"Vorsitzende haben Bouchez satt, Verhandlungen in der Sackgasse", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. "Schlammschlacht um den Posten des Premierministers", so La Dernière Heure. "Rousseau und Lachaert ohne Einigung zum König", fasst Het Belang van Limburg die Situation in einer Überschrift zusammen.
Heute sollen die Vorregierungsbildner Egbert Lachaert (OpenVLD) und Conner Rousseau (SP.A) König Philippe ihren Abschlussbericht vorlegen. Dabei sollte eigentlich auch eine Festlegung auf einen Regierungsbildner und damit wahrscheinlichen Premier erfolgen. Die Verhandlungen der sieben Parteien der geplanten Vivaldi-Koalition darüber sind allerdings am Wochenende in Turbulenzen gekommen.
Unmittelbarer Auslöser war ein Interview des MR-Vorsitzenden Georges-Louis Bouchez. Darin hatte er unter anderem gesagt, dass das Vivaldi-Programm rechter als eines mit der N-VA sein werde, dass er Parteikollegin Sophie Wilmès als nächsten Premier sieht und dass PS-Chef Paul Magnette keinen Sitz in der zukünftigen Regierung haben solle.
Vertrauenskapital erschöpft
Eigentlich hätte heute mit der Ernennung eines oder mehrerer Regierungsbildner ein entscheidender Schritt getan werden können. Beziehungsweise müssen, kommentiert L'Avenir. Der neue Streit könnte diese Entscheidung verzögern. Oder sie beschleunigen. Jedenfalls kann der Clash das ganze Experiment "Vivaldi" in Gefahr bringen.
Damit eine Verhandlung zu einem dauerhaften Ergebnis führen kann, braucht es ein Mindestmaß an Vertrauen zwischen den Partnern. Georges-Louis Bouchez scheint sein Vertrauenskapital bei verschiedenen Partnern schon ziemlich erschöpft zu haben, besonders bei der PS. Aber auch im Norden des Landes, gerade bei den flämischen Liberalen.
Natürlich kann den Tisch-Umstoßen manchmal eine gute Verhandlungstaktik sein. Aber in einem gewissen Stadium muss es Kompromisse geben. Und in einer Phase wie jetzt, in der Diskretion das oberste Gebot sein sollte, helfen lautstarke Äußerungen in der Öffentlichkeit sicher nicht, kritisiert L'Avenir.
Seit Freitag haben die Parteivorsitzenden quasi ununterbrochen verhandelt, erinnert Het Belang van Limburg. Sie haben begriffen, dass es jetzt oder nie sein muss. Jede neue Verzögerung bringt die Deadline in Gefahr: Für den 1. Oktober haben die sieben Vivaldi-Parteien eine Regierungserklärung auf die Agenda der Kammer gesetzt. Und davor müssen noch die Parteimitglieder um Grünes Licht gebeten werden. Deswegen war eine Einigung gestern eigentlich Pflicht.
Nur wurde diese Rechnung ohne Georges-Louis Bouchez gemacht. Die Unterhändler bezweifeln mittlerweile, dass Bouchez überhaupt eine Einigung will. Erst kam er zu spät zu den Verhandlungen und dann kam das Interview. Darin warf Bouchez im Übrigen auch noch bereits getroffene Entscheidungen wieder über den Haufen. Und nicht vergessen: Neben dem Gerangel um die Posten müssen sich die Vivaldisten ja auch noch über diverse, schwierige inhaltliche Fragen einigen, unterstreicht Het Belang van Limburg.
"Mutti" Wilmès und das "Enfant terrible"
Het Nieuwsblad geht scharf mit Bouchez ins Gericht: Er schreckt vor Nichts zurück. Er stößt seine Gesprächspartner in den Sozialen Medien vor den Kopf, während er neben ihnen am Tisch sitzt. Jetzt hat er es geschafft, so die Verhandlungen im Alleingang zu torpedieren.
Diese Chance, Bouchez in der Öffentlichkeit bloßzustellen, hat sich Paul Magnette nicht entgehen lassen. Was da an giftigen Details über das Verhalten von Bouchez an die Öffentlichkeit drang, bestätigte seinen Ruf als "enfant terrible". Magnette musste sich nicht anstrengen, um die anderen Parteivorsitzenden zu überzeugen, dass das mit Bouchez so nicht geht.
Die ultimative Erniedrigung für das "kleine Louischen" war dann, dass die anderen forderten, dass er sich von einem Parteigenossen assistieren lassen müsse. Kurz vor knapp wurde dann Sophie Wilmès aufgetrieben. Wie eine Mutter, die ihr Kind von einem Geburtstag abholen muss, weil der Nachwuchs es zu bunt getrieben hat. So was hat es noch nie gegeben. Bouchez hat im Übrigen nicht nur die eigene Position, sondern die seiner ganzen Partei geschwächt, hält Het Nieuwsblad fest.
Alle im gleichen Boot
Het Laatste Nieuws kommt auf die Probleme bei den flämischen Christdemokraten CD&V zurück. Die Zerstrittenheit in Sachen Teilnahme an Vivaldi lässt sich auf den zunehmenden Einfluss der lokalen Machtebene zurückführen. Viele CD&V-Kammerabgeordnete sind gleichzeitig Bürgermeister und oft genug sind sie dabei in Bündnissen mit der N-VA. Folgen sind die Zunahme von lokalem Klientelismus und gefährlich schwache Kabinette. Eine blasse nationale Linie kann sich aber bei den nächsten Gemeinderatswahlen rächen.
Joachim Coens steht am Scheideweg: Die Wahl zwischen Opposition oder Mehrheit ist wie die Wahl zwischen Pest oder Cholera. Die einzige Frage, die die Partei für sich beantworten muss, lautet, in welcher Konstellation sie sich am meisten profilieren kann. In einer Regierung mit den Liberalen, Sozialisten und Grünen? Oder in der Opposition mit der N-VA, dem Vlaams Belang und der PVDA-PTB? Man muss kein Politologe oder Analyst sein, um die Antwort auf diese Frage zu kennen, stichelt Het Laatste Nieuws.
La Dernière Heure fasst den Blick weiter: Die sieben Parteien betrachten sich als Konkurrenten. Dabei sitzen sie alle im gleichen Boot. Sie sind alle traditionelle Parteien, die - wenn sie keine Einigung finden - bei vorgezogenen Neuwahlen von extrem-rechts beziehungsweise extrem-links weggefegt würden.
Niemand von ihnen will Neuwahlen, dennoch treiben alle ihre Handlungen das Land in diese Richtung. Keiner will den Schwarzen Peter, verantwortlich für das Scheitern der Verhandlungen zu sein. Sie verstehen aber nicht, dass die Bürger - wenn das jetzt nichts wird - alle beteiligten Parteien abstrafen werden, warnt La Dernière Heure.
Boris Schmidt