Für die PS muss es eine klassische Dreierkoalition sein, oder Neuwahlen, so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Eine klassische Dreierkoalition scheint die einzige Lösung zu sein", schreibt auch das GrenzEcho. L'Echo versieht das Ganze mit einem Fragezeichen: "Ist eine Dreierkoalition wirklich die letzte Möglichkeit vor Neuwahlen?".
Die beiden sozialistischen Parteivorsitzenden Conner Rousseau und Paul Magnette haben nach ihrer so genannten "Schnüffelrunde" eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen. In erster Linie sind sie der Ansicht, dass eine so genannte "klassische" Dreierkoalition aus Christdemokraten, Liberalen und Sozialisten die einzige lebensfähige Konstellation wäre.
Das größte Problem ist aber, dass dieses Bündnis keine Mehrheit hätte. "Jetzt richten sich alle Augen auf Premierministerin Sophie Wilmès", titelt Het Belang van Limburg. In den Augen von Rousseau und Magnette sollte jetzt Sophie Wilmès das Heft in die Hand nehmen.
"Die Regierungsparteien arbeiten aber an einem Gegenentwurf", berichtet De Standaard. Ein möglicher Alternativvorschlag könnte demnach schon heute vorgelegt werden.
Unglücklicher Ausblick auf die "Zeit danach"
Man hätte von den beiden sozialistischen Parteienpräsidenten mehr erwartet, so das kritische Urteil von Le Soir. Die Alternative für eine Regierung ohne Mehrheit soll also eine Regierung ohne Mehrheit sein. Dieser erste Ausblick auf die "Zeit danach", also nach der Corona-Krise, das ist nicht der glücklichste. Vor einigen Monaten hatte es noch geheißen, dass ein größeres, externes Ereignis möglicherweise die Parteien dazu bringen könnte, sich zusammenzuraufen und ihre diversen Vetos über Bord zu werfen. Ein solches externes Ereignis, das haben wir erlebt. In hundertfacher Dimension. Doch selbst das hat keine Bewegung in die Frontlinie gebracht.
Die einzig positive Neuigkeit ist, dass eine klassische Dreierkoalition über mehr Sitze verfügen würde als die aktuelle Regierung. Das war's aber auch schon, meint auch Het Nieuwsblad. Denn: Diese Konstellation hätte eben immer noch keine Mehrheit. Mehr als ein Notszenario ist das auch nicht. Hier geht es nur darum, Neuwahlen zu verhindern.
Schuld sind die beiden größten Parteien des Landes, N-VA und PS, die sich weiter wie kleine Kinder gegenseitig die Schuld für alles Mögliche zuweisen. Naja, es gibt vielleicht noch einen positiven Aspekt: Bislang hat keine der drei traditionellen politischen Familien den Vorschlag abgeschossen. Das ist historisch insofern, als es das erste Mal ist, dass ein Vorschlag nicht nach wenigen Minuten schon im Mülleimer gelandet ist.
Relative Mehrheit in einer relativen Demokratie
"Noch nicht Nein zu sagen, heißt es denn auch Ja?", fragt sich leicht sarkastisch Het Belang van Limburg. Vor allem die aktuellen flämischen Regierungsparteien CD&V und OpenVLD hüllen sich im Moment in ohrenbetäubendes Schweigen. Die N-VA wird es ihnen danken. Der Punkt ist, dass viele flämische Christdemokraten und Liberale nach wie vor der Ansicht sind, dass eine neue Föderalregierung über eine Mehrheit in Flandern verfügen sollte.
Und De Tijd schließt sich dieser Meinung an. Paul Magnette sprach von einer "relativen Mehrheit". Kreativ ist er, das muss man dem PS-Präsidenten lassen. Im Grunde will er mit diesem Begriff aber nur davon ablenken, dass er ein Kaiser ohne Kleider ist. Er liefert einen klapprigen Vorschlag, der auf keinem festen Fundament steht. Der soll also 543 Tage nach dem Sturz der Schwedischen Regierung nun der Weisheit letzter Schluss sein. Eine Minderheitsregierung also, die das Wahlergebnis in keiner Weise ernst nehmen würde. Die Demokratie ist also auch relativ.
Eine instabile und wenig nachhaltige Minderheitsregierung
Andere Zeitungen sind nicht ganz so kritisch. So hanebüchen ist der Vorschlag nun auch wieder nicht, meint etwa De Morgen. Natürlich wäre eine Koalition aus PS und N-VA naheliegend. Nur funktioniert das eben nicht. Es gibt kein gegenseitiges Vertrauen. Und im Gegensatz zu früher hat man auch nicht an diskreten Kommunikationskanälen gearbeitet.
Man mag das alles bedauern, aber man muss letztlich damit leben. Minderheitsregierungen sind jedenfalls nicht unüblich. In Schweden, Dänemark oder Norwegen funktioniert das im Moment. Und diese Länder sind nicht für Chaos bekannt.
Auf diese Tatsache verweist auch L'Echo. Minderheitsregierungen können durchaus funktionieren, wenngleich es diese Tradition in Belgien nicht gibt. Doch gleich wie man es dreht: Diese Konstruktion bliebe instabil, wacklig und wohl wenig nachhaltig.
Eine kreative und sogar legitime Idee
"Warum nicht?", scheint auch Het Laatste Nieuws zu sagen. Wir müssen der Realität ins Auge sehen: Im Moment ist der Wurm drin. Eine Diagnose trifft auf alle Landesteile zu: Die Angst verlahmt die Politik. Im Norden ist es die Angst vor den Rechtsextremisten, im Süden ist es die Angst vor den Linksextremisten.
Zudem gibt es kein Vertrauen, vor allem zwischen PS und N-VA. All das sorgt dafür, dass letztlich nicht regiert wird. Eine Minderheitsregierung kann also eine kreative und sogar legitime Idee sein. Wobei: In erster Linie ist es die Offenbarung der eigenen Schwäche. Der viel gerühmte belgische Kompromiss scheint irgendwie verloren gegangen zu sein.
La Libre Belgique scheint da fast schon wehmütig zu werden. Der sozialistische Vorschlag wäre bestenfalls eine Verlegenheitslösung, meint das Blatt sinngemäß. Klar: Neuwahlen wären mit Sicherheit auch nicht besser. Es muss sich jedenfalls was bewegen. Alle Länder haben einen Plan zur Wiederbelebung ihrer Wirtschaft. Alle, nur Belgien nicht. Wenn wir nicht aufpassen, dann können wir unsere wirtschaftlichen Schmuckstücke bald nur noch in einem angestaubten Fotoalbum bewundern.
"75 Mal Herzlichen Glückwunsch für den Allergrößten"
Viele Zeitungen machen schließlich mit Geburtstagsgrüßen auf. "Alles Gute zum 75. Geburtstag, Eddy Merckx", schreibt La Dernière Heure auf Seite eins. Het Laatste Nieuws ist blumiger: "75 Mal Herzlichen Glückwunsch für den Allergrößten".
Roger Pint