"Vandenhaute reißt bei Anderlecht die Macht an sich", titelt Het Nieuwsblad. "Kompany und Vandenhaute ergreifen die Macht", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Wouter Vandenhaute ersetzt Marc Coucke als Vorsitzender", schreibt De Morgen auf Seite eins.
"Beim Fußball-Rekordlandesmeister RSC Anderlecht gibt es erneut ein Stühlerücken; dies jetzt aber gleich auf höchster Ebene". Der Hauptanteilseigner und bisherige Präsident Marc Coucke tritt in den Hintergrund und überlässt Wouter Vandenhaute das Feld.
Dieser Wouter Vandenhaute ist ein in Flandern allgemein bekannter Medien- und Sportmogul und hatte beim Verkauf des RSC Anderlecht auch schon mitgeboten. Marc Coucke hatte ihn ausgestochen, nahm ihn aber später doch als Berater mit ins Boot. Jetzt ist Vandenhaute also doch ganz oben angekommen.
RSC Anderlecht – Ein Musterfall?
Vincent Kompany wird in der neuen Struktur ebenfalls aufgewertet. Auch er erwirbt Anteile an dem Brüsseler Fußballklub. "Ansonsten wäre Kompany weg gewesen", berichtet Het Laatste Nieuws.
"Kompany entscheidet sich für Anderlecht und damit gegen Guardiola", titelt sogar La Dernière Heure. Der spanische Meistertrainer wollte Kompany anscheinend bei Manchester City zu seinem Assistenten machen.
Wie dem auch sei: Marc Coucke bleibt jedenfalls Hauptanteilseigner beim RSC Anderlecht. Und er legt auch nochmal Geld auf den Tisch: "Coucke muss tief in die Tasche greifen, um Anderlecht zu retten", so die Aufmachergeschichte von de Tijd und L'Echo. Man spricht von 40 bis 45 Millionen Euro.
Die Corona-Krise war in diesem neuen Kapitel der Anderlecht-Saga wohl nicht weit, glaubt de Tijd in ihrem Leitartikel. Wie das bei Krisen häufig so ist: Sie wirken als Beschleuniger, bringen schonungslos Probleme und Webfehler ans Licht. Im vorliegenden Fall sind die Unzulänglichkeiten im Businessmodell des Rekordlandesmeisters offensichtlich geworden.
Ein Beispiel: Der belgische Fußball lebt insbesondere von Spielertransfers und Fernsehrechten. Beide Einnahmequellen werden aber in Zukunft wohl weniger hergeben. Anderlecht steht hier im Grunde aber stellvertretend für die Geschäftswelt in ihrer Gesamtheit. Viele Unternehmen sind verzweifelt auf der Suche nach frischem Kapital. Und der Fall Anderlecht zeigt: Wer heute Geld auf dem Tisch legt, der will mehr Macht als früher.
"Das Glück des Einen ist die Wut des Anderen"
Natürlich geht es heute aber auch unmittelbar um die Corona-Krise. "Das Glück des Einen ist die Wut des Anderen", so die Schlagzeile auf Seite eins von Le Soir. Auch L'Avenir spricht von der "Wut einiger Schulen", derer nämlich, die von der Kehrtwende der Politik kalt erwischt wurden.
Und das gilt offensichtlich auch für Flandern: "Das Unterrichtswesen übt stahlharte Kritik an der Politik", schreibt De Morgen auf seiner Titelseite. Die angekündigte Lockerung der Vorsichtsmaßnahmen im Unterrichtswesen sorgt, gelinde gesagt, für gemischte Gefühle. Die Einen sind glücklich darüber, dass deutlich mehr Kinder und Jugendliche wieder in die Schule gehen können. Die Anderen halten diese Maßnahme für überstürzt und unvorsichtig.
Und die Wut ist legitim, findet Le Soir. Dies vor allem wegen der geradezu unfassbaren Kakophonie. Gerade in Bezug auf das Unterrichtswesen. Die Schuldirektoren fühlen sich wie Marionetten.
Nachdem man unzählige Stunden damit verbracht hatte, die unterschiedlichsten Vorsichtsmaßnahmen auszubrüten, gehen in vier Tagen regelrecht die Schleusen auf. Das soll mal Einer verstehen. Das wirkt fast so, als wären viele Vorsichtsmaßnahmen in der Vergangenheit eigentlich gar nicht nötig gewesen.
Und genau dieser Eindruck ist gefährlich, scheint De Standaard einzuhaken. Durch den Schleuderkurs insbesondere im Unterrichtswesen ist viel Vertrauen verloren gegangen. Die Frage lautet jetzt nämlich: Wie glaubwürdig sind alle nötigen Maßregeln, wenn sie morgen schon über Bord geworfen werden können?
Hier wird vor allem das Zusammenspiel zwischen Wissenschaftlern und Politikern in Zweifel gezogen. Schon jetzt haben einige Experten sichtbar darunter gelitten, Entscheidungen mitzutragen, mit denen sie eigentlich nicht einverstanden waren. Vertrauen in die Maßnahmen der Behörden wird aber auch in Zukunft von wesentlicher Bedeutung sein.
"Ein doch recht "kreativer Umgang mit der Wahrheit"
Eine Kommunikationspolitik wie die der letzten Tage sorgt aber bestimmt nicht dafür, dass Eltern, Lehrkräfte und Gewerkschaften beruhigt sein können, glaubt De Morgen. Vorsichtsmaßnahmen, die bis vor kurzem noch als unabdingbar galten, sind quasi über Nacht verschwunden. Und das mitunter aus "rein praktischen Gründen", zumindest kann man diesen Eindruck haben.
Selbst Nicht-Fachleute können hier erkennen, dass mit der Wahrheit doch recht kreativ umgegangen wird. Es mag ja durchaus sein, dass das Risiko tatsächlich überschaubar und die Lockerungen zu rechtfertigen sind. Bei einer solchen Kommunikation muss man sich aber nicht wundern, wenn die Menschen das nicht wirklich glauben.
L'Avenir denkt da vor allem an die Kinder. Man sagt, dass Kinder alles, was sie hören und sehen, geistig aufsaugen wie ein Schwamm. Wenn das wirklich so ist, dann hat die Kakofonie der letzten Tagen ihnen wohl keinen Dienst erwiesen.
Jetzt liegt es an den Erwachsenen, den Eltern, Lehrern und Politikern die Sache wieder geradezubiegen, den Kindern gegenüber die Ernsthaftigkeit an den Tag zu legen, die sie von Erwachsenen erwarten können.
"Die Schuldirektoren zahlen nun die Zeche"
La Libre Belgique ist ihrerseits richtig sauer. Dieses Chaos haben wir im Wesentlichen dem flämischen N-VA-Unterrichtsminister Ben Weyts zu verdanken, meint das Blatt sinngemäß. Er ist alleine vorgeprescht, wahrscheinlich um den Föderalstaat demonstrativ zu ignorieren und die Frankophonen bei der Gelegenheit lächerlich zu machen. Und die Schuldirektoren dürfen für diesen Tiefschlag die Zeche zahlen.
Ben Weyts hat sich über alles und jeden hinweggesetzt, meint auch Het Nieuwsblad. Aber eins muss man ihm lassen: Er versteckt sich dabei nicht hinter anderen, insbesondere nicht hinter den Virologen. So wird auch der Eindruck aus der Welt geschafft, dass die Experten hierzulande die Kontrolle übernommen hätten.
Allerdings sollte das auch für die Zukunft gelten. Wenn es irgendwann mal nicht mehr so gut läuft, dann darf man sich auch nicht hinter anderen verstecken.
Und bald werden wahrscheinlich auch die Restaurants und Cafés wieder geöffnet, bemerkt Het Laatste Nieuws. Als Stichdatum gilt nach wie vor der 8. Juni. Der düstere Pessimismus scheint plötzlich verflogen, jetzt herrscht fast schon Euphorie. Doch das ist verfrüht. Die Kontaktpersonennachverfolgung funktioniert nach wie vor nicht richtig. Der Juni wird definitiv ein riskanter Monat.
Roger Pint