"Frankreich, Italien, Spanien, Kroatien: Wohin dürfen die Belgier reisen? Und zu welchen Bedingungen?", fragt sich La Libre Belgique auf Seite eins. Die Zeitung analysiert die möglichen Urlaubsziele der Belgier, auch vor dem Hintergrund, dass das ja nicht nur in der Hand der belgischen Behörden liegt. Griechenland will ja zum Beispiel bis auf Weiteres keine Belgier ins Land lassen, dies offenbar, weil die belgischen Corona-Zahlen zu hoch lagen.
"In diesem Sommer werden wir höchstens zweieinhalb Stunden im Flugzeug sitzen", so derweil die Aufmachergeschichte von Gazet van Antwerpen. Demnach wollen viele Airlines in einer ersten Phase auf kürzere Flüge setzen. Dies unter anderem, um zu vermeiden, dass die Passagiere zu lange eine Maske tragen müssen.
"Trotz Corona – Brussels Airlines startet mit vollen Flugzeugen", notiert seinerseits Het Nieuwsblad. Die belgische Fluggesellschaft wird am 15. Juni ihren Betrieb wieder aufnehmen. Offenbar will man aber gar nicht erst versuchen, die Abstandsregeln einzuhalten. So sollen etwa keine Sitzplätze freigehalten werden. "Das ist nicht optimal", zitiert das Blatt den Virologen Marc Van Ranst. Andererseits werde aber auch in Zügen oder Trams kein Abstand eingehalten.
Erwartet wird ein starkes, gemeinsames Signal
Das ist wohl nur einer von ganz vielen Gründen, die zahleiche Bürger davon abhalten, wieder vor die Türe zu gehen, bemerkt Het Nieuwsblad. Trotz aller Lockerungen haben viele Menschen Angst, ihren Kokon zu verlassen. Das ist in vielen Fällen aber unbegründet. Die Corona-Zahlen sind im Moment so tief wie lange nicht mehr. Das haben wir uns selbst zu verdanken, die wir die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen eingehalten haben. Jetzt wurde die Tür hin zur Normalität noch ein Stückchen weiter geöffnet. Und davon sollten wir im anstehenden Urlaub alle profitieren.
Die Urlaubspläne sorgen bei vielen Belgiern immer noch für Kopfzerbrechen, kann Het Belang van Limburg nur feststellen. Die wichtigste Frage ist da, welche Länder uns überhaupt rein lassen wollen, selbst innerhalb der Schengen-Zone. Das ist bedauerlich. Die Schengen-Zone mit ihren offenen Grenzen ist wohl eine der großen Errungenschaften des europäischen Integrationsprozesses, und das für Bürger und Betriebe gleichermaßen.
Der Corona-Albtraum hatte dem erstmal ein Ende bereitet. Die Mitgliedstaaten schlossen unkoordiniert und ohne Absprachen ihre Grenzen. Sie igelten sich ein, als gäbe es kein Europa. Heute werden die EU-Innenminister über die Frage entscheiden, wie der Urlaub in Europa konkret aussehen soll. Man kann nur hoffen, dass die Mitgliedstaaten heute ein starkes Signal aussenden und endlich wieder zu einer gemeinsamen Vorgehensweise zurückfinden.
Danke Angela! Danke Christine! Danke Ursula!
Apropos EU: "Christine Lagarde übertrifft die Erwartungen", so die Schlagzeile von L'Echo. Die Chefin der Europäischen Zentralbank hat gestern angekündigt, dass das Notprogramm der EZB noch ausgedehnt wird. So sollen noch einmal 600 Milliarden Euro in die Märkte gepumpt werden.
L'Echo kann das nur begrüßen. Jetzt kann keiner mehr behaupten, dass Europa nicht seine Verantwortung übernommen hätte, meint das Blatt in seinem Leitartikel. Zuvor hatte ja auch schon die EU-Kommission ein ausgewachsenes Konjunkturprogramm im Gegenwert von 750 Milliarden Euro angekündigt.
Und nicht zu vergessen: Auch Deutschland lanciert einen historischen Konjunkturplan. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dabei betont, dass es ihr dabei nicht nur um Deutschland geht, sondern dass ihre Regierung auch ihre Verantwortung innerhalb der EU wahrnehmen wolle. Natürlich haben sich jetzt nicht mit einem Mal alle Probleme in Wohlgefallen aufgelöst. Doch müssen selbst amerikanische Beobachter zugeben, dass sie vom europäischen Aufbäumen überrascht sind. Ein schöner Sieg! Danke Angela! Danke Christine! Danke Ursula!
De Tijd teilt nicht so ganz diese Begeisterung. Die EZB interpretiert ihren Auftrag mehr denn je sehr breit. Ob der Ankauf von Staatsobligationen in dieser Dimension zu rechtfertigen ist, bleibt umstritten. Nötig ist es allerdings. Daran besteht kein Zweifel. Für Länder wie Italien ist diese Maßnahme beinahe von überlebenswichtiger Bedeutung.
Die Gefahr ist allerdings, dass man sich in Rom und anderen südlichen Hauptstädten daran gewöhnt. Es darf nicht sein, dass einige Länder dauerhaft am EZB-Krückstock gehen. Deswegen müssen Hilfen an Bedingungen geknüpft werden. Wer was bekommt, muss auch was geben. Konkret: Die Länder müssen sich dazu verpflichten, ihre Wirtschaft und ihren Staatsapparat auf Vordermann zu bringen.
Karikaturen verhindern eine nüchterne Debatte
Viele Zeitungen beschäftigen sich heute auch mit der Rassismus-Problematik. Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA infolge eines brutalen Polizeieinsatzes ist die Diskussion auch in Belgien wieder aufgeflammt. Gazet van Antwerpen etwa bringt auf seiner Titelseite die Zeugnisse von Menschen mit Migrationshintergrund, die über ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus und Diskriminierung berichten.
Es ist in der Regel ein subtiler Rassismus, analysiert das Blatt in seinem Leitartikel. Die Dinge werden selten offen ausgesprochen. Vielmehr vermittelt man den Menschen das Gefühl, angeblich minderwertig zu sein. Viel zu oft sind diese Mitbürger mit Vorurteilen konfrontiert, und das nur, weil sie nicht die "richtige" Hautfarbe haben. Dieser subtile Rassismus ist noch schwerer zu bekämpfen. Darüber zu reden wäre aber schon mal ein guter Anfang.
Und das ist in der Tat schon schwer genug, kann auch Het Laatste Nieuws nur feststellen. Schon auf ein Rassismus-Problem hinzuweisen, sorgt mitunter für giftige Reaktionen. Einige wollen diesen Vorwurf schlichtweg nicht hören. Oder sie relativieren, nach dem Motto: "Gehen Sie mal nach Molenbeek, dann sehen Sie, was wirklicher Rassismus ist".
Man darf es aber auch nicht in die andere Richtung übertreiben. Zu behaupten, dass das kleine Mädchen Mawda der belgische George Floyd ist, dieser Vergleich hinkt und macht die Diskussion nicht einfacher. Eine wirkliche Debatte ist aber brotnötig.
Auch De Standaard warnt vor Karikaturen. Belgien ist nicht Amerika. Und Mawda oder Adil sind nicht George Floyd. Durch solche Vergleiche verhindert man nur eine nüchterne Debatte. Wer wirklich gegen diesen subtilen Rassismus vorgehen will, der muss sich ebenso subtil zeigen. Nicht Schuldzuweisungen sollten das Ziel sein, sondern eine allgemeine Verhaltensänderung.
Roger Pint