Drei Fragen stehen im Vordergrund: Steht ein Comeback der Liberalen an? Kann die Kluft zwischen Nord und Süd noch überwunden werden? Und schließlich: Braucht das Land eine Notregierung?
(Erstmal) außen vor…
"Der König lässt die Liberalen auf der Ersatzbank"
So titelt heute De Standaard. De Morgen geht noch einen Schritt weiter: "Albert II. ignoriert die Liberalen".
Nach dem vorläufigen Ende der Verhandlungen über eine neue Staatsreform fordert ja die nationalistische N-VA einen vollständigen Neustart. Das kann, nach Ansicht der Partei von Bart De Wever, auch ein Veränderung der bisherigen Konstellation beinhalten. Im Klartext: Es müsse auch darüber nachgedacht werden, gegebenenfalls die Liberalen mit ins Boot zu hieven. Der König scheint demgegenüber aber erst mal an der bisherigen Siebenparteienformel festzuhalten. Nach Informationen von De Morgen und De Standaard wurden die beiden liberalen Parteien bislang nicht zu den anstehenden Konsultationen in den Palast eingeladen. Doch beide Blätter sind sich einig: Was nicht ist, kann ja noch werden.
…stehen Liberalen dennoch bereit
Die Liberalen laufen sich indes offensichtlich an der Seitenlinie warm. Das gilt in erster Linie für die frankophone MR.
Fast alle großen Zeitungen bringen heute Interviews mit MR-Spitzenpolitikern. In La Libre Belgique etwa weit Altmeister Louis Michel den Vorwurf zurück, die MR habe hinter den Kulissen das Scheitern der Verhandlungen betrieben. Zugleich bricht Michel eine Lanze für mehr finanzielle Eigenverantwortung für die Teilstaaten. Und wenn das mit einer Verarmung von Brüssel oder der Wallonie einhergeht, so sagt Sohn Charles Michel in De Morgen, nun gut, wir müssen unserer Bevölkerung endlich die Wahrheit sagen. Davon abgesehen, Verarmung droht eigentlich nur dann, wenn man die falsche Politik führt.
Pro und contra "blau"
Het Belang van Limburg richtet in diesem Zusammenhang aber eine deutliche Warnung an die Flamen: man darf Reynders und Co. im Moment nichts glauben. Die Liberalen wollen unbedingt dabei sein. Wenn es dann einmal so weit ist, dann reihen sie sich wieder in die frankophone Front ein. Fazit: An der Siebenparteienkonstellation führt kein Weg vorbei.
Das Börsenblatt L'Echo sieht das anders: Es gibt vielleicht tausend gute Gründe, um die MR außen vor zu lassen. Nur muss man ehrlich sein: Wenn die Siebenparteienverhandlungen gescheitert sind, dann ist es doch legitim, auch mal eine andere Formel auszuprobieren. Allerdings, so räumt das Blatt ein, dürften PS, cdH und Ecolo wenig Lust haben, Didier Reynders zum Retter zu verklären.
Abgrundtiefe Kluft
Ob mit oder ohne die Liberalen: Der Graben zwischen Nord und Süd ist tiefer denn je. La Libre Belgique etwa bringt eine lange Liste der Nettigkeiten, die sich Flamen und Frankophone da in den letzten 48 Stunden an den Kopf geworfen haben.
Die Kluft war zu keinem Zeitpunkt in den letzten Jahren größer als jetzt, konstatiert auch Het Nieuwsblad. Dabei sollten sich doch alle darüber im Klaren sein, dass man schon bald wieder miteinander reden muss. Im Augenblick dürfte es aber für den Palast schon unglaublich schwierig werden, überhaupt noch jemanden zu finden, der noch die Rolle des Vermittlers übernehmen will.
Der Vertrauensbruch ist gewaltig, analysiert auch De Morgen. Die Frankophonen fühlen sich von der N-VA hintergangen. Und das ist verständlich. De Wever hat offensichtlich schriftliche Abkommen nicht respektiert. Die Frankophonen hoffen jetzt, dass die anderen flämischen Parteien diese Einschätzung teilen. Da irren sie sich. Im Augenblick wagt es kaum jemand, De Wever auch nur zu kritisieren, geschweige denn anzugreifen.
Offener Brief
Die Brüsseler Tageszeitung Le Soir wendet sich in einem offenen Brief an Bart De Wever: "Haben Sie wirklich sechs Wochen gebraucht, um festzustellen, dass das, was auf dem Tisch lag, doch nicht ausreicht? Ist das vielleicht ein Zeichen dafür, dass Sie nicht wirklich einen Plan haben - oder dass Sie vielleicht doch etwas anders im Schilde führen?" fragt das Blatt den N-VA-Chef. "Ein ganzes Land wartet auf Antworten."
Viele Probleme…
Ein Land, das im Übrigen mit großen Herausforderungen konfrontiert ist. L'Echo etwa hat einen Expertenbericht einsehen können. Daraus geht hervor, dass im Budget 2011 derzeit zwei Milliarden Euro fehlen, um haushaltspolitisch auf Kurs zu bleiben.
De Morgen bringt die alarmierende Meldung, wonach das Vertrauen der Märkte in die belgische Kreditwürdigkeit seit Montag bröckelt. Konsequenz: Die Staatsschuld wird teurer.
…doch wer soll sie lösen?
Der König hat also Yves Leterme zu Hilfe gerufen, wie unter anderem L'avenir auf seiner Titelseite hervorhebt. Das Blatt zitiert einen Politikwissenschaftler, der davon ausgeht, dass der Palast die amtierende Regierung Leterme in ein Notkabinett umwandeln will. Damit verbunden: Eine Ausweitung der Befugnisse.
Het Laatste Nieuws hält das für eine schlechte Idee. Es soll also eine Regierung im Amt bleiben, die vom Wähler abgestraft wurde? Das ist demokratisch undenkbar. Dann kann man Wahlen ja gleich abschaffen. Zu regieren, das ist Aufgabe von Di Rupo, De Wever und Co. Vor allem De Wever muss jetzt Verantwortungsbewusstsein an den Tag legen.
Den Druck aufrechterhalten
De Standaard schließlich ist da nuancierter. Man kann sich an den fünf Fingern abzählen, dass die Verhandlungen über eine neue Staatsreform noch eine ganze Weile dauern werden. Das liegt in der Natur der Sache, da gerade die finanziellen Aspekte bei der Konstruktion eines neuen Belgiens genauestens geprüft werden müssen. Das könnte mitunter sogar ein halbes Jahr in Anspruch nehmen. Klar: Schon bald steht der Haushalt an, und auch die Tarifverhandlungen für die Privatwirtschaft. Diese Probleme müssen gelöst werden, wenn sie sich stellen. Wichtig ist aber, dass der Druck auf die den Verhandlungspartner aufrechterhalten wird, damit sich die Gespräche nicht ewig hinziehen.