"Vivaldivers", titelt Het Nieuwsblad über einem Foto der neuen Regierungsmannschaft von Premierminister Alexander De Croo. "Jung, weiblich und divers", so die Überschrift bei Gazet van Antwerpen. Für La Dernière Heure ist es ein "Innovatives Casting".
Gestern haben der Premier und sein Team den Eid abgelegt. Und am Nachmittag hat De Croo vor der Kammer die Regierungserklärung verlesen und um das Vertrauen gebeten.
Die Zusammenstellung der neuen Mannschaft ist in mehrfacher Hinsicht historisch, hält De Tijd fest. Sie besteht aus gleich vielen Männern wie Frauen. Und erstmals ist eine Transsexuelle auf einem Ministerposten. Sie zeugt außerdem von Mut: Noch nie gab es so viele Neulinge in einer Regierung. Die Frische, Diversität, der Mumm und die Seriosität können die Zutaten sein, die die Ambitionen des Premierministers wahr werden lassen können. Wenn die Chemie zwischen ihnen funktioniert, kann es ihnen gelingen, die Saga um die Regierungsbildung hinter sich zu lassen. Das Ganze hat aber natürlich auch eine Kehrseite: einen Mangel an Erfahrung.
Letzte Chance für die Demokraten?
Schon die Zusammenstellung der Regierung bedeutet einen Bruch mit der Vergangenheit, meint Het Belang van Limburg. Sie ist jünger, weiblicher, bunter und diverser als ihre Vorgänger. Mit einer Mischung aus Fachkenntnis und jugendlichem Enthusiasmus. Damit spiegelt die Equipe die Gesellschaft besser als je zuvor wider. Diese Regierung will eine konstruktivere und positivere Politik. Die Frage ist aber, wie das tatsächlich umgesetzt werden kann. Die sieben Parteien konstant miteinander zu versöhnen wird eine höllische Aufgabe für den Premierminister werden.
Die Vivaldi-Koalition wird das werden, was ihre Minister daraus machen, kommentiert Le Soir. Entweder ein Kabbelkabinett oder eine Koalition des Bruchs mit der Politik der vergangenen Jahre. Neben einem Wiederbelebungsplan braucht Belgien auch einen "Vertrauensplan". Nur so kann man die Verbindung zu den entfremdeten Bürgern reparieren. Und die Glaubwürdigkeit der Gewählten wiederherstellen. Vivaldi kann es sich nicht erlauben, zu versagen. Ansonsten werden Populismus, Politikverdrossenheit und Extremismus zunehmen. Das könnte die letzte Chance für die Demokraten und die Staatsmänner und -frauen Belgiens sein.
Erneuerung ist immer ein Glücksspiel
Wir können und wir wollen an diesen Bruch mit der Vergangenheit glauben, so L'Echo. Allerdings darf die Unerfahrenheit der neuen Regierung auf keinen Fall als Fassade oder Blende dienen für die allmächtigen Parteipräsidenten, die in der Vergangenheit allzu oft die Strippen in der belgischen Politik gezogen haben. Und der größte Feind dieser Koalition sind interne Streitigkeiten.
Wenn die Minister schwach sind, wird das ganze Team schwach sein. Gerade die unbekannteren Gesichter werden beweisen müssen, dass es ihnen zwar an Erfahrung mangeln mag, sie aber für ihre Kompetenzen ausgewählt worden sind. Hoffen wir, dass ihnen bewusst ist, dass Belgien neben der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Krise auch gerade eine seiner schlimmsten demokratischen Krisen durchlebt.
Erneuerung ist immer ein Glücksspiel, gibt Het Nieuwsblad zu bedenken. Und eine schöne Verpackung kann einen Mangel an Inhalt tarnen. In so kurzer Zeit kann man nicht einfach von gegenseitigem Misstrauen zu absoluter Kameraderie wechseln. Das Regierungsabkommen enthält viele Undeutlichkeiten. Dadurch kann die Stimmung schnell umschlagen. Und wenn die neuen Minister es nicht schaffen, sich von den "Parteikratien" zu lösen, die ihr politisches Leben bisher bestimmt haben, dann sind sie dem Untergang geweiht.
Die Corona-Krise und ihre Folgen dulden nicht, dass das politische Theater wie bisher weitergeht. Die Reihen zu schließen, die Streitereien und das Gegeneinander-Arbeiten hinter sich zu lassen, ist quasi eine Pflicht. Das ist eine Dynamik, die die Regierung einträchtig nutzen muss. So kann einer Katastrophe doch noch etwas Positives abgewonnen werden. Das neue Team bekommt eine Chance, um sich zu beweisen. Im normalen Leben gibt es oft eine zweite Chance, für die Politik gilt das nicht.
Anti-"anti-flämische" Strategie
La Libre Belgique stellt fest, dass die Verteilung der Portfolios zugunsten der flämischen Parteien erfolgt ist. Dadurch, dass so viele wichtige Ressorts Flamen anvertraut worden sind, wollen die Vivaldisten diejenigen in Flandern zum Schweigen bringen, die die Regierung als "anti-flämisch" bezeichnen. Und die behaupten, dass die zukünftigen politischen Maßnahmen von Frankophonen entschieden, aber von Flamen bezahlt werden. Diese Strategie der neuen Regierung macht also Sinn. In Flandern tobt nämlich schon ein diesbezüglicher Kommunikationskrieg.
Die Regierungserklärung ist verlesen, die Minister sind eingeschworen, die Glückwünsche verteilt und die Tränen getrocknet, fasst De Standaard zusammen. Und vielleicht ist ein großer Teil der Bevölkerung tatsächlich bereit, die Regierung De Croo nicht von vornherein für die 500 deprimierenden Tage Machtgerangel verantwortlich zu machen, sondern auf die 1.500 Tage zu setzen, die der neuen Regierung bleiben, um dem Land zu dienen. Der Erfolg oder das Scheitern dieser Koalition wird vom Projekt, der Fähigkeit, das notwendige Geld zu finden und vor allem von den Menschen am Steuerrad abhängen.
schb