"Belgien testet schon im Juli einen Corona-Impfstoff am Menschen", titelt Het Laatste Nieuws. Gazet van Antwerpen formuliert es ähnlich: "Belgischer Pharmariese testet schon im Juli einen Corona-Impfstoff an Belgiern". Durchgeführt wird die Untersuchung durch das belgische Traditionsunternehmen Janssen Pharmaceutica, das ja inzwischen zum Pharmakonzern Johnson & Johnson gehört.
Die Testreihe war eigentlich erst für September geplant. Die bisherigen Forschungsergebnisse waren aber offensichtlich so vielversprechend, dass man schon zwei Monate vorher beginnen kann. Wenn alles gut geht, dann steht vielleicht im ersten Quartal kommenden Jahres ein Corona-Impfstoff zur Verfügung.
Der große Graben zwischen Realwirtschaft und Börse
Im Fokus stehen aber auch weiter die wirtschaftlichen Folgen der Krise. "Die Wirtschaft stürzt ab, die Börse startet durch", so die Aufmachergeschichte von Le Soir. Seit April steigen die Kurse wieder. Als wäre nichts gewesen. Es ist, als ignorierten die Börsen die düsteren Aussichten für die Weltwirtschaft, meint das Blatt.
Vor allem das Tempo dieses Höhenflugs hat viele Experten überrascht, analysiert L'Echo in seinem Leitartikel. Hier wird deutlich: Der Graben zwischen der Realwirtschaft und der Börse, zwischen der Main Street, also der Hauptstraße, und der Wall Street, dieser Graben wird mit jedem Tag größer.
Der US-Technologieindex Nasdaq hat gerade einen neuen Rekordstand erreicht. Schaut man auf die Börse, dann könnte man fast vergessen, dass wir die schlimmste Wirtschaftskrise erleben seit der Großen Depression in den 1930er Jahren.
Wichtig ist, dass jetzt eine Debatte stattfindet
Auf vielen Titelseiten sieht man heute aber auch Fotos von ziemlich ramponierten Statuen von König Leopold II. So ein bisschen überall im Land wurden Denkmäler zu Ehren des zweiten Königs der Belgier beschmiert und beschädigt. Seit dem Wiederaufflammen der Rassismus-Debatte sind auch die Gräueltaten, die im Namen von Leopold II. im Kongo verübt wurden, wieder im Fokus.
"Der Sockel unter Leopold II beginnt zu wanken, titelt denn auch De Standaard. De Morgen formuliert es etwas anders: "Leopold II wackelt überall". Het Nieuwsblad geht einen Schritt weiter: "Leopold II fällt überall von seinen Sockel".
"Ist das wirklich eine angemessene Antwort?", fragt sich Het Nieuwsblad. Müssen die Denkmäler, die an Leopold II. erinnern, wirklich abgebrochen werden? Die Frage stellen sich sogar Menschen, die mit Leopold II. ebenfalls ein Problem haben. Man kann sich also einig sein und doch Meinungsverschiedenheiten haben.
Das wohl einleuchtendste Argument ist wohl die Frage: Wo hört das auf? Vergreifen wir uns danach an Gottfried von Bouillon oder an Julius Caesar? Ein totaler, alles umfassender Bildersturm wäre keine gute Idee. Wichtig ist doch in erster Linie, dass jetzt endlich eine Debatte stattfindet.
Jahrzehnte lang haben wir es geschafft, an den Leopold-Standbildern vorbei zu laufen, ohne uns mal Fragen zu stellen. Wenn die Beschädigungen von Statuen letztlich die Diskussion in Gang bringen, dann sind wir schon einen ganzen Schritt weiter. Insofern kann das Ganze nur ein Anfang sein.
Der Kern des Problems
Het Belang van Limburg sieht das genauso. Der derzeit zu beobachtende Ikonoklasmus nimmt zuweilen bizarre Formen an. In London etwa wurde ein Denkmal, das Winston Churchill gewidmet ist, mit der Aufschrift "Rassist" versehen. Gut, der Mann war sicherlich ein Produkt seiner Zeit. Aber muss dafür das Standbild eines Politikers weichen, der als Einziger den Nazis die Stirn geboten hat? Was ja nicht heißt, dass die Diskussion über Leopold II. nicht legitim wäre.
Zu lange ist dieses Kapitel unserer Vergangenheit unterbelichtet geblieben. Dennoch die Frage: Wenn man alle Leopold-Denkmäler verschwinden lässt, ändert das wirklich etwas am Kern des Problems? In keinem EU-Land ist die systematische Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund so ausgeprägt wie in Belgien.
Es geht vor allem um die eigentliche Botschaft
Genau auf diesen Punkt geht auch Gazet van Antwerpen näher ein. Internationale Studien beweisen, dass Menschen mit nicht-belgischen Namen in Belgien definitiv geringere Aussichten haben auf einen Job oder auf eine Wohnung. Das Problem ist nirgendwo in der EU so groß wie hier. Aus einer Studie der KU Löwen geht hervor, dass viele Menschen eine Haushaltshilfe mit marokkanischem Namen schlichtweg nicht wollen.
Das ist reiner Rassismus. Insofern hatte die Anti-Rassismus-Kundgebung am vergangenen Sonntag insbesondere in Brüssel denn auch absolut ihre Existenzberechtigung. Die Kritik, vor allem wegen der nicht eingehaltenen Social-Distancing-Regeln mag in diesen Corona-Zeiten legitim sein. Alle, die ausschließlich darüber gewettert haben, die haben die eigentliche Botschaft nicht begriffen.
Perspektivwechsel
Das Zerstören der Denkmäler, das jedenfalls hilft sicher nicht der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels unserer Geschichte, meint auch das GrenzEcho. Vielmehr wäre eine intensive, kritische und tabulose Aufarbeitung unserer kolonialen Vergangenheit dringend vonnöten. Die gehört nicht auf die Müllhalde, sondern in die öffentliche Debatte. Und, selbstverständlich, in den Geschichtsunterricht an unseren Schulen.
Wie wäre es mit einem Gedankenexperiment?, meint sinngemäß Le Soir. Sollten wir nicht einmal die Hemisphären umdrehen? Welchen Blick wirft ein Mensch von der Südseite des Globus auf die Geschichte? Anders gefragt: Wie fühlt sich die Geschichte an, wenn Europa mal nicht im Zentrum steht?
Wir hier können uns das nicht vorstellen. Wir werden erst mit dieser Perspektive konfrontiert, wenn Menschen sich an Statuen des Kolonisten-Königs vergreifen. Weil man es uns nicht anders beigebracht hat. Die Geschichte darf nicht ein politisches Instrument sein, um Identität oder nationale Mythen in Beton zu gießen. Geschichtsunterricht dient nicht nur dazu, die Vergangenheit besser zu verstehen, sondern vor allem, um sich besser in das Hier und Jetzt einzufügen.
Roger Pint