muss das anders sein. Ansonsten muss man den Kurs wieder auf Basis von Intuition und ausländischen Erfahrungen festlegen.
Medizinisch betrachtet hat Belgien gelernt. Die Krankenhäuser wissen besser, wie sie Coronapatienten helfen können. Und die Alten- und Pflegeheime haben mehr Erfahrung und mehr Schutzmaterial, hält Het Laatste Nieuws fest.
Leider ist anderweitig zu wenig passiert. Es herrscht ein schreiender Mangel an Daten und Information. Das gilt nicht nur für die Rolle des Horeca-Sektors. Die mangelhafte Nutzung von Wissenschaft, Technologie und Daten beim Kampf gegen das Virus ist erschütternd. Nicht nur in Belgien.
Wenn man es nicht schafft, moderne Technologien wie Tracking, Schnelltests, Big Data, Distanzierungstechniken und soziale Medien zu nutzen, landet man unweigerlich bei Lockdowns und Semi-Lockdowns – mittelalterliche Werkzeuge mit Folgen wie im 18. Jahrhundert.
Keine öffentliche Uneinigkeit
Le Soir greift die Misstöne aus der Politik über die Horeca-Schließungen auf. Wir haben schon nicht allzu viele Gewissheiten für die Bürger. Und viele Menschen befolgen die Regeln schon jetzt nicht. Öffentliche Uneinigkeit zwischen Politikern, die für die Umsetzung der Maßnahmen verantwortlich sind, ist da so ziemlich das Letzte, was wir brauchen. Das betrifft zum Beispiel den liberalen Föderalminister David Clarinval, der sich ja um die Schließungen kümmern muss, die flämische N-VA-Tourismusministerin Zuhal Demir oder ihren Parteichef Bart De Wever.
Letzterer hat durch seine öffentliche Kritik dem flämischen N-VA-Ministerpräsidenten, der die Menschen eindringlich zur Befolgung der Regeln aufgefordert hat, sicher nicht geholfen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es absolut selbstmörderisch, sich öffentlich zu streiten über eine Strategie, die gemeinsam nach langen Diskussionen beschlossen und verkündet wurde.
Dieses Verhalten ist unkollegial, kritisiert auch Het Nieuwsblad. Und gefährlich. Die ohnehin brüchige gesellschaftliche Basis noch weiter zu untergraben, das tut jetzt gar nicht Not. Die Politiker müssen alles daransetzen, um dafür zu sorgen, dass sich alle an die Regeln halten. Und zwar über Provinz- und Parteigrenzen hinweg.
Es wird erwartet, dass sie Beschlüsse, die sie mitgetroffen haben, auch unterstützen, egal wie sauer es ihnen aufstößt. Die Gesundheitskrise ist schon scharf genug, auch ohne extra gemeinschaftspolitische Soße.
Boris Schmidt