"Nachspielzeit für De Croo und Magnette", titelt Het Belang van Limburg. "Wieder etwas Zeit gekauft", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. "Die Regierungsbildner spielen auf Zeit", notiert Le Soir. "Der König spielt sein letztes Ass", so die Schlagzeile des GrenzEchos.
Paul Magnette und Alexander De Croo haben zwar dem König am Abend Bericht erstattet. Sie konnten dabei dem Staatsoberhaupt aber lediglich mitteilen, dass die Vivaldi-Parteien ihre Verhandlungen noch nicht abgeschlossen haben. Der König gab den beiden also mehr Zeit, ohne dabei eine Frist in den Raum zu stellen. "So schnell wie möglich" sollen die beiden jetzt ihren Abschlussbericht vorlegen. "Es müssen noch letzte Abkommen geschlossen werden", bevor die Vivaldi-Partitur gespielt werden kann, so fasst es denn auch La Libre Belgique zusammen. Het Laatste Nieuws spricht von der "nächtlichen Suche nach Milliarden".
"Streichen, was nicht passt"
Denn der Knackpunkt, das ist der Haushalt. Die Corona-Krise hat riesige Löcher gerissen, entsprechend klein sind die Spielräume. De Standaard bringt es auf den Punkt: "Zu teure Wunschzettel zwingen Vivaldi dazu, in die Verlängerung zu gehen. "Vivaldi muss jetzt schon sparen", titelt auch De Morgen. Die Schlagzeile von L'Echo liest sich wie ein Fazit: "Das Budget wird zur Belastungsprobe für Vivaldi".
"Da gibt es nur eins", meint Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel: "Man muss streichen, was nicht passt". Auf dem Verhandlungstisch liegen Wunschzettel mit einem Gesamtvolumen von zehn bis elf Milliarden Euro. Das wären also zusätzlich Ausgaben. Jeder weiß, dass das nicht geht. Zumal jede Partei da andere Prioritäten setzt. Nur in einem Punkt herrscht offenbar Einmütigkeit: Alle sind für eine Anhebung der Mindestrenten. Damit allerdings ist das auch noch nicht bezahlt. Damit das klar ist: Es ist bestimmt lobenswert, wenn man dafür sorgen will, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, einen würdigen Ruhestand verbringen können. Nur kann man nicht endlos Geld ausgeben, das man nicht hat.
Last-Minute-Deal
La Libre Belgique wünscht sich vor allem präzise Absprachen. Die Verhandlungspartner müssen einen Höllentempo vorlegen. Da gibt es vor allem zwei große Gefahren. Zunächst steht zu befürchten, dass die Unterhändler zu wenig Zeit haben, die einzelnen Punkte ihres Koalitionsvertrags wirklich auszudiskutieren und -formulieren. Jede Ungenauigkeit ist aber quasi Keimzelle für potenzielle künftige Konflikte. Zweite Sorge: Bislang war in der Öffentlichkeit immer nur von neuen Ausgaben die Rede. Solche Meldungen wurden offensichtlich gezielt gestreut. Wo das Geld herkommen soll, darüber hat man nichts gehört. Es kommt aber der Tag, an dem all dieses Geld zurückgezahlt werden muss. Wir können all das nicht unseren Nachkommen überlassen.
Das GrenzEcho rechnet mit einem "halbherzigen Last-Minute-Deal". Angesichts der Konstellation am Verhandlungstisch kann man sich mehr oder weniger ausmalen, wie das Regierungsprogramm aussehen wird: Man wird die Wirtschaft ankurbeln wollen, mit starker Betonung der sozialen und ökologischen Aspekte: ein belgischer Kompromiss in grün-rot-blau. Mindestens genauso interessant dürfte sein, welche zusätzlichen Schritte man in Richtung einer neuen Staatsreform unternehmen will. Vieles wird wahrscheinlich unausgegoren sein. Aber was kann man mehr von einem Last-Minute-Deal erwarten?
Es geht auch um die Wiederbelebung der flämischen Koalition
Viele flämische Zeitungen beschäftigen sich mit der so genannten "September-Erklärung" des flämischen N-VA-Ministerpräsidenten Jan Jambon. Zum Auftakt eines jeden politischen Jahres hält der flämische Ministerpräsident eine Art "Rede zur Lage der Nation". In diesem Jahr stand natürlich die wirtschaftliche Wiederbelebung im Vordergrund. Jambon versprach insbesondere ein Konjunkturpaket mit einem Volumen von 4,3 Milliarden Euro, mit dem Namen "flämische Widerstandskraft".
Viele Leitartikler reagieren mit Skepsis auf die Ankündigung. Auf den ersten Blick mag der Plan ja noch solide aussehen, meint etwa De Tijd. 4,3 Milliarden Euro, das ist kein Pappenstiel. Dieses Geld muss aber auch effizient eingesetzt werden, dort investiert werden, wo es Früchte abwirft. Jambon hat gestern allenfalls den Anfang gemacht. Die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt.
Der Ansatz ist wohl der richtige, glaubt Het Nieuwsblad. Erst muss man investieren, die schmerzhaften Entscheidungen, die folgen in einer zweiten Phase. Diese September-Erklärung, das war aber auch der Versuch, der Equipe neuen Schwung zu verleihen. Das erste Jahr der Regierung Jambon war nämlich nicht das glücklichste. Viele Regierungen in dieser Welt sind an der Coronakrise gewachsen. Jambon und seine flämische Regierung gehörten bislang nicht dazu. Hier geht es also auch um die Wiederbelebung der flämischen Koalition.
"Ein erwachsener Föderalismus"
Und das " jetzt erst recht", analysiert De Standaard. Es ist auffällig, wie nachdrücklich Jambon die Einheit seiner Equipe beschworen hat. Das trotz oder gerade wegen der Tatsache, dass seine beiden Koalitionspartner bald Teil einer Föderalregierung ohne die N-VA sein werden. Jambon verzichtete auf Seitenhiebe, und das war richtig.
Alle Zeitungen sind sich derweil einig, dass eine gesunde Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Machtebenen in diesen Krisenzeiten von wesentlicher Bedeutung ist. Het Nieuwsblad formuliert es so: Nur wenn sich die Regierungen gegenseitig verstärken und die verschiedenen Konjunkturpakete ineinandergreifen, kann die Politik endlich damit anfangen, das brotnötige Vertrauen wiederherzustellen.
L'Echo formuliert das Ganze aus und plädiert für einen "erwachsenen Föderalismus". Die jüngsten Entwicklungen auf der föderalen Ebene sorgen für eine vertrackte Situation, vor allem auf der flämischen Seite. Auf der föderalen Ebene wurde die N-VA in die Opposition verfrachtet. OpenVLD und CD&V sitzen aber weiterhin mit der N-VA zusammen im flämischen Regierungsboot. Verschiedene Mehrheiten auf den verschiedenen Machtebenen sorgen aber erfahrungsgemäß für Spannungen. Nicht nur zwischen den jeweiligen Regierungen, sondern auch innerhalb der betroffenen Parteien. Das muss aber nicht so sein. In Deutschland oder Kanada etwa funktioniert das recht gut. In Belgien müssen wir da offensichtlich noch reifer werden. In der Zwischenzeit wird der künftige Premierminister wohl sehr viel Geduld und pädagogische Qualitäten brauchen, um das Schiff auf Kurs zu halten.
Roger Pint