"Tritt auf die Bremse beim Rennen um den Impfstoff", schreibt Le Soir auf Seite eins. "Stillstand beim Impfstoff, auf den die Belgier warten", titelt L'Avenir. "AstraZeneca muss Versuche mit Impfstoff pausieren", führt L'Echo aus.
Nachdem bei einer Testperson gesundheitliche Probleme aufgetreten sind, ist die klinische Studie für den Corona-Impfstoff des Pharmakonzerns AstraZeneca vorsorglich gestoppt worden. Aus Sicherheitsgründen muss jetzt zunächst überprüft werden, ob diese gesundheitlichen Probleme mit dem Impfstoff zusammenhängen.
Dieses Vorgehen ist Routine, erinnert De Standaard. Aber weil die ganze Welt auf ein Wundermittel wartet, ist selbst der kleinste Rückschlag eine kalte Dusche. Bis zum Beweis des Gegenteils gehen wir aber davon aus, dass es eben nur ein Stolperstein ist. Auch während einer Pandemie muss Geduld eine Tugend bleiben. Für den Moment müssen wir das Virus eben weiter anders bekämpfen. Die nächsten Monate werden wir uns weiter tastend vorwärtsbewegen müssen. Und wir müssen eben lernen, mit der Unsicherheit zu leben. Und mit einem gewissen Risiko, hält De Standaard fest.
Pharmasektor darf sich keine Fehler erlauben
Das Rennen um den Impfstoff ist eines der intensivsten, globalsten und leidenschaftlichsten, das die Welt je gesehen hat, kommentiert L'Echo. Es ist auch ein noch nie dagewesenes menschliches Abenteuer. Ein Impfstoff kann Hunderttausende Leben retten und die Weltwirtschaft wieder zurück auf die Schienen setzen. Für die Forscher ist es eine wissenschaftliche Leistung, für die beteiligten Firmen ein finanzieller Heiliger Gral. Und für die Länder ist es ein Prestigeobjekt.
Aber das Unterfangen hat seine Risiken. Die Entwicklungszeit von zehn Jahren auf ein Jahr zu verkürzen, bedeutet, dass menschliche Fehler, Schätzungen und Versuchungen Teil der Wette sind. Der jetzige Rückschlag erinnert uns daran, dass es ein schwieriger Weg ist. Es ist aber beruhigend zu sehen, dass die Pharmabosse sich an die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens halten. Trotz des weltweiten und politischen Drucks. Hoffen wir, dass das so bleibt. Eine unkontrollierte Impfung wäre eine Katastrophe. Sie würde das Vertrauen der Bürger vernichten. Deshalb kann sich der Pharmasektor hier keine Fehler erlauben, betont L'Echo.
Belgische Welt wird nicht untergehen
Apropos Corona-Virus. Auch die Regierungssuche ist jetzt möglicherweise empfindlich gestört worden. Nach der bestätigten Infektion von Egbert Lachaert können die Gespräche bis auf Weiteres nur per Videokonferenz stattfinden. Die Verhandlungsführer haben gar keine andere Wahl, hebt La Libre Belgique hervor. Sie müssen bei der Einhaltung der sanitären Schutzmaßnahmen beispielhaft vorangehen. Bisher hatten sich die meisten Bürger kaum mehr dafür interessiert, wer da mit wem worüber verhandelt. Sie waren vollauf damit beschäftigt, ihr auf den Kopf gestelltes Alltagsleben zu managen.
Dass das Virus jetzt auch einen Vorregierungsbildner getroffen hat, hat den Blick der Menschen aber wieder auf die Rue de la Loi gerichtet. Was für den Rest der Gesellschaft gilt, muss auch für die Politik gelten. Die Dringlichkeit der Regierungsbildung darf die Vorsicht nicht in den Hintergrund drängen. Auch die Frage, was am 17. September passieren wird, dem Tag, an dem das Vertrauen für Sophie Wilmès endet, wird eher nebensächlich. Was für eine Rolle soll es schon spielen, wenn ihr Mandat eben um ein paar Tage verlängert werden muss? Alle müssen eben lernen, mit dem Virus zu leben, unterstreicht La Libre Belgique.
Diese Verzögerung ist ärgerlich. Sie kommt zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, analysiert L'Avenir. Wir sollten aber trotzdem auf dem Teppich bleiben: Die belgische Welt wird deshalb nicht in einer Woche untergehen. Natürlich bleibt es wahr, dass das Land vor riesigen Herausforderungen steht, dass wir es uns nicht leisten können, die politische Krise noch weiter zu verlängern. Es ist aber genauso richtig, dass ein extremes Ereignis wie eine Corona-Infektion eben dazwischenfunken kann. Dann muss die Politik eben dem Beispiel der Bürger folgen und sich anpassen, um ihre Arbeit fortsetzen zu können, fordert L'Avenir.
Vor allem viele schöne Worte
Ganz anderes Thema im Leitartikel von De Morgen. Nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria hat die EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen ihre tiefe Betroffenheit getwittert, dass Europa bereit sei, Hilfe zu leisten und dass jetzt vor allem die Sicherheit der Obdachlosgewordenen im Vordergrund stehen müssen. Das ist an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten. Moria ist noch nie eine Priorität für Europa gewesen. Ganz im Gegenteil. Es ist schon seit Jahren ein Schandfleck auf der Weste der europäischen Union.
Trotz vieler schöner Worte über internationale Solidarität bestand das Vorgehen Europas bei der humanitären Krise in Moria vor allem aus Wegschauen und Darauf-Hoffen, dass das Problem von alleine verschwindet. Mehr noch: Durch den Mangel an Hilfe für die südlichen Mitgliedstaaten ist die Europäische Union auch mitverantwortlich für die illegalen Praktiken, mit denen diese Länder gegen den Flüchtlingsstrom vorgehen. Dafür kann man sich nur zutiefst schämen, kritisiert De Morgen.
Boris Schmidt