"Akte Chovanec – hat Jambon gelogen?", fragt Het Belang van Limburg auf Seite eins. "Polizeigewalt – Jan Jambon in der Klemme", schreibt das GrenzEcho. "Affäre Chovanec wird zur politischen Polemik", so der große Aufmacher bei Le Soir.
Der Tod des 38-jährigen slowakischen Geschäftsmanns Jozef Chovanec in einer Arrestzelle des Flughafens Charleroi schlägt weiter hohe Wellen.
Der Tod von Chovanec durch Herzstillstand drei Tage, nachdem er von Polizisten am Flughafen Charleroi "ruhiggestellt" wurde, ist zu einer öffentlichen und polemischen Angelegenheit geworden, hält Le Soir fest. Die bisherigen Anhörungen haben bereits deutlich gemacht, dass Fehler gemacht worden sind. Und, dass das Ganze ein Skandal ist.
Unerklärlich und nicht hinnehmbar ist, dass es zweieinhalb Jahre gedauert hat, um überhaupt eine Rekonstruktion des Vorfalls zu genehmigen. Und das auch nur unter dem Druck des geleakten Überwachungsvideos. Das kann man nicht mit einer Überlastung der Justiz entschuldigen. Das Video allein hätte schon dafür sorgen müssen, dass die Angelegenheit möglichst schnell aufgeklärt wird. Gerade, weil Polizeibeamte beteiligt waren.
Unerklärlich und nicht hinnehmbar ist auch, dass keine Strafmaßnahmen ergriffen worden sind. Polizisten, die in flagranti bei einer Misshandlung, bei Sadismus und bei einem Angriff auf die demokratischen Werte erwischt wurden. Unerklärlich und nicht hinnehmbar ist schließlich, dass die Polizistin, die den Hitler-Gruß gezeigt hat, nur versetzt worden ist. Es ist nicht nur die Familie von Jozef Chovanec, die Aufklärung und Konsequenzen fordert, sondern auch die belgische Gesellschaft, meint Le Soir.
Versagen des Rechtsstaats
Die Ausschusssitzung der Kammer hat leider mehr Fragen aufgeworfen, als sie beantwortet hat, kommentiert De Tijd. Innenminister De Crem sagte, dass sein Vorgänger Jan Jambon schon im Juli 2018 in Kenntnis gesetzt wurde. Jambon, der das zunächst bestritten hatte, sagt jetzt, dass er sich an nichts erinnert. Er erklärte auch, dass erst die geleakten Bilder der Angelegenheit eine Tragweite gegeben haben, die aus dem neutralen Bericht, den sein Kabinett erhalten hatte, nicht hervorging. Für eindeutige Schlussfolgerungen fehlt noch Klarheit über viele Details.
Aber einige Dinge sind sehr wohl deutlich: Es ist nicht normal, dass Polizeibeamte Witze machen und den Hitler-Gruß zeigen, während neben ihnen ein Mann stirbt. Es ist nicht normal, dass ein Innenminister nicht auf der Höhe ist, was den Tod eines Menschen in einer belgischen Polizeizelle angeht. Und es ist nicht normal, dass sich eine Untersuchung so quälend langsam hinschleppt und dass eine Rekonstruktion in einem solchen Fall zunächst verweigert wurde. Der Tod von Josef Chovanec ist ein Versagen des Rechtsstaats. Das Gewaltmonopol des Staates ist missbraucht worden. Die Regeln sind nicht befolgt worden. Kontrolle, Aufsicht und Berichterstattung waren mangelhaft, beklagt De Tijd.
Kollektiver Gedächtnisverlust
Unsere Politiker sind gestern also von einem kollektiven Gedächtnisverlust getroffen worden, spottet Het Nieuwsblad. Das macht die ganze Angelegenheit nur noch peinlicher. Trotz des Sturms haben sich die Politiker beeilt, ihre Regenschirme aufzuspannen. Glaubt man ihrer Version der Geschichte, liegt die Schuld bei der föderalen Polizei, die die Vorfälle heruntergespielt hat, und bei der Staatsanwaltschaft, die das hingenommen hat. Das ist dann auch ein politisches Problem für Jan Jambon und auch für Justizminister Koen Geens. Sie sind vielleicht nicht belogen worden. Die ganze Wahrheit hat man ihnen aber auch nicht erzählt. Die Angelegenheit war ungewöhnlich genug, dass in den jeweiligen Kabinetten die Alarmglocken hätten schrillen müssen. Das kann und muss besser erklärt werden. Anstatt die heiße Kartoffel wie so oft einfach immer weiter zu reichen, bis sie irgendwann im Nirgendwo landet, fordert Het Nieuwsblad.
Nichts illustriert die Erosion politischer Autorität in Belgien besser als das Verwässern des Konzepts der politischen Verantwortung, wettert De Standaard. Verantwortlich scheinen Minister nur dafür zu sein, woran sie sich persönlich erinnern können. Und das Gedächtnis ist, wie jeder weiß, fehlbar. Vielleicht hören die peinlichen Enthüllungen für Jambon hier auf. Aber der Schaden ist angerichtet. Jan Jambon ist der Minister, der von nichts weiß, der seine Dossiers nicht kennt. Und der das gar nicht so schlimm findet.
Die Minister tragen aber nicht allein Verantwortung. Die Spitze der föderalen Polizei, die Staatsanwaltschaft, Untersuchungsrichter, die betroffenen Ärzte – sie alle hielten die Angelegenheit so klein wie möglich. Fehlverhalten bei der Polizei ist ein Riesen-Tabu. Darüber wird geschwiegen. So kann es eitern. Und jetzt, wo die Beule geplatzt ist, stinkt es bis an die höchsten Stellen, so De Standaard.
Bedeutung von Bildern
L'Avenir setzt Jozef Chovanec in eine Reihe mit George Floyd, der bei einem Polizeieinsatz in Minnesota erstickt war, und mit Jacob Blake, der vor vier Tagen in Wisconsin sieben Polizeikugeln in den Rücken bekommen hat. Alle drei Fälle verbindet nicht nur mutmaßliche Polizeigewalt, sondern auch eine gewisse Form von Rassismus. Und sie haben nur deshalb für Aufsehen gesorgt, weil schockierende Bilder existieren.
Die Affäre Chovanec wäre nie ins Rollen gekommen, wenn die Familie nicht das Video verbreitet hätte, weil ihr niemand zuhören wollte. Genau wie ein Schwarzer, der auf dem Bürgersteig um sein Leben kämpfte, oder ein anderer, der kaltblütig in den Rücken geschossen wurde, kaum Schlagzeilen gemacht hätten, wenn sie nicht gefilmt worden wären, ist L'Avenir überzeugt.
Boris Schmidt