"MR stellt Bouchez unter Aufsicht", schreibt Het Belang van Limburg auf Seite eins. "MR-Kapitän bekommt letzte Chance", so die Überschrift bei De Tijd. "Die MR wird geschwächt aus der Affäre Bouchez hervorgehen", titelt La Libre Belgique.
Die Führungskrise bei den frankophonen Liberalen rund um den umstrittenen Parteivorsitzenden Georges-Louis Bouchez scheint in einer nächtlichen Sitzung der MR-Abgeordneten entschärft worden zu sein. Für die Zeitungen kam diese Entwicklung aber zu spät. Auch wenn die groben Linien bereits absehbar waren.
Krise wird ihre Spuren hinterlassen
Nepotismus, Sexismus, Selbstdarstellung auf Twitter – das Verhalten Bouchez' letzten Donnerstag hatte alles, was man in der Politik nicht mehr sehen möchte, kommentiert L'Echo. Fasst man den Fokus breiter als Bouchez oder das Führungssystem der MR, unterstreicht diese unheilvolle Episode vor allem die Übermacht der Parteipräsidenten.
Es ist geradezu wahnsinnig, welchen Einfluss diese Menschen in unserem Land in Händen halten. Vielleicht werden wir Bouchez eines Tages danken müssen. Durch die Zügellosigkeit dieser ungesunden Parteienherrschaft und durch die Schnitzer des liberalen Vorsitzenden wird deutlich, dass die belgische Demokratie frischen Sauerstoff braucht. Vielleicht kann diese längst überfällige Debatte jetzt endlich beginnen.
Auch bei der neuen Regierung De Croo wird man aufatmen, wenn Bouchez auf die eine oder andere Art unter Aufsicht gestellt wird, glaubt Het Belang van Limburg. Dann wird er nämlich auch weniger Gelegenheiten bekommen, die Regierung von außen unter Feuer zu nehmen.
Weil das Letzte, was wir nach 500 Tagen Regierungsbildung brauchen, ein Kabinett ist, das sich gleich wieder in die Haare bekommt.
"Wenn wir gerade keine anderen Sorgen hätten, könnte man ja sagen: Das ist halt ein Hobby der MR, lassen wir sie ihren Spaß haben!", giftet La Libre Belgique. Aber die neue Regierung muss sich um die Pandemie und ihre Folgen kümmern.
Womit verbringt derweil die Crème de la Crème der frankophonen Liberalen ihre Tage, Nächte und Wochenenden? Mit der Bewältigung von Krisen, die durch das Ego und den Dilettantismus ihres Vorsitzenden verursacht wurden. Eines ist sicher: Die Krise wird ihre Spuren hinterlassen. Nicht nur bei der MR, sondern auch in der öffentlichen Meinung.
Wir brauchen eine Coronastrategie
Viele andere Leitartikler befassen sich mit der Coronakrise. Das Haus steht in Flammen, es muss etwas unternommen werden, greift Le Soir ein Zitat der Epidemiologin Erika Vlieghe auf, die auch Mitglied der Beratergremiums Celeval ist, das die Regierung berät. Und sie hat Recht! Verhalten und Maßnahmen müssen wieder angepasst werden, um die Ausbreitung des Virus zu bremsen. Die Frage ist nur wie.
Vlieghe hat eine neue Kommunikationskampagne gefordert, um die Menschen zu erreichen, die die Regeln nicht mehr befolgen. Die neue Regierung, der Premierminister und der Gesundheitsminister müssen dringendst eine Corona-Strategie entwickeln. Und sich an die Bevölkerung wenden, um sie zu überzeugen. Und sie sollten eines deutlich vor Augen haben: Es gibt meistens nur eine Chance auf einen ersten guten Eindruck.
Het Laatste Nieuws kommt ebenfalls auf Erika Vlieghe zurück beziehungsweise auf einen Ausdruck, den sie und vor ihr auch schon ihr Kollege Marc Van Ranst benutzt hat. Den von den "schwierig erreichbaren Gruppen". Für die Zeitungen ist das eine gefährliche Form politischer Korrektheit. Wie soll man bestimmte Gruppen erreichen, wenn man sie nicht mal beim Namen nennen darf? Es ist eine Tatsache, dass auffällig viele Patienten der zweiten Welle ausländische Wurzeln haben. Und es ist nachvollziehbar, warum die Experten bei ihrer Wortwahl so vorsichtig sind.
Sie haben Angst vor einer Stigmatisierung dieser Gemeinschaften. Dabei ist natürlich jeder Versuch, bestimmten Bevölkerungsgruppen die "Schuld" für das Wiederaufflammen der Epidemie in die Schuhe schieben zu wollen, Quatsch. Auch bei ihnen gibt es Menschen, die sich gewissenhaft an die Regeln halten – und eben auch welche, die das nicht tun. Um letztere zu erreichen, muss man die Kampagnen, Partner und Lösungen anpassen.
Aalster Schmierentheater
Seit Beginn der Epidemie hat man feststellen können, dass die weniger wohlhabenden Gebiete besonders vom Coronavirus getroffen wurden. Ein Phänomen, das man auch in Belgien beobachten kann, hält La Dernière Heure fest. Von den zehn ärmsten Gemeinden des Landes haben acht eine höhere Infektionsrate als der nationale Durchschnitt. Das kann man in Brüssel, in Antwerpen und auch in Lüttich beobachten.
Dafür gibt es bekannte Gründe: eine hohe Bevölkerungsdichte, schlechte Wohnumstände, Jobs mit einem hohen Ansteckungsrisiko. Außerdem sind es die Ärmsten, die die höchste Wahrscheinlichkeit haben, unter Krankheiten zu leiden, die eine Coronavirus-Infektion noch schwerer machen können. Hinzu kommen oft ein Mangel an Respekt für oder Unwissenheit über die Schutzmaßregeln. Die Wissenschaftler sagen immer, dass das Virus nicht zwischen Arm und Reich unterscheidet. Aber Armut ist ganz sicher ein Faktor, der alles noch schlimmer macht.
Het Nieuwsblad kritisiert die Äußerungen des N-VA-Bürgermeisters von Aalst, Christoph D'Haese. Der hatte angekündigt, keine weiteren Corona-Patienten aus überlasteten Brüsseler Krankenhäusern mehr in seiner Stadt zu wollen. Und das, obwohl es entsprechende Abmachungen und Pläne gibt. D'Haese ist das schlechteste Beispiel für Politiker, die Signale aussenden, die die so notwendige Solidarität untergraben.
Für ihn können Patienten, die Hilfe nötig haben, und auch das Gesundheitspersonal, das schon wieder auf dem Zahnfleisch geht, verrecken. Niemand kann und darf medizinische Solidarität in Frage stellen. Schon gar nicht Politiker. Es gibt keine "eigenen" oder Zweite-Klasse-Patienten, wenn sie dringend Hilfe brauchen. Nur noch "eigen volk" in den Krankenhausbetten zuzulassen, tiefer kann man nicht sinken.
SchB