"Der Kampf um den Premierministerposten kann beginnen", schreibt De Morgen. "Flandern zieht die Option auf den Posten des Premiers", so Le Soir. Viele Zeitungen beschäftigen sich heute in ihren Leitartikeln mit der Regierungsbildung.
Für Le Soir ist die Frage, wer Premierminister wird und wie die Regierungsmannschaft aussehen wird zwar wichtig, aber entscheidender sei ein gemeinsames Regierungsprogramm, das funktioniert und den Bürgern Perspektiven aufzeigt. In ihrem Kommentar schreibt die Zeitung: Es braucht Kompetenz, Schlauheit, Mut und vor allen Dingen Zusammenhalt in dieser Regierung.
Auch braucht es ein Signal für die Menschen, die genug haben von all den Streitereien zwischen den Parteien und den ständigen Forderungen für das eigene Haus, den ausgeteilten Gemeinheiten, weil man nicht mit dabei ist. Der Bürger, mitten in Corona-Pandemie, Wirtschaftskrise, gesellschaftlichem Zusammenbruch und Zukunftsangst hat keine Lust mehr auf Politiker, die nur auf ihren eigenen Nabel schauen.
Jämmerlicher De Wever
Die Zeitungen üben auch Kritik an N-VA-Chef Bart De Wever. Der hatte sich am Wochenende im flämischen Fernsehen darüber beklagt, dass seine Partei nicht mit in der Regierung sitzen wird und dass diese Regierung keine Mehrheit im flämischen Landesteil hat.
De Morgen schreibt: Es bleibt abzuwarten, wie widerstandsfähig diese rot-blau-orange und grüne Koalition sein wird. Aber wenn sie in ein paar Wochen vor dem König ihren Eid ablegt, dann wird sie eine legitime und demokratische Regierung sein, mit Unterstützung einer parlamentarischen Mehrheit.
De Wevers Klage, dass die Regierung keine Mehrheit in Flandern repräsentiert, klingt ein wenig jämmerlich. Vor allem nach einer Regierungsperiode, in der der französischsprachige Teil Belgiens von einer Partei repräsentiert wurde, die gerade mal ein Viertel der frankophonen Stimmen repräsentierte. Dass flämische Stimmen mehr Wert sein sollen, weil sie aus einem wohlhabenderen Landesteil kommen, könne man nicht mehr Demokratie nennen, um mal De Wevers Worte zu benutzen.
Het Nieuwsblad kommentiert: Man kann es De Wever nicht übelnehmen. Von der Oppositionsbank aus muss man nun einmal verärgert und empört reagieren auf die Mehrheit, zu der man selbst nicht gehört. Das ist Teil des politischen Spiels. Natürlich hat De Wever Argumente, warum seine Partei Teil einer solchen Föderalregierung hätte sein müssen. Aber: Dass er jetzt nicht an den Hebeln der Macht sitzt, ist auch sein eigener Fehler. Jetzt die Parteien zu beschimpfen, die es geschafft haben, sich einig zu werden, ist dann doch etwas zu einfach.
In seiner wohl gespielten Verärgerung wiederholte De Wever auch dutzendfach, dass die flämische Regierung ein großes Problem hat, wenn seine Partei auf föderaler Ebene nicht mit im Boot sitzt. Das ist ein großer Denkfehler. Wenn eine flämische Regierung wirklich schlagkräftig sein will, dann muss sie das in erster Linie selbst zeigen. Welche Parteien föderal die Linien vorgeben, müsste doch für eine Partei, die für die flämische Unabhängigkeit schwärmt, keine Rolle spielen.
Der Verrat ist flämisch und rechts
Het Belang van Limburg stellt fest: Die N-VA hat schon mal die ersten Linien ihres Oppositionsdiskurses gezeichnet. Die sind ganz einfach zusammenzufassen: Der Feind ist der Gegenpol eines rechten Flanderns und somit links und französischsprachig. Aber es ist nicht französischsprachig und links, worüber N-VA-Chef Bart De Wever sich ärgert, sondern der Verrat ist flämisch und rechts.
Der OpenVLD-Vorsitzende Lachaert hat sich nicht so verhalten, wie die N-VA ihn eingeschätzt hatte. Und auch von der CD&V ist De Wever schwer enttäuscht. Er fragt sich, in welchem anderen demokratischen Land die zwei größten Parteien beiseite geschoben werden; er erzählt aber nicht, dass er seine Oppositionsrolle zum größten Teil sich selbst zu verdanken hat.
De Standaard kommentiert die Situation in Antwerpen. Dort will Bürgermeister De Wever die gewalttätigen Auseinandersetzungen im Drogenmilieu mit massiver Polizeipräsenz bekämpfen. Die Zeitung meint: Eine echte Lösung für das Problem liegt nicht so sehr in Antwerpen sondern in Brüssel. Sie steckt auch nicht so sehr in Panzerwagen, sondern in der Gesetzgebung.
Und sie kommt auch nicht mit massiver Anwesenheit lokaler Polizisten in den Straßen, sondern auch in massiven Investitionen, in Mittel und Personal bei der föderalen Polizei. Denn die föderale Polizei hat den gesetzlichen Auftrag und die dazu gehörenden Kompetenzen, um eine gründliche Untersuchung im Bereich Organisierter Kriminalität durchzuführen.
Deshalb ist es auch unbegreiflich, dass sie das in Antwerpen tun muss, mit gerade mal ein paar dutzend Ermittler und Polizeiwagen, die zu alt sind, um in die Umweltzone überhaupt hinein fahren zu dürfen. Ähnliche Klagen gibt es übrigens auch von der Antwerpener Staatsanwaltschaft zu hören. Die hat ein Drittel zusätzlicher Magistrate nötig, um überhaupt alle Drogendossiers abarbeiten zu können.
Gefährliches Klima
La Libre Belgique beschäftigt sich mit der immer lauter werdenden Kritik an der Corona-Politik. Es ist beruhigend, dass man versucht, aus dem Umgang mit der Krise zu lernen. Weniger beruhigend sind allerdings die Folgen. Die Pandemie hat einen Großteil der Bürger dazu gebracht, sich in Verschwörungsthesen zu verlieren.
Dieses gefährliche Klima spielt denen in die Karten, die ohne jegliche Grundlage behaupten, dass Covid-19 eine einfache Grippe sei, die Pharmalobby sehr mächtig sei, dass Chloroquin Wunder bewirken würde, eine Impfung gefährlich, das Maskentragen unnötig und die Pandemie sowieso ein weltweiter Schwindel sei.
Schleichend haben – getragen von Angst und Leugnung – diese Parolen alle Gesellschaftsschichten erreicht. Angesichts einer solchen Gesundheitskrise mit unzähligen Folgen, ist Anti-Wissenschaft eine heimtückische Bedrohung, die man nicht ignorieren sollte.
Volker Krings