"Kräftemessen zwischen Vivaldi und Opposition – Regierung Wilmès erhält Verlängerung", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Opposition schreit Zeter und Mordio, aber Wilmès bleibt bis zum 1. Oktober auf ihrem Posten", titelt Het Laatste Nieuws. "Wilmès bricht Versprechen, Vivaldi macht ein neues: 'In zwei Wochen eine neue Regierung'", so die Überschrift bei Het Nieuwsblad.
Die sieben potenziellen Vivaldi-Partner haben gestern in einer zum Teil turbulenten Plenarsitzung in der Kammer einen Misstrauensantrag gegen Premierministerin Sophie Wilmès abgeschmettert. Der war von den Oppositionsparteien angestrengt worden, weil Wilmès nicht wie versprochen erneut um das Vertrauen gefragt hatte. Außerdem haben die Vivaldi-Parteien für den 1. Oktober eine Regierungserklärung angekündigt.
Sehr wenig Zeit
Für Le Soir war das der erste Akt von Vivaldi. Die sieben in Verhandlungen befindlichen Parteien haben gemeinsam mit ihrer Mehrheit die Regierung Wilmès verlängert. Sie haben mit einer gemeinsamen Stimme gesprochen. So was kannte man ja schon fast nicht mehr, eine Vereinigung konstruktiver Kräfte, die sich gemeinsam für ein Projekt einsetzen.
So muss das weitergehen. Wir brauchen dringend eine Regierung, nicht nur, um endlich etwas gegen die allgemeine Politikverdrossenheit zu tun, sondern auch, weil uns mit den wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise ein schlimmer Herbst bevorstehen wird, warnt Le Soir.
Het Laatste Nieuws glaubt, dass sich die zukünftigen Regierungsparteien gestern mit ihrer Ankündigung eine Regierungserklärung einmal mehr selbst das Messer an die Kehle gesetzt haben. Knapp zwei Wochen haben die Vorsitzenden jetzt, um sich zu einigen, dann müssen noch die Parteikongresse grünes Licht geben. Das ist sehr wenig Zeit. Werden wir am 1. Oktober tatsächlich eine neue Regierung sehen? Oder doch einen neuen Clash im Parlament?, ist Het Laatste Nieuws skeptisch.
Het Nieuwsblad greift die Argumentation für die Mandatsverlängerung von Wilmès auf. Die Begründung lautet, dass es fast schon eine neue Regierung gibt und dass es wegen des Wiederaufflammens der Corona-Infektionen besser ist, eine Regierung mit vollen Befugnissen zu haben. Dieses Argument könnte man aber genauso gut umdrehen. Wenn die neue Regierung tatsächlich quasi schon in den Startlöchern steht, dann sollten zwei Wochen mit einer nur geschäftsführenden Regierung auch keine Rolle mehr spielen.
Und Nein, gestern wurde weder gegen die Verfassung verstoßen, noch irgendwie ein Staatsstreich gemacht. Es war aber ein weiterer Präzedenzfall, von denen es in den letzten zwei Jahren schon einige gab. Dieser Bogen darf nicht noch weiter überspannt werden, wir haben die Schmerzgrenze überschritten. Die Uhr tickt, und die Trickkiste ist jetzt echt leer, konstatiert Het Nieuwsblad.
Worthalten wichtiger als Aufschub
Auch De Tijd glaubt nicht, dass zwei Wochen mit einer nur geschäftsführenden Regierung untragbar gewesen wären. Und man muss festhalten, dass Wilmès vor sechs Monaten, als sie versprach, am 17. September erneut um das Vertrauen zu fragen, nicht davon gesprochen hat, an der Macht zu bleiben, wenn es dann keine Regierung gebe.
Allein schon deswegen hätte sie gestern selbst um das Vertrauen bitten sollen. Weil für eine Koalition, die das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen will, das gegebene Wort eines Premiers in der Kammer wichtiger sein muss als ein zweiwöchiger Aufschub, ist De Tijd überzeugt.
L'Avenir kommt auf das Verhalten der Opposition bei der gestrigen Sitzung zurück. Hier hat man schon einen Vorgeschmack darauf bekommen, dass die zukünftige Regierung es mit einer noch nie dagewesenen Virulenz zu tun bekommen wird. Die Vivaldi-Koalition wird sich warm anziehen müssen.
Neben den Angriffen von außen sind bei sieben Partnern auch Spannungen im Inneren vorprogrammiert. Diejenigen, die auf etwas mehr politische Ruhe gehofft hatten, werden diese Illusion wohl aufgeben müssen. Wichtig ist, dass die Regierung trotz widriger Winde und Strömungen versucht, den Kurs zu halten. Aber auf diesen Kurs muss man sich ja erst noch einigen, erinnert L'Avenir.
Herkulesaufgabe
Für Het Belang van Limburg haben wir gestern jedenfalls den ersten Kampf um die Führungsrolle in der Opposition gesehen. Die durch die lila-gelben Blessuren geschwächte N-VA hat mit dem unaufhaltsamen, reingrätschenden Vlaams Belang einen gefürchteten Konkurrenten bekommen. Die N-VA mag zwar selbst noch glauben, dass sie in einer höheren Klasse spielt, zu sehen war davon gestern aber nichts, analysiert Het Belang van Limburg.
De Morgen schließlich blickt auf die Regierungsverhandlungen selbst. Vivaldi ist noch kaum in den Steigbügeln, ist aber schon vor allem durch Zoff gekennzeichnet. Wenn die vergangenen Tage ein Vorbote für die zukünftige Regierungsarbeit sind, dann ist es düster bestellt um die Zukunft von Vivaldi.
Den zukünftigen Premier erwartet eine Herkulesaufgabe. Vier Jahre muss er oder sie eine sehr unterschiedliche Mannschaft zusammenhalten, interne Konflikte lösen und auch noch Raum erspielen, um noch zu punkten. Viele Menschen mögen das Gefühl haben, dass wir ja schon froh sein können, wenn wir nach fast zwei Jahren politischer Krise endlich wieder eine Regierung haben. Reichen wird das aber nicht. Das Urteil wird der Wähler erst 2024 fällen. Zumindest, wenn die Mannschaft bis dahin durchhält, so De Morgen.
Boris Schmit