"Nach 493 Tagen – endlich eine Regierung (oder doch nicht)?", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Koalition soll am Donnerstag Eid leisten – Vivaldi-Parteien reizen Frist des Königs aus", fasst das GrenzEcho die Situation zusammen. "Finish in Sicht", so die Überschrift bei De Morgen.
Seit gestern neun Uhr morgens sitzen die Liberalen, Sozialisten, Grünen und die CD&V zusammen, um sich über den Haushalt und die Postenverteilung in der zukünftigen Regierung zu einigen. Zumindest inhaltlich scheint ihnen das bis heute früh gelungen zu sein. Für die Zeitungen kam dieser Fortschritt aber zu spät, was sich auch in den Leitartikeln widerspiegelt.
Tour de force
Es bleiben seltsame Tage, kommentiert Gazet van Antwerpen. Nach fast 500 Tagen Palavern und Rumtrödeln muss jetzt auf einmal innerhalb kürzester Zeit eine Regierung aus sieben Parteien zusammengezimmert werden, und das auch noch mit einem bezahlbaren Programm. Plötzlich haben die Politiker eine Deadline. Da kann man sich schon fragen, warum sie sich nicht früher ein Zeitlimit gesetzt haben.
Die Schnelligkeit, mit der jetzt gearbeitet werden muss, führt aber zu Zweifeln, wie solide die Regierungsvereinbarung beziehungsweise wie stabil die Regierung sein wird. Wenn man die gesamte Finanzierung des Regierungsprogramms in wenigen Tagen und Nächten durchboxt, ist die Gefahr groß, dass sich Fehler einschleichen oder dass einer der Unterhändler hinterher feststellt, dass er in einem entscheidenden Moment nicht aufgepasst hat und am Ende Dinge im Text stehen, in denen er sich nicht wiederfindet.
Das kann große Uneinigkeit zur Folge haben. Nein, die Arbeitsweise der letzten Tage ist nicht gerade vertrauenserweckend. Allerdings gab es keine Alternative mehr. Jetzt können wir nur hoffen, dass Vivaldi in den kommenden Monaten alle mit Durchsetzungsfähigkeit, Einigkeit, Vision und politischem Mut überraschen wird, so Gazet van Antwerpen.
Het Laatste Nieuws befasst sich mit der möglichen personellen Zusammenstellung der Regierung. Nach der Einigung in Sachen Haushalt kann es losgehen mit der Verteilung der Posten für Minister und eventuelle Staatssekretäre. Und es scheint, als ob hier eine relativ junge Mannschaft aufs Feld geschickt werden könnte. Das gilt insbesondere für die flämische Seite. Manche halten das für eine gute Idee. Allerdings muss man hoffen, dass dieser Drang zur Erneuerung nicht zu weit geht. Ein Mix aus Erfahrung und neuen Talenten wird die größte Chance auf einen Erfolg bieten, meint Het Laatste Nieuws.
"Selbst ein Erfolg ist nicht auszuschließen"
De Morgen greift die Frage auf, warum das so lange dauern musste. Die Zeitung glaubt, dass die Antwort auf diese Frage in den frühen Ausschlusserklärungen nach der Wahl zu finden ist. Zum Beispiel durch Elio Di Rupo, damals PS-Vorsitzender, der eine Regierung ohne die N-VA wollte. Damit wurden Gesprächspartner brüskiert und das gegenseitige Misstrauen verstärkt. Dadurch ist viel Zeit verloren gegangen. und wurde viel Vertrauen in die politischen Institutionen verspielt.
Wenn sich die Vivaldi-Partner einigen, ist die entscheidende Frage, ob sie zusammenhalten können. Hat diese bunte Sammlung konkurrierender Parteien wirklich den Willen, miteinander auszukommen? Oder werden sie bei der erstbesten Gelegenheit übereinander herfallen?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir bekommen ein Kabbel-Kabinett, das noch schlimmer als das der Regierung Michel wird. Oder es kann nach dieser äußerst schwierigen Regierungsbildung nur noch besser werden. So, wie es der Kolumnist Alain Gerlache am Wochenende sagte: "Die belgische Politik ist so launenhaft und unvorhersehbar, dass man selbst einen Erfolg nicht ausschließen kann", hält De Morgen fest.
Mit einigen wenigen Klicks gegen Corona
Verschiedene Leitartikler kommen auf die belgische Corona-Warn-App zurück. Die soll ab heute für alle verfügbar sein. Die Einführung von "Coronalert" war mehrmals verschoben worden, erinnert L'Echo. Neben der institutionellen Komplexität Belgiens lag das an der Frage, wie die Daten verarbeitet und das Privatleben respektiert werden sollen.
Die entsprechenden Auseinandersetzungen wurden auch vor dem Hintergrund eines allgemeinen Misstrauens der Bevölkerung gegenüber den sanitären Maßnahmen geführt. Deshalb ist es schwierig, sich vorzustellen, dass die App bei den Menschen sehr beliebt sein wird. Es sei denn, das Land findet einen gesellschaftlichen Elan.
Dafür muss man aber hoffen, dass die Verantwortlichen der Kontaktnachverfolgung bei der Kommunikation deutlich besser sind, als bei ihrem Projektmanagement. Es wird mehr brauchen als die üblichen Marketingstrategien, um einen großen Anteil der Bevölkerung zu überzeugen, mitzumachen. Hierfür muss vor allem die Sicherheit der Daten betont werden, fordert L'Echo.
Auch wenn diese technische Neuerung von manchen kritisiert wird, scheint sie die Kontaktnachverfolgung spürbar verbessern zu können, so La Libre Belgique. Die Herausforderung ist jetzt, die Bürger davon zu überzeugen, dass es in ihrem Interesse ist, die App herunterzuladen. Denn nur durch eine breite Anwendung kann der Prozess effizient sein. Das wird nur mit Vertrauen gelingen.
Manche Bürger werden schon aus Prinzip nie diese Technologie akzeptieren, weil sie sie als Eindringen in ihr Privatleben betrachten. Man kann sie nur daran erinnern, dass die Verwendung der App freiwillig und anonym ist. Ob das reicht, um diese Menschen zu überzeugen, ist fraglich. Aber jetzt ist nicht mehr die Zeit für polemische Diskussionen, sondern, um seinen Beitrag im Kampf gegen das Coronavirus zu leisten - und das mit einigen wenigen Klicks, erinnert La Libre Belgique.
schb