"Affäre Chovanec: Warum es noch immer sehr viele Fragen gibt nach Jambons Gegenoffensive", titelt Het Belang van Limburg. "'Sie haben das Dossier im Kabinett Jambon nie ernst genommen'", schreibt Gazet van Antwerpen auf Seite eins. "Polizeigewalt: Jambon weiter in Erklärungsnot", so die Überschrift beim GrenzEcho.
Am Dienstag muss Jan Jambon vor dem Kammerausschuss aussagen. Nachdem er durch immer neue Enthüllungen aber immer stärker unter Druck geraten war, trat er mit einer Pressekonferenz am Samstag die Flucht nach vorne an. Der damalige föderale Innenminister und jetzige flämische Ministerpräsident räumte dabei ein, sich doch mit dem slowakischen Botschafter getroffen zu haben. Auch wenn er sich nicht an den Inhalt des Gespräches erinnere, so Jambon.
Jambon hatte die Pressekonferenz in aller Eile einberufen. Er musste den Medien unbedingt zuvorkommen. Hätte die Presse sein Treffen mit dem slowakischen Botschafter gemeldet, bevor er selbst es zugeben konnte, wäre ein Rücktritt unabwendbar gewesen, ist De Morgen überzeugt. Seine Glaubwürdigkeit hat Jambon mit seiner Erzählung über einen "Kommunikationsfehler" nicht wiederherstellen können. Im Gegenteil. Das Bild eines schwach agierenden Ministerpräsidenten hat sich noch verstärkt. Und wer die Pressekonferenz gesehen hat, musste den Eindruck bekommen, dass die Affäre Chovanec für die Mannschaft von Jambon eine Bagatelle war. Und dass der Ministerpräsident es für nötig befunden hat, zu erklären, warum er seiner Meinung nicht zurücktreten muss, war gerade angesichts der Todesumstände von Jozef Chovanec einfach unpassend, kritisiert De Morgen.
"Arrogante" Kommunikation
Die N-VA wusste, dass sie nicht mehr bis zum Kammerausschuss am Dienstag warten konnte, analysiert Het Belang van Limburg. Das Bekanntwerden neuer Informationen hatte Jan Jambon und seine ganze Partei in einem immer schlechteren Licht dastehen lassen. Dass die Pressekonferenz in Brasschaat stattgefunden hat, wo Jambon Bürgermeister ist, zeigte, dass selbst der "starke Jan" den Heimvorteil brauchte.
Zum dritten Mal hat Jambon jetzt seine Version der Geschichte anpassen müssen. Dass bei ihm die Alarmglocken nicht geschrillt haben, obwohl sich ein Botschafter in drei Monaten zweimal über den Tod eines seiner Bürger im Polizeigewahrsam beklagte, ist nicht nachvollziehbar. Man muss sich nur mal vorstellen, wie wir reagieren würden, wenn das einem Belgier in einer slowakischen Polizeizelle passiert wäre – und der zuständige Minister nur mit einem "Ich kann mich nicht erinnern", reagiert hätte. Natürlich geht es in dieser ganzen Angelegenheit nicht nur um Jambon. Aber selbst bei der N-VA hat man begriffen, dass der Ministerpräsident mit seiner arroganten Kommunikation die ganze Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat. Und damit seine Glaubwürdigkeit beschädigt hat, so Het Belang van Limburg.
Mehr Verwirrung statt mehr Klarheit
Für Het Nieuwsblad ist der Versuch Jambons, die Kontrolle über die Kommunikation in der Affäre Chovanec zurückzugewinnen, nicht allzu gut gelaufen. Statt für mehr Klarheit hat er für mehr Verwirrung gesorgt. Vor dem Kammerausschuss morgen wird Jambon mehr liefern müssen. Sonst wird der "starke Jan" hinterher noch schwächer dastehen. Auch innerhalb der eigenen Partei, besonders wenn die in der Opposition landen sollte. Aus allem, was wir bisher wissen, wird aber vor allem eines deutlich: Der Tod eines Menschen nach einem "energischen" Polizeieinsatz war für alle Ebenen eine leidige Nebensache, die man so schnell wie möglich vergessen wollte. Diese allgemeine Reaktion ist das eigentlich Beunruhigende in der Akte Chovanec, betont Het Nieuwsblad.
Es mag Jan Jambon geglückt sein, zu zeigen, dass er kein Lügner ist, glaubt Gazet van Antwerpen. Das spricht ihn aber nicht frei von dem Vorwurf, in der Affäre Chovanec zu wenig unternommen zu haben. Seine "Vergesslichkeit" ist vielleicht noch peinlicher als Lügen. Zeigt sie doch, dass der Tod von Jozef Chovanec für den Minister und sein Kabinett nicht wichtig genug war. Und was nicht wichtig ist, vergisst man schnell. Trotz aller Warnsignale haben Jambon oder seine Mitarbeiter den Ernst der Ereignisse nicht gesehen.
Im umgekehrten Fall hätte Belgien doch zumindest erwartet, dass die Slowakei die Angelegenheit nicht auf die leichte Schulter genommen und sie verfolgt hätte. Selbst auf diesen Gedanken ist man im Kabinett Jambon aber nicht gekommen. Alle Warnlampen blieben aus. Lag das daran, dass man mit dem Tod eines Slowaken durch mögliche Polizeigewalt nicht punkten konnte? Oder war man bei Jambon gegen menschliches Leid abgestumpft? Wo war der Gerechtigkeitssinn, der doch die wichtigste Antriebskraft jedes Politikers sein sollte? Das sind die Fragen, die sich Jambon und seine Mitarbeiter stellen müssen. Und hoffentlich bekommen die Angehörigen von Jozef Chovanec auch eine Antwort darauf, kommentiert Gazet van Antwerpen.
Moralische Autorität verspielt
Um in Belgien überhaupt Aufmerksamkeit für das tragische Schicksal ihres Mannes zu bekommen, sah sich die Witwe von Jozef Chovanec gezwungen, die Videoaufnahmen vom Polizeieinsatz öffentlich zu machen, erinnert De Standaard. Und das Land reagierte geschockt. Aber anstatt sich zu fragen, wie das passieren konnte, warum die Untersuchung so schleppend verlief und wie man so etwas in Zukunft vermeiden kann, scheint die Priorität von Jambon darin zu liegen, seine eigene Haut zu retten.
Pressekonferenz hin oder her, Jambon ist angezählt. Er mag auf seinem Posten bleiben, aber so wie vorher wird es nie mehr sein. Um echte Führungskraft auszustrahlen, braucht es moralische Autorität. Und genau die hat Jan Jambon durch sein Auftreten in der Affäre Chovanec verspielt, ist De Standaard überzeugt.
Boris Schmidt