"Alexander der Erste", titeln Gazet van Antwerpen und Het Belang van Limburg. Nach 494 Tagen ist der OpenVLD Spitzenpolitiker Alexander De Croo der neue Premierminister. Sein Foto prangt denn auch heute auf fast allen Titelseiten. L'Echo feuert ihn sogar persönlich an: "Go, De Croo", so die Schlagzeile auf Seite eins. "An die Arbeit!", fordert La Dernière Heure.
Andere sind einfach nur erleichtert: "Endlich eine neue Regierung", titelt etwa das GrenzEcho. "Nach 16 Monaten, jetzt, die Regierung De Croo I", notiert nüchtern La Libre Belgique. "Violett ist zurück", schreibt seinerseits Het Laatste Nieuws. Für das Blatt dominieren nämlich die Roten und die Blauen diese Regierung.
Einige Zeitungen reagieren derweil demonstrativ zurückhaltend: Diese Equipe hat "alles zu beweisen", titelt etwa Le Soir. "Im Zweifel einen Vertrauensbonus, aber die Zweifel sind groß", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. "Es liegt nun an uns, die Zweifler zu überzeugen", zitiert De Standaard den neuen Premierminister.
Die Namen aller Minister waren noch nicht bekannt. Eine Personalie sticht aber hervor, steht auch auf der Titelseite von De Morgen: "Die SP.A holt Frank Vandenbroucke wieder an Bord". Der sozialistische Altmeister Frank Vandenbroucke hatte sich eigentlich von zehn Jahren von der politischen Bühne verabschiedet.
Kein Tag des Jubels
Nach 16 Monaten Dauerkrise ist es wohl erlaubt, mal für einige Minuten erleichtert zu sein, meint La Dernière Heure. Einige Minuten, aber nicht länger. Für zügellosen Optimismus gibt es nämlich keinen Anlass. Fakt ist einzig, dass Belgien eine neue Regierung hat, danach überwiegen die Fragezeichen. Das Regierungsabkommen bleibt in vielen Punkten sehr vage. Das kann sehr schnell zu Spannungen führen.
"Bitte nicht", mahnt aber sinngemäß La Libre Belgique. Die Bürger sind mit ihren Nerven am Ende. Ein Land im permanenten Krisenzustand. Innerhalb der letzten zehn Jahre hatten wir insgesamt drei Jahre lang eine geschäftsführende Regierung beziehungsweise ein Minderheitskabinett. Drei Jahre ohne Elan, ohne Vision, ohne langfristige Planung.
Vor allem die Bilanz der letzten 16 Monate ist einfach nur jämmerlich. Jetzt gibt es zwar endlich eine Regierung, doch hat Belgien viele Federn verloren, und die Belgier ihre Geduld. Jetzt kann man nur hoffen, dass die neue Equipe wenigstens geschlossen agiert, dass das Regierungsprogramm nicht nur eine Ansammlung von roten, blauen, grünen und orangen Trophäen ist.
Wenn man sich den Koalitionsvertrag so anschaut, dann bleibt eine bittere Frage, findet das GrenzEcho. Und diese Frage lautet: Warum konnte ein solch banales Regierungsprogramm nicht schon im Frühjahr 2019 auf die Schienen gebracht werden? Die wichtigste Neuigkeit ist wohl, dass Belgien endlich wieder eine handlungsfähige Regierung hat. Das ist ein Tag der Freude, auch, weil es zu einem Tag des Jubels nicht reicht.
Wir sehen hier allenfalls eine Verlegenheitsregierung, meint auch Le Soir. Für Freudenfeste gibt es keinen Anlass. Die sieben Parteien, die jetzt zusammen in See stechen, haben bei der letzten Wahl insgesamt zwölf Sitze verloren. Die Grünen sind die einzigen Wahlgewinner in dieser Koalition. Alexander De Croo ist Mitglied einer Partei, die nur die viertgrößte in dieser Koalition ist.
Zudem hat diese Regierung in Flandern keine Mehrheit. Das vage Regierungsprogramm ist zu allem Überfluss nur ein Paradebeispiel für den belgischen Kompromiss. Demgegenüber steht die historische Verantwortung dieser Equipe, die das Land aus einer beispiellosen sanitären, wirtschaftlichen und demokratischen Krise herausführen muss.
Optimismus darf auch erlaubt sein
Die eigentliche Arbeit steht erst noch bevor, analysiert auch L'Echo. Natürlich muss man erst mal froh sein, dass die Vivaldi-Regierung überhaupt aus der Taufe gehoben werden konnte. Das ist schon ein großer Schritt im Vergleich zu dem absoluten Vakuum, das viel zu lange vorgeherrscht hat. Das Regierungsprogramm ist aber über weiter Strecken nicht mehr als ein Katalog von guten Absichten. Viel wurde da nicht ausformuliert. Die Partner haben sich allenfalls einen Rahmen gegeben. Den müssen sie jetzt mit konkreten Inhalten ausfüllen.
Wenn’s am Ende bei diesen schönen Worten bleibt, dann verlieren die Belgier noch ein bisschen mehr ihr Vertrauen in die Politik.
Alexander De Croo weiss selbst, dass er und seine Equipe viele Zweifler und Skeptiker überzeugen müssen, meint De Tijd. Vielleicht auch deshalb bewegt sich das Regierungsabkommen resolut im Zentrum. Die wohl beste Art und Weise, die Nörgler eines Besseren zu belehren, das wäre aber eine wirklich geradlinige und effiziente Corona-Politik.
"Warum nicht doch ein bisschen Optimismus?", fragt sich seinerseits Het Laatste Nieuws. Diese Koalition startet mit den besten Absichten. Und wer weiss, vielleicht haben sich ja alle das Wort "Teamwork" hinter die Ohren geschrieben. Fast 500 Tage nach der Wahl, in denen man das Fehlen einer Regierung beklagt hat, wäre es jetzt zu einfach, gleich mit dem Lamentieren weiter zu machen und diese Equipe zu kritisieren, bevor sie überhaupt angefangen hat.
Vivaldi muss Misstöne vermeiden
Alexander De Croo scheint jedenfalls zu wissen, was die Bürger nicht wollen, glaubt Gazet van Antwerpen. Er hat ein positiveres Klima versprochen, weg von dem harten Umgangston und der auf die Spitze getriebenen Polarisierung. Ein Gegenentwurf zum vorherigen Kabbelkabinett.
Das allerdings muss sich erst noch zeigen. Glaubt jemand allen Ernstes, dass sich der umtriebige Georges-Louis Bouchez bis 2024 konstruktiv und kollegial aufstellen kann? Oder, dass Ecolo vier Jahren lang den Ball flach halten kann? Misstöne zu vermeiden, das ist die größte Herausforderung von Vivaldi.
Hier liegt der Schlüssel zum Erfolg, ist auch Het Nieuwsblad überzeugt. Der Zusammenhalt innerhalb dieser Koalition ist von entscheidender Bedeutung. Denn hier geht es darum, das Vertrauen der Bürger zurück zu gewinnen. Nach den endlosen Schlammschlachten der letzten Monate müssen jetzt die Trümmer weggeräumt werden.
Bei allen zu erwartenden Meinungsverschiedenheiten sollte immer die Suche nach einem Kompromiss im Mittelpunkt stehen. Wenn jeder nur weiter versuchen will, den jeweils andere in den Graben zu befördern, dann werden alle in diesem Graben enden.
Roger Pint