"König ernennt zwei Regierungsbildner - Magnette und De Croo sollen es richten", titelt das GrenzEcho. "Vivaldi in den Händen von De Croo und Magnette", so der große Aufmacher bei Le Soir. "Noch eine Woche, um zu beschließen, wer Premier wird", schreibt De Morgen.
Viele Zeitungen kommentieren den gestern Abend gemachten Schritt in Sachen Regierungskoalition. Mit dem PS-Vorsitzenden Paul Magnette und dem OpenVLD-Vizepremier Alexander De Croo hat König Philippe ein Regierungsbildner-Duo ernannt. Das ist zwar ein Fortschritt, die Frage, wer nächster Premierminister wird, bleibt damit aber unbeantwortet.
Der Verantwortungssinn hat die Oberhand gewonnen, meint La Libre Belgique. Die Parteivorsitzenden haben sich auf die Grundlagen einer Regierungserklärung geeinigt. Und immerhin auf die Namen der Regierungsbildner. Jetzt gibt es eigentlich kein Zurück mehr. Wenn nicht in letzter Minute noch etwas schiefgeht, ist der Weg zur Bildung einer Föderalregierung und zur Präsentation eines Programms am 1. Oktober frei.
Die Ereignisse vom Wochenende werden aber Spuren hinterlassen. Das entstandene Misstrauen wird nicht so schnell wieder verschwinden. Was das Team zusammenhält, darf nicht nur die Angst vor Neuwahlen sein. Die Vivaldi-Koalition wird deutlich unter Beweis stellen müssen, dass sie zusammenhalten kann und dass sie Ehrgeiz hat. Die Herausforderungen sind enorm. Die Belgier brauchen eine Regierung, die ihnen eine Vision, Stolz und eine Zukunft gibt.
Weniger straucheln, mehr regieren
"Endlich!", scheint Le Soir aufzuatmen. In den letzten Tagen hat man wieder gesehen, wie sehr es um Egos und Trophäen für die einzelnen Parteien ging. Die Parteivorsitzenden hatten Eines vergessen: Die einzige Trophäe, die der Bürger will, ist Stabilität. Die Politiker werden beweisen müssen, dass sie besser regieren können, als sie bisher verhandelt haben. Andernfalls werden sie am Ende nur eine Trophäe haben: ein verhängnisvolles Scheitern aufgeschoben zu haben.
L'Avenir glaubt, dass es zu früh ist, von einem Ausweg aus der Krise zu sprechen. Die Frage des zukünftigen Premiers ist weiter offen. Auch inhaltlich lauern noch diverse Stolpersteine. Vielleicht ist der beste Klebstoff für diese Koalition, die bereits angekündigte, aggressive Opposition, gerade aus Richtung der N-VA. Nichts schweißt besser zusammen, als so ein gemeinsamer Feind.
Man darf aber nicht vergessen, dass zwei der flämischen Vivaldi-Partner auf regionaler Ebene in Bündnissen mit der N-VA sind. Das kann zu einer gewissen Schizophrenie führen. Und damit möglicherweise zu einer permanenten Krise.
Auch Het Nieuwsblad warnt davor, schon zu jubeln. Man sagt oft, dass der Teufel im Detail sitzt. In dem Fall kann es den Unterhändlern passieren, dass sie wie bei Dante noch die neun Kreise der Hölle vor sich haben. Selbst eine Regierungserklärung ist noch kein Abschluss, die echte Arbeit kommt dann noch.
Für eine Regierung braucht man ein Mindestmaß an Vertrauen und Kollegialität. Davon haben wir noch immer nicht viel gesehen. Eines muss auch der zynischste Politiker begreifen: Wenn das Spektakel der letzten Monate zur Norm wird, wird die Abrechnung am Ende umso heftiger werden.
Natürlich: Wenn man strauchelt, ist das Wichtigste, sich wieder zu fangen. Aber es wäre sicher auch nicht schlecht, wenn weniger gestrauchelt würde, und dafür mehr regiert. Sich gut aneinander festzuhalten könnte Stürzen vorbeugen.
Schwedisches Poker um Menschenleben
Das zweite große Thema in den Leitartikeln sind die gestrigen Beschlüsse des Nationalen Sicherheitsrates. Der hatte gewisse Lockerungen bestehender Corona-Schutzmaßnahmen beschlossen. Der Nationale Sicherheitsrat hat Wort gehalten, lobt das GrenzEcho. Von Verboten und Geboten steigt Belgien um auf ein Modell, das dem Bürger mehr Verantwortung überträgt. Damit wird unser Land ein wenig schwedischer: Zumindest in Sachen Management der Corona-Epidemie. Ob das Experiment am Ende gut gegangen sein wird, wird man am Ende wissen.
Auch La Dernière Heure glaubt, dass Sophie Wilmès einmal mehr den richtigen Ton getroffen hat. Sie hat nicht überdramatisiert und sie hat die Menschen auch nicht für dumm verkauft. Die Politik hat beschlossen, die Belgier wie Erwachsene zu behandeln und ihnen mehr Freiheiten zurückzugeben. Jetzt müssen die Menschen sich als würdig und verantwortungsbewusst beweisen.
De Morgen teilt diese Meinung nicht. Egal wie man es dreht, wir haben ein Ansteckungsproblem. Alle Zahlen steigen wieder. Belgien muss einzigartig sein in der Welt. Die Schutzmaßregeln werden in einem Moment gelockert, in dem das Virus wieder seinen hässlichen Kopf reckt. Wir werden schwedischer als die Schweden selbst. Allerdings in einem Land mit einer viel höheren Bevölkerungsdichte. Hier wird mit Menschenleben gespielt.
Mit einem Lächeln in den Abgrund?
Was wir gebraucht hätten, wäre einer der berühmten belgischen Kompromisse, kritisiert Het Laatste Nieuws. Keine Verschärfung, aber auch keine Lockerung, stattdessen eine Vereinfachung und eine deutliche Warnung. Vielleicht wollte Sophie Wilmès das nicht, aber am Ende kann alles, was sie gesagt hat, viel zu leicht als große Lockerung interpretiert werden. Dadurch kann die Motivation, Regeln zu befolgen, in der Bevölkerung noch weiter abnehmen. Der Graben zwischen denen, die möglichst normal leben wollen, und denen, die sich aus Angst immer weiter zurückziehen, kann noch größer werden.
Wir können nur hoffen, dass Wilmès, Jambon, Di Rupo und die anderen visionär sind und dass sie uns mehr Freiheiten geben, weil sie genug Gründe haben, zu glauben, dass die Katastrophe ausbleiben wird. Es steht aber eher zu befürchten, dass sie wie die Orchestermitglieder auf der Titanic sind, die dafür sorgen wollen, dass wir mit einem Lächeln in den Abgrund sinken.
SchB