"Rückkehr zu einem (fast) normalen Leben", titelt L'Echo. De Tijd formuliert es ein bisschen anders: "Die Türe zu einem normalen Leben steht wieder offen", schreibt das Blatt auf Seite eins. Het Nieuwsblad bringt die ab jetzt geltende Philosophie auf den Punkt: "Alles ist erlaubt, mit Ausnahme dessen, was verboten ist".
Der Nationale Sicherheitsrat hat gestern grünes Licht gegeben für Phase 3 der Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen. Sichtbarste Maßnahmen: Die so genannte Vierer-Regel wird aufgehoben. Ab Montag darf jeder pro Woche zehn Personen treffen. "Die Blase platzt", schlussfolgert Het Laatste Nieuws.
Außerdem dürfen Restaurants und Kneipen unter strikten Auflagen wieder öffnen. "Und das muss begossen werden", schreibt La Dernière Heure auf ihrer Titelseite. Gazet van Antwerpen und Het Belang van Limburg sind nüchterner: "Ein Bierchen im Café mit zehn Personen ist wieder erlaubt".
Einige Zeitungen sind aber eher skeptisch beziehungsweise zurückhaltend: "Sind wir eigentlich reif für ein normaleres Leben?", fragt sich etwa De Morgen. "Wir sind frei, aber unter strikten Auflagen", schreiben fast gleichlautend L'Avenir und La Libre Belgique. Die Schlagzeile von De Standaard liest sich wie ein Fazit: "Viel ist erlaubt, aber nichts ist mehr das Gleiche".
"Ein Hauch von Freiheit"
Das Leben wird endlich wieder mit Leben erfüllt, meint etwas pathetisch Le Soir. Endlich wieder die kleinen Freuden, endlich wieder einen Espresso oder ein Bierchen auf einer Terrasse genießen dürfen; endlich wieder einen Tagesausflug unternehmen, sich mit Freunden treffen können. Vorsicht: Dieses Leben, das man uns zurückgibt, das ist noch nicht das normale Leben. Aber: Nach diesen langen Wochen der Entbehrungen sollten wir uns doch zumindest doch für einen Moment lang diesen Lichtblick gönnen.
"Es weht so ein Hauch von Freiheit", freut sich auch La Libre Belgique. Ab jetzt gilt also: "Alles ist erlaubt, außer…". Klar: Die Epidemie ist noch nicht vorbei. Aber: Es geht voran. Und daran besteht kein Zweifel. Abgesehen davon, dass jeder die Lockerungen herbeigesehnt hat, sie sind also auch legitim. Allerdings sind sie nicht wirklich klar, beziehungsweise kohärent.
Beispiel: Kulturveranstaltungen dürfen von bis zu 200 Zuschauern besucht werden. Für Empfänge gilt aber eine maximale Anzahl von 50 Teilnehmern. Verstehe wer will, aber wir wollen uns jetzt nicht die gute Laune vermiesen lassen.
Auch De Morgen findet die gestrige Botschaft "verwirrend". Die Regierungen gehen von einem Extrem ins andere. Und das manchmal sogar im Rahmen ein und derselben Entscheidung. Beispiel: Wir dürfen ab jetzt zehn Personen treffen, aber dann doch lieber nicht umarmen oder küssen. Wir werden also quasi in einem Atemzug wie Erwachsene und dann gleich wieder wie Kinder behandelt. Wirklich klar ist das Ganze jedenfalls nicht. Die Belgier werden jedenfalls kein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen in Erinnerung behalten.
Noch lange kein Freibrief
Andere Zeitungen sind nicht ganz so kritisch. Die Regierung setzt jetzt ganz auf das Verantwortungsbewusstsein eines jeden Einzelnen, analysiert etwa Het Nieuwsblad. Und das ist wohl zielführender und nachhaltiger als eine eher repressive Herangehensweise, bei der man also versucht, die Bürger über die Androhung von Strafen zu disziplinieren.
Natürlich steigt jetzt das Risiko. Aber eigentlich ist es ja nicht so schwer, im Falle eines Falles die Freiheiten wieder einzugrenzen. Wir haben es selbst in der Hand, können selbst dafür sorgen, dass es keinen Yo-Yo-Effekt gibt. Nach allem, was wir in den letzten knapp drei Monaten unter Beweis gestellt haben, ist es aber nicht verboten, ein bisschen an uns selbst zu glauben.
Jetzt liegt es in erster Linie an uns, meint auch De Standaard. Und wir alle wissen, was wir nicht mehr wollen, nämlich eine Rückkehr zum Lockdown. Das bedeutet also, dass wir unsere wieder erlangte Freiheit mit Vorsicht genießen müssen. Die jetzige Strategie der Politik ist jedenfalls psychologisch viel gesünder als ein restriktives Vorgehen mit harter Hand.
Auch Het Laatste Nieuws mahnt zur Vorsicht: Nimmt man die neue Zehner-Regel wörtlich, dann können die Kontakte der Menschen in den nächsten Wochen fast schon astronomische Ausmaße annehmen. Eine vierköpfige Familie kann innerhalb einer Woche 40 Menschen treffen. Und in der darauffolgenden Woche 40 andere. Diese 40 Kontaktpersonen können ihrerseits ja auch jeweils zehn andere Menschen treffen.
Da sind wir theoretisch ziemlich schnell bei 1.600 Kontakten pro Woche. Es ist also eigentlich ein fast schon grenzenloses Vertrauen, dass die Politik den Bürgern entgegenbringt. Und das sollten wir nicht enttäuschen. Wir sollten das alles nicht als Freibrief betrachten, jetzt alle Bremsen zu lösen.
Ein grünes Licht sehen, wenn die Ampel auf Orange steht?
Het Belang van Limburg ist da skeptisch. Die meisten von uns hatten wohl die Nase gestrichen voll von den Corona-Entbehrungen. Natürlich steht die Ampel jetzt lediglich auf Orange. Der gemeine Belgier dürfte da aber ein Grünes Licht sehen. Der Preis für diese Euphorie könnte aber hoch sein.
La Dernière Heure sieht das genauso: In Frankreich etwa haben wir schon gesehen, wie die Dämme brechen können. In den Küstenorten drängelten sich die Menschen vor den Imbissbuden. "Social Distancing" schien da nur noch eine vage Erinnerung zu sein. Auch bei uns besteht die Gefahr, dass die Abstandsregeln schon bald vergessen sind.
In Holland war das nicht viel besser, bemerkt Gazet van Antwerpen. In Niederländisch-Brabant musste sich ein Café-Betreiber entschuldigen, weil seine Gäste mitten in der Nacht eine Polonaise getanzt haben. Selbst im doch so disziplinierten Süd-Korea hat das Nachtleben für neue Infektionsherde gesorgt. Wie werden wir damit umgehen? Die Antwort bekommen wir Montagnacht.
Roger Pint