"In der Kneipe bis Mitternacht", titelt Gazet van Antwerpen. "Der Horeca-Sektor darf wieder bis Mitternacht öffnen", schreibt nüchtern Het Belang van Limburg. "Schluss um Mitternacht, kein Thekenausschank", so die Schlagzeile auf Seite eins des GrenzEcho.
Der Horeca-Sektor fiebert dem 8. Juni entgegen. Allgemein wird erwartet, dass Restaurants und Gaststätten dann wieder öffnen dürfen. Die endgültige Entscheidung muss aber der Nationale Sicherheitsrat Mitte nächste Woche treffen.
Die Vorbereitungen laufen in jedem Fall auf Hochtouren. Die Sozialpartner im Horeca-Sektor haben gemeinsam einen Leitfaden erstellt, in dem eine ganze Reihe von Vorsichtsmaßnahmen aufgelistet wird. So sollen etwa allgemein die Anderthalb-Meter-Abstandregel und eine Sperrstunde um Mitternacht gelten.
Für viele Restaurants und Gaststätten wird es höchste Zeit, dass wieder Geld reinkommt: "Eins von zwei Etablissements im Horeca-Sektor steht vor dem Erstickungstod", bemerkt L'Echo auf Seite eins. Die Schlagzeile von De Tijd klingt noch dramatischer: "Im Horeca-Sektor droht in einigen Städten ein Kahlschlag".
Wirtschaftlicher Tsunami
"Wie steht es um die wirtschaftliche Wiederbelebung in Belgien?", fragt sich derweil Le Soir auf seiner Titelseite. Das Blatt will so eine Art Barometer einführen, das künftig einmal pro Woche veröffentlicht werden soll. Das eigentlich nach dem Vorbild der Gesundheitszahlen: "So, wie wir uns in den letzten zwei Monaten mit der Entwicklung der Corona-Epidemie beschäftigt haben, so muss jetzt unser Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung gelten", erklärt die Zeitung sinngemäß ihre Initiative. Wöchentlich sollen jetzt also die wichtigsten Parameter unter die Lupe genommen werden.
Die Welt ist zu einer doppelten Strafe verurteilt worden, meint Le Soir in seinem Leitartikel. Covid-19 hat zunächst für eine lange Liste von Todesopfern gesorgt, und jetzt droht die massive Vernichtung von Arbeitsplätzen. Kaum ist eine Kurve abgeflacht, da muss man die nächste beobachten.
Das erste Wirtschaftsbarometer ist nicht schön anzusehen. Die meisten Wirtschaftsparameter sind im freien Fall. Die Arbeitslosenzahlen explodieren förmlich. Wie kommen wir aus dieser Krise wieder heraus? Wie lange wird das dauern? Diese Fragen werden in nächster Zeit zweifelsohne im Mittelpunkt des Interesses stehen.
Das ist wohl die zweite Welle, meint La Dernière Heure. Nicht das befürchtete Wiederaufflammen der Epidemie, sondern der wirtschaftliche Tsunami, der auf uns zurollt. Nach den Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen hat es nicht lange gedauert, bis die ersten Unternehmen Jobstreichungen angekündigt haben. Und das ist wohl erst der Anfang. All das droht unsere Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu destabilisieren. Politisch könnten vor allem die Extreme davon profitieren.
"Testen und Tracen"
Im Moment suchen wir erst mal nach Lichtblicken, bemerkt De Standaard in seinem Leitartikel. Leider gibt es da gerade nicht besonders viele, im Gegenteil. Der Luftfahrtsektor liegt am Boden, die Autobauer Nissan und Renault haben Massenentlassungen angekündigt, die Autovermietung Hertz hat Gläubigerschutz beantragt. Die Hoffnung, dass die Wirtschaft nach dem Ende der Coronakrise gleich wieder den Faden aufnehmen und schnell auf das Vorkrisen-Niveau zurückkehren kann, die hat sich längst als Illusion erwiesen.
Der Staat hat viele virtuelle Milliarden in die Wirtschaft gepumpt, um ein allgemeines Absaufen zu verhindern. Doch es gibt sie doch, besagte Lichtblicke. Das Unternehmer-Vertrauen etwa scheint sich zu erholen. Und auch die Verbraucher kommen wieder nach draußen. Das dürfte zwar nichts daran ändern, dass die Abwicklung dieser Krise lange dauern wird. Optimismus ist aber Grundvoraussetzung für Erfolg.
Eine andere, wohl noch wichtigere Grundbedingung ist aber, dass der Prozess der Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen erfolgreich zu Ende gebracht werden kann. Einige Zeitungen sind da aber skeptisch. Auch in dieser Woche hat sich wieder gezeigt, dass es wesentlich einfacher ist, einen Lockdown zu verhängen, als danach wieder alles schrittweise hochzufahren, meint etwa L'Echo.
In Belgien allerdings wirkt das Ganze zuweilen kopflos. Am Anfang schien es ja noch einen Plan zu geben. Viele erinnern sich da noch an die Powerpoint-Präsentation: Phase 1A, Phase 1B, etcetera.
Doch dann fing das Stückwerk an: Eine spontane Lockerung für Muttertag, und dann diese Woche, mitten in der Nacht, kam urplötzlich die Entscheidung, die Kindergärten und Grundschulen wieder zu öffnen. Klar! Man muss sich flexibel auf neue Entwicklungen einstellen dürfen. Doch wirkt das im vorliegenden Fall wie Improvisation. Schade! Nach all den Anstrengungen der letzten Wochen wäre es tragisch, wenn das Vertrauen jetzt in Rauch aufginge.
Und das Schlüsselelement der belgischen Exit-Strategie, das funktioniert nach wie vor nicht, kann De Morgen nur feststellen. Das famose "Testen und Tracen", das gibt es eigentlich nur in der Theorie. Testergebnisse lassen oft auf sich warten. Und beim Tracing hat man nach wie vor die Kinderkrankheiten nicht abstellen können. Es ist offensichtlich, dass der Informationsfluss immer noch nicht funktioniert.
Wird das nicht alles ein bisschen viel? Können wir es uns nach zweieinhalb Monaten Lockdown wirklich erlauben, dass so wichtige Instrumente nicht wirklich einsatzfähig sind? Können wir wirklich sicher sein, dass wir nicht am Ende eine zweite Quarantäne brauchen werden? Die Frage zu stellen, ist sie zu beantworten.
Eine schreckliche Zeitverschwendung
Eine unmittelbare Konsequenz gibt es schon, weiß Het Laatste Nieuws: Griechenland wird im Juni keine belgischen Touristen ins Land lassen. Das hat mit der hohen Zahl an Covid-Todesfällen zu tun. Die Tatsache, dass die belgischen Behörden so naiv waren, selbst nicht bestätigte Covid-Todesopfer zu zählen, die erklärt nicht alles. Gleich wie man es sieht, die Opferzahlen waren zu hoch.
Kopfschütteln auch bei La Libre Belgique. Was für eine Zeitverschwendung, eine schreckliche Zeitverschwendung. Das Management der sanitären Krise ist ein Spiegelbild unserer ursprünglichen Vorbereitung: jämmerlich! Ein Scheitern auf der ganzen Linie. Nichts hat wirklich funktioniert. Und das gilt jetzt also auch für die Kontaktpersonennachverfolgung.
Und warum hat man mit Blick auf das Tracing die Entwicklung einer Smartphone-App von vornherein verworfen? Spätestens jetzt zeigt sich, dass ein elektronisches Tracing mit Sicherheit hilfreich gewesen wäre. Belgien hatte ohnehin schon eine unverhältnismäßig hohe Übersterblichkeit zu verzeichnen. Konnten wir uns da wirklich noch Schludrigkeit oder Nachlässigkeit erlauben? Die Antwort lautet ganz klar Nein.
Roger Pint
Der übliche belgische Schluder in der Politik ist ja meist ärgerlich für Otto- Normalverbraucher. Bezüglich des Kontakt-Tracing kann man ausnahmsweise von Glück sprechen. Der Schluder verhindert noch Schlimmeres, nämlich das nutzlose Schnüffeln des Staates.