"Emotionaler Abschied von George Floyd", titeln gleichlautend Het Nieuwsblad, Het Belang van Limburg und das GrenzEcho. "Letzte Ehre für George Floyd, einem Helden wider Willen", schreibt Le Soir auf Seite eins. Am Dienstag hat in Houston im US-Bundestaat Texas die Trauerfeier für George Floyd stattgefunden.
Der 46-Jährige war in Folge eines brutalen Polizeieinsatzes ums Leben gekommen. Viele Redner riefen vor den Trauergästen zur Überwindung von Rassismus auf. "Sein Tod hat etwas zum Leben erweckt, das größer ist, als er selbst", zitiert De Morgen einen von ihnen.
Die Geschichte ist keine rein europäische
Der gewaltsame Tod von George Floyd hat ja so ein bisschen überall in der Welt die Diskussion über Rassismus wieder angefacht. Auch in Belgien. "Die Kolonialzeit darf im Unterrichtswesen nicht mehr ausgeblendet werden", schreibt De Standaard auf Seite eins. In vielen Schulen wird die belgische Kolonialvergangenheit nicht oder nur verzerrt durchgenommen. In Flandern soll sich das jedenfalls bald ändern.
Und das war längst überfällig, meint De Standaard in seinem Leitartikel. Die Geschichte ist nicht allein eine europäische. Immer noch sehen wir unsere Vergangenheit durch eine europäische, weiße, paternalistische Brille. Im flämischen Unterrichtswesen soll jetzt ein Umdenken stattfinden.
Doch, um wirklich was zu ändern, reicht nicht der Geschichtsunterricht. Um unsere angebliche europäische Überlegenheit wirklich infrage zu stellen, braucht man auch andere Kanäle. Angefangen damit, dass man Intellektuellen mit Migrationshintergrund mehr Aufmerksamkeit schenken sollte.
Die Anerkennung eines unsagbaren Leids
In Belgien konzentriert sich die Diskussion vor allem auf die Statuen von König Leopold II. Dass wir darüber überhaupt noch streiten müssen, ist eigentlich schon bekloppt genug, findet De Morgen. Hier wurde einem Mann buchstäblich ein Denkmal gesetzt, dessen Erbe bestimmt keine Würdigung verdient.
Es gibt da zwar keine wirklich gesicherten Zahlen, aber es besteht doch kein Zweifel daran, dass Leopold der Zweite mit seinen gierigen Raubzügen im Kongo für den Tod von Millionen von Menschen verantwortlich war. Das wussten im Übrigen auch schon seine Zeitgenossen.
Und doch ist es so schwer, die Standbilder zu Ehren dieses Räuberkönigs aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Selbst flämische Nationalisten werden plötzlich zu bornierten, belgizistischen Royalisten, wenn diese Frage aufgeworfen wird. Letztlich geht es hier um Einsicht, die Anerkennung eines unsagbaren Leids.
Het Nieuwsblad ist nicht wirklich von dieser Argumentation überzeugt. Natürlich haben die Menschen, die gegen Rassismus und Polizeigewalt protestieren, vollkommen recht. Natürlich muss man jegliche Form von Diskriminierung bekämpfen. Die Demonstranten sollten sich aber nicht dazu verleiten lassen, einen Kampf um Symbole zu führen, um falsche Standbilder oder den Zwarte Piet.
So verändert man nämlich nicht die Mentalitäten in unsere Gesellschaft, die nach wie vor viel zu nonchalant und tolerant mit Rassismus umgeht. Und das ist das eigentliche Problem. Der Tod von George Floyd sollte in jedem Fall auch hierzulande der Startpunkt sein für eine Debatte, die wir schon längst hätten führen müssen. Um aus dem Kampf gegen Rassismus endlich eine politische Priorität zu machen.
"Die wahren Zahlen der Coronakrise"
Knallerschlagzeile derweil auf Seite eins von Le Soir: "Die Masken des Verteidigungsministeriums entsprechen nicht den Sicherheitsnormen", schreibt das Blatt. Die Rede ist hier von den Masken, die der Föderalstaat versprochen hatte und die inzwischen eingetroffen sind. Das Verteidigungsministerium hatte sich um den Ankauf gekümmert, bestellt wurde bei einer Luxemburger Firma. Allerdings: Die Masken sind anscheinend nur bis 30 Grad waschbar; und das ist zu wenig.
Apropos Coronakrise verspricht La Dernière Heure auf ihrer Titelseite die "wahren Zahlen der Coronakrise". Die wohl wichtigste steht wohl auch auf Seite eins von De Tijd: eine große, rote "50". 50 Milliarden Euro, das ist das für dieses Jahr erwartete Haushaltsdefizit.
Dieses Land muss endlich regiert werden, fordert deshalb Le Soir in seinem Leitartikel. Um Belgien aus dieser Krise herauszuführen, bedarf es dringend politischer Führung. Konkret bedeutet es, dass wir einen Konjunkturplan brauchen. Wobei schon in dieser Frage keine Einstimmigkeit herrscht.
Die Nationalbank etwa sieht nicht die Notwendigkeit eines Planes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und ohnehin hätten wir nicht das Geld dafür. Was heißt das? Müssen wir am Ende beten, um dass der deutsche oder französische Regen auch unser Land bewässert? Belgien als simpler Trittbrettfahrer? Wir brauchen dringend einen Piloten im Cockpit.
Das GrenzEcho sieht das ähnlich. "Sind die Zahlen nicht schon schlimm genug?", fragt sich das Blatt sinngemäß. Man prognostiziert Abertausende von Arbeitslosen, ein Haushaltsdefizit von zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wer im politischen Brüssel angesichts dieser Aussichten immer noch nicht begriffen hat, dass die Politik für die Menschen da ist, und nicht das Land für seine Parteien, der sollte schleunigst sein Mandat zurückgeben. Elf Millionen Belgier haben in der Krise zusammengehalten, da sollten es doch zehn Parteien schaffen, ein auf die Menschen und deren Zukunft ausgerichtetes Regierungsprogramm zustande zu bringen. Jetzt!
"Links von links von links"
Einige Zeitungen blicken mit einer Mischung aus Befremden und Besorgnis auf die Ereignisse bei der sozialistischen Gewerkschaft FGTB. Der bisherige FGTB-Vorsitzende Robert Vertenueil wurde von seiner Basis gestürzt. Auslöser war ein Treffen mit dem MR-Präsidenten Georges-Louis Bouchez.
Unerlaubt! Unerhört! Verrat! Bei der FGTB darf man also noch nicht mal mehr mit Andersdenkenden reden, wettert Het Laatste Nieuws. So weit ist es jetzt also gekommen. In Flandern sollte man diese Episode nicht unterschätzen. Hier sieht man, wie eng auch der Handlungsspielraum von PS-Chef Paul Magnette ist. Wenn die rote Gewerkschaft schon auf die Barrikaden geht, wenn einer mit der MR spricht, wie sollen sich dann PS und N-VA versöhnen können?
Wir haben ein FGTB-Problem, meint auch De Tijd. Wie heißt es so schön: Demokratie, das ist eine organisierte Meinungsverschiedenheit. In der Praxis bedeutet das, grob gesagt, einen zivilisierten Dialog zu führen. Wenn ein Gespräch jetzt schon reicht, um einen FGTB-Präsidenten aus dem Amt zu jagen, dann spricht das Bände. Hier wird offensichtlich, wie sehr sich gewisse Teile des linken Spektrums radikalisiert haben.
Man kann es drehen und wenden, wie man will. Über dieser Geschichte hängt der Schatten der marxistischen PTB, meint La Libre Belgique. Die Partei an sich hat hier wohl nicht die Strippen gezogen. Wohl aber sind ihre Ideen und Positionen längst in die rote Gewerkschaft eingesickert. Der neue Vorsitzende des wallonischen Arms der FGTB etwa gilt als "links von links von links".
Kernaufgabe einer jeden Gewerkschaft, das ist der Dialog, meint auch L'Echo. Dialog mit den Sozialpartnern, Dialog mit den Parteien. Das ist ein historisches Fundament des belgischen Sozialmodels. Vertenueil und Bouchez haben über einen neuen Sozialpakt gesprochen. Angesichts der derzeitigen Krise bestimmt eine richtige und wichtige Initiative. Robert Vertenueil hatte recht.
Roger Pint