"Ein historischer Nationalfeiertag", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. Het Laatste Nieuws spricht sogar vom "seltsamsten Nationalfeiertag aller Zeiten". "Eine Würdigung unserer Helden", so die Schlagzeile von La Dernière Heure.
Zum Nationalfeiertag gab es gestern coronabedingt ein "Alternativprogramm", wie auch das GrenzEcho schreibt. Kein Defilee, kein Feuerwerk, dafür eine Hommage an die "Corona-Helden": das medizinische Personal, die Sicherheitskräfte, aber auch die Mitarbeiter von öffentlichen Verkehrsbetrieben, Supermärkten und Reinigungsfirmen. Daneben standen auch noch die Weltkriegsveteranen im Mittelpunkt.
"Nicht die zweite Backe hinhalten!"
Das war aber nur einer von vielen Blickpunkten an einem ereignisreichen Tag. Im Anschluss an die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag hat ja ein Konzertierungsausschuss stattgefunden: Vertreter aller Regierungen haben erneut über die Corona-Lage beraten. "Es sind wieder Verschärfungen im Gespräch", so fasst das GrenzEcho die Ergebnisse zusammen. Le Soir und Het Laatste Nieuws sind präziser: "Die Maskenpflicht könnte ausgeweitet werden", so beide Blätter sinngemäß. "Alle Lichter stehen auf Rot, neue Lockerungen sind erstmal vom Tisch", schreibt De Standaard.
Und eine besorgniserregende Schlagzeile auf Seite eins von Het Belang van Limburg: "Der Beginn der zweiten Welle ist in den Krankenhäusern schon spürbar". "Wir müssen uns besinnen!", fordert nachdrücklich La Dernière Heure. Sowohl individuell als auch kollektiv müssen wir uns jetzt am Riemen reißen. Die erste Welle der Corona-Krise hat uns einen heftigen rechten Haken versetzt und uns groggy in die Seile geworfen. Wir sollten jetzt nicht noch die zweite Backe hinhalten.
Historisches Abkommen, hoher Preis
Nach vier Tagen und vier Nächten ist der EU-Gipfel zu einer Einigung gelangt. De Tijd und L'Echo sprechen von einem "historischen Abkommen für die wirtschaftliche Wiederbelebung der EU". Le Soir ist nuancierter: "Ein historisches Abkommen, allerdings verbunden mit Opfern".
Viele Leitartikler bewerten den Gipfel mit gemischten Gefühlen. Beschlossen wurde ein 750 Milliarden Euro schweres Corona-Paket. Die Einigung war aber eine Schwergeburt, meint sinngemäß De Tijd. Es ist ein heftig umkämpfter Kompromiss. Wobei man zugeben muss, dass ja erst einige Hindernisse aus dem Weg geräumt werden mussten, die bislang als Tabus galten: Erstmals wird die EU in eigenem Namen Geld an den Finanzmärkten leihen können, eine Vergemeinschaftung der Schulden also. Parallel dazu wird die EU künftig die Möglichkeit haben, eigenes Einkommen zu generieren, sprich: Steuern zu erheben. Auch das war bis vor Kurzem noch undenkbar. Hier wurden also doch diverse bislang rote Linien überschritten. Insofern darf man also bei allen Misstönen doch das Wort "historisch" in den Mund nehmen.
Der Deal ist nicht ideal, aber doch so lebenswichtig, meint L'Echo. Erstmals werden sich die EU-Staaten gemeinsam verschulden, um denen zu helfen, die am schlimmsten von der Corona-Krise betroffen waren. Klar, dass man einen solchen Paradigmenwechsel erstmal ausdiskutieren muss. Wobei: Da hat zuweilen der Ton nicht gestimmt. Die Art und Weise, wie die "sparsamen" nördlichen Staaten mit den südlichen umgesprungen ist, die war phasenweise regelrecht demütigend. Die Gruppe um die Niederlande und Österreich hatte zu allererst die eigenen Interessen vor Augen. Dabei sind es die nördlichen Staaten, die erwiesenermaßen am meisten vom Euro und vom Binnenmarkt profitiert haben. Nein, das Abkommen ist bei weitem nicht perfekt. Aber immerhin steht die EU am Ende wieder geeint da.
"Die EU ist stärker, bleibt aber zerbrechlich"
Das sehen einige Blätter nuancierter. Man kann das Glas halb voll oder halb leer sehen, meint sinngemäß La Libre Belgique. Klar: Auf der einen Seite wurden Dinge beschlossen, die noch vor drei Monaten als undenkbar galten, eben die Vergemeinschaftung der Schulden. Das mag ein Indiz dafür sein, dass die EU dazu imstande ist, aus ihren Fehlern zu lernen. Der Preis allerdings war hoch: Die Mitgliedstaaten haben sich streckenweise richtig gefetzt. Die Spannungen zwischen nördlichen und südlichen Ländern wurden nochmal angeheizt. Die EU kommt vielleicht stärker aus dem Gipfel heraus, ist aber nach wie vor zerbrechlich.
Auch Le Soir beklagt die Opfer, die gebracht werden mussten, um die Einigung erreichen zu können. Allen voran die Niederlande haben ein neues Prinzip etabliert: Der wirtschaftliche Pragmatismus einzelner Länder wiegt schwerer als die Brüderlichkeit unter den Völkern, Eigeninteresse statt Solidarität. Und eine Folge davon ist, dass einige europäische Programme regelrecht zusammengestrichen werden mussten. Das tut dem europäischen Projekt nicht gut. Hoffentlich war es das wert.
Britische Niederländer?
Die angeblich sparsamen Staaten sorgen dafür, dass die anderen mehr bezahlen müssen, beklagt auch De Standaard. Die Niederlande haben mit Bravour die Rolle übernommen, die bislang die Briten gespielt haben. Es wirkte fast, als empfinde der niederländische Premier Rutte Freude daran, den anderen ins Schienbein zu treten. Auch das ist offensichtlich der Preis für Solidarität.
Allein das GrenzEcho kann dem Gipfelergebnis offensichtlich so gar nicht Positives abgewinnen. Vier Tage und Nächte lang hat die EU ihre innere Zerrissenheit zur Schau gestellt. Der Kompromiss hat tiefe Wunden gerissen. Und es ist zudem ein fauler Kompromiss. Wer gehofft hatte, die EU werde endlich Großes vollbringen, der bleibt enttäuscht.
Der Kommentar von De Morgen klingt wie ein salomonisches Fazit: Das Abkommen verdient bestimmt keinen Schönheitspreis, meint das Blatt. Und erst die Geschichte kann die Ergebnisse abschließend bewerten. 750 Milliarden Euro werden in die Hand genommen, doch müssen die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten jetzt erst noch was damit anstellen, Mehrwert produzieren. Erst, wenn das gelungen ist, darf man das Wort "historisch" in den Mund nehmen.
50 Tage
Einige Zeitungen blicken auch noch auf die neuesten innenpolitischen Entwicklungen. "PS und N-VA sind am Zug", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen. "Endlich am Zug", schreibt Het Nieuwsblad und zeigt ein Foto von Bart De Wever. "Sie geben sich 50 Tage", bemerkt L'Avenir.
50 Tage, um endlich die Egos auf Seite zu setzen, meint Het Nieuwsblad. 50 Tage, um die Schützengräben zu verlassen und Kompromisse zu schließen, die dem Land weiterhelfen. 50 Tage, um die Grundlage zu schaffen, um dem Land aus dem haushaltspolitischen Morast zu helfen. 50 Tage, um zu vermeiden, dass der Durchschnittsbürger am Ende jegliches Vertrauen in die Politik verliert. 50 Tage, um zu retten, was noch zu retten ist.
Wenn das nicht gelingt, dann sind Neuwahlen der letzte Ausweg, meint Het Belang van Limburg. Und das sollte doch für beide Parteien letztlich Ansporn genug sein.
Roger Pint