"Parteivorsitzende testen negativ – Vielleicht heute wieder am Verhandlungstisch", titelt Het Laatste Nieuws. "Regierungsbildung: Bis Montag ein Premier – Vivaldi-Präsidenten aus der Quarantäne", schreibt das GrenzEcho. Aber "Pieter De Crem belastet Wiederaufnahme der Vivaldi-Verhandlungen", so der große Aufmacher bei De Standaard.
Bis kommenden Montag wollen sich die sieben Parteien der geplanten lila-grünen Koalition auf einen Regierungsbildner und damit Premierminister einigen. Bis zum 1. Oktober soll dann die Regierung stehen.
In trockenen Tüchern ist das alles aber noch nicht. Das sieht man unter anderem an einem Interview mit dem föderalen CD&V-Innenminister Pieter De Crem in De Standaard. Zumindest ist er konsequent, schreibt die Zeitung in ihrem Leitartikel. Er sieht für seine Partei keine wichtige Rolle in einer Vivaldi-Koalition, außer vielleicht innerhalb der Mehrheit die Opposition zu spielen. Und diese Meinung hat er schon vor einem Jahr vertreten.
Das Timing für seine Splitterbombe scheint brillant. Heute Nachmittag muss die in den Anfängen steckende Mehrheit erstmals in der Kammer ihr Zusammengehörigkeitsgefühl beweisen. Nämlich, wenn es um die zwei Wochen Verlängerung für die Regierung Wilmès geht. Und die Spießruten für die CD&V liegen schon bereit. Diejenigen in der Partei, die die Meinung von De Crem teilen, können nur mit der Opposition stimmen. Die Frage ist also, ob Vivaldi ohne die CD&V weitergeht – oder ob die CD&V ohne De Crem weitergeht.
De Crem befürchtet, dass die CD&V in einer Vivaldi-Koalition untergeht. Die Frage ist allerdings auch, ob seine Zentrumspartei zusammen mit der rechten N-VA und dem rechtsextremen Vlaams Belang mehr erreichen könnte. Der Vorstoß von De Crem setzt jedenfalls den Vorsitzenden Joachim Coens in die Verantwortung. Und zwingt die flämischen Christdemokraten dazu, grundsätzlich über ihre zukünftige Rolle nachzudenken. Wollen sie definitiv zu einer Zweigstelle der N-VA werden? Oder wollen sie tatsächlich eine Rolle spielen?, analysiert De Standaard.
"Jetzt muss es schnell gehen"
De Tijd kommentiert die Regierungsnote, die als Verhandlungsgrundlage dient. Was vor allem auffällt, ist die Abwesenheit radikaler Ideen. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen laufen die Verhandlungen noch und stehen die härtesten Gefechte noch bevor. Zum anderen müssen sich die Liberalen, Sozialisten, Grünen und die CD&V irgendwo in der Mitte treffen. Bei einem Wahlergebnis, das durch Radikalisierung gekennzeichnet ist, ist das eine mutige Entscheidung. Bei den Verhandlungen geht es nicht nur darum, Brücken zu bauen, sondern auch darum, das Land wieder auf die Beine zu bringen. Die wichtigste Frage ist, was der beste Weg dorthin ist. Und hierbei sollten große, ideologische Trophäen für die Parteien in den Hintergrund treten, fordert De Tijd.
Für Het Nieuwsblad ist das Ende der Pflichtquarantäne ein Segen. Regierungen lassen sich nicht digital unter Dach und Fach bringen. Jetzt muss es schnell gehen. Bis Ende des Monats wollen die Unterhändler fertig sein. Einer der wichtigsten Knoten, die durchgehackt werden müssen, ist die Frage nach dem Premier. Je schneller das passiert, desto besser. Auf einen Premierminister einigt man sich besser nicht erst am Ende der Verhandlungen. Ein Premier sollte die Verhandlungen leiten. Nur so kann er oder sie Autorität aufbauen. Wir brauchen den richtigen Mann oder die richtige Frau am richtigen Platz. Das war nie richtiger als jetzt, unterstreicht Het Nieuwsblad.
Die Lage der Union
Le Soir greift die Rede der EU-Kommissionsvorsitzenden Ursula von der Leyen zur Lage der Union auf. Von der Leyens Einstellung ist gut, vermeidet sie doch keine der wichtigsten Herausforderungen, mit denen Europa konfrontiert ist. Aber natürlich gibt es große Zweifel. Wie soll man sich zu 27 einigen, zum Beispiel auf eine Reduzierung der Treibhausgase, auf eine Überarbeitung der Migrationspaktes, auf die Schaffung einer Agentur, um in Zukunft eine Knappheit an medizinischem Material zu vermeiden? Wenn man sich schon heute nicht auf eine gemeinsame Herangehensweise bei den Corona-Zonen oder der Verteilung der Menschen aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria einigen kann?, ist Le Soir skeptisch.
Die Union ist zerbrechlich, konstatiert La Libre Belgique. Die Kommissionspräsidentin hat die Mitgliedstaaten dazu eingeladen, etwas dagegen zu tun. Die Einen werden jetzt sagen – nicht ganz ohne Grund, dass von der Leyen zu viel Gewicht auf den einen oder den anderen Punkt legt. Andere wiederum werden das Gegenteil behaupten. Eine Feststellung muss aber von allen geteilt werden: Der Zustand des Patienten erlaubt nicht, sich im Status quo einzurichten, warnt La Libre Belgique.
Zivilcourage auch im Netz
Das GrenzEcho kommt auf den Rücktritt von Minister Harald Mollers zurück und wünscht sich einen Aufstand der Lautlosen. Zivilcourage muss auch im Netz stattfinden. Menschen, die die Freiheit haben wollen, ihre Meinung zu sagen, müssen damit leben, dass man sie "stellt" und entzaubert. Doch auch die andere Seite muss lernen, wieder zuzuhören. Und jenen das Gefühl der Ohnmacht zu nehmen, dass diese Bürger genauso quält, plädiert das GrenzEcho.
Boris Schmidt