"Es gelingt einfach nicht die Kontaktpersonennachverfolgung zu straffen", titelt De Standaard. Het Nieuwsblad wird konkreter: "Die Kontakt-Tracer tätigen im Moment nur zwei Telefonanrufe pro Tag", schreibt das Blatt. Das Kontakt-Tracing will also immer noch nicht so richtig funktionieren. Dabei ist es gerade in der jetzigen Phase wichtig, im Falle einer Neuinfektion schnell zu ermitteln, mit wem der Betreffende Kontakt hatte. Das Hauptproblem ist offensichtlich, dass der Informationsfluss nach wie vor nicht optimal ist.
"Das kann doch nicht so schwer sein!", wettert De Standaard in seinem Leitartikel. Man muss doch lediglich die Menschen anrufen, die mit einem Neuinfizierten Kontakt hatten. Dass das immer noch nicht funktioniert, ist unbegreiflich. Und das ausgerechnet jetzt! Höchstwahrscheinlich befinden wir uns jetzt in der günstigsten Phase der Epidemie in diesem Jahr.
Die Zahl der Krankenhauseinweisungen und der Neuansteckungen werden wohl lange nicht so niedrig sein wie gerade im Moment. Die Kontakte nachzuverfolgen muss da doch möglich sein. Wenn das jetzt nicht funktioniert, dann hat das ganze Kontakt-Tracing eigentlich keinen Sinn, dann ist es echt nicht möglich, diese Epidemie unter Kontrolle zu bringen.
Kommt die umstrittene Corona-App im Juli?
Es gibt da vielleicht bald neue Möglichkeiten: "Belgien könnte gegen Anfang Juli über eine Corona-App verfügen", so die Aufmachergeschichte von De Tijd. Wobei: Eine solche App wäre ja alles andere als unumstritten. Und schon jetzt gibt es offensichtlich erhebliche Datenschutzbedenken. "Das Projekt, die Covid-19-Daten zu zentralisieren, ist nicht legal", schreibt L'Echo auf Seite eins. Die Datenschutzkommission hat anscheinend den entsprechenden Gesetzesvorschlag regelrecht zerpflückt.
Das Tracing und insbesondere die App, all das macht Angst, kann L'Echo nur feststellen. Und die Bemerkungen der Datenschutzkommission scheinen zu beweisen, dass diese Ängste nicht unbegründet sind. Die angestrebte Zentralisierung der Covid-Daten erscheint unverhältnismäßig, zumal nicht klar ist, warum man das eigentlich machen will. Hier schaut Big Brother um die Ecke. Die Bürger haben das Recht, von der Regierung Antworten auf alle Fragen zu verlangen. Ansonsten wird die Skepsis gegenüber dem Tracing bleiben. Und das hilft letztlich nur dem Virus bei seiner Ausbreitung.
"Die Covid-19-Krise wird die Krankenhäuser insgesamt 5 bis 7 Milliarden Euro kosten", so derweil die Schlagzeile von Le Soir. Das größte Problem ist, dass die Hospitäler wegen der Corona-Krise im Großen und Ganzen alle anderen Aktivitäten einstellen mussten. Und dadurch sind ihnen viele Einnahmen weggebrochen.
"Zwei Krisen in einer"
Im Mittelpunkt der Leitartikel steht aber ein Jahrestag. Het Nieuwsblad erwähnt ihn auch auf seiner Titelseite: "Ein Jahr nach den Wahlen", schreibt das Blatt. Und La Libre Belgique scheint einzuhaken: "Ein Jahr nach den Wahlen hat sich Belgien in einer strukturellen Krise festgefahren". "Und auch Corona macht's nicht einfacher", schreibt das GrenzEcho.
L'Avenir scheint diesen Gedanken ebenfalls aufzugreifen: "Es sind im Grunde zwei Krisen in einer", analysiert das Blatt. Belgien ist, vielleicht bis vor Kurzem noch zusammen mit Israel, das einzige Land, das neben der Corona-Krise auch noch mit einem Vakuum an der Spitze des Staates konfrontiert ist. Im Großen und Ganzen hat sich die Situation auch durch die Corona-Krise nicht wirklich verändert. Immer noch klafft ein Graben zwischen dem Norden und dem Süden des Landes, und auch zwischen der rechten und der linken Seite des politischen Spektrums.
Und, nachdem es in den letzten Wochen vielleicht eine Art Minimalkonsens gegeben hatte, stehen sich jetzt wieder die Blocks mit gezückten Messern gegenüber. Neuwahlen sind nicht mehr auszuschließen. Doch wer sagt, dass sich die Situation danach wirklich verändern wird? Es könnte vielleicht sogar noch schlimmer kommen.
"Sie verdienen mehr"
"Es hat sich nichts verändert", beklagt auch Gazet van Antwerpen. Der Graben zwischen PS und N-VA ist keinen Zentimeter weniger tief geworden. Die wechselseitigen Vetos und Drohungen hören sich immer noch gleich an. Neu ist allerdings, dass jetzt so ungefähr alle davon überzeugt sind, dass die Staatsstruktur optimiert werden muss. Und neu ist auch, dass es jetzt eine Deadline gibt: Im September muss es eine Lösung geben, da dann das Mandat der derzeitigen Regierung Wilmès ausläuft.
Aber wird das etwas daran ändern, dass wir gerade auf dem besten Weg sind, unseren eigenen Rekord in Sachen Regierungsbildung zu brechen? Man würde ja eigentlich drüber lachen. Irgendwann aber nicht mehr. Denn: Irgendjemand wird diese Krise bezahlen müssen. Und es steht zu befürchten, dass Sie und ich das sein werden...
"Sie verdienen mehr", wendet sich auch Het Laatste Nieuws an seine Leser. "Sie verdienen mehr", das war mal ein Wahlslogan der flämischen Sozialisten S.PA. Aber auch im derzeitigen Kontext wirkt der Satz angebracht. Man muss der Realität ins Auge blicken: Dieses Land ist unregierbar geworden. Die Sorgen und Nöten sind einfach nicht mehr die gleichen im Norden und im Süden des Landes. Und, mal ehrlich: Wer jetzt eine Regierung um eine Achse aus N-VA und PS fordert, der plädiert doch eigentlich für eine "konföderale Lösung": eine Föderalregierung, die sich aus Vertretern der Teilstaaten zusammensetzt. Fakt ist jedenfalls, dass in diesem Land inzwischen das institutionelle Chaos regiert. Das haben die sechs Staatsreformen verursacht. Die siebte muss dazu dienen, aufzuräumen.
Es geht um die res publica
Het Nieuwsblad sucht nach der tieferen Ursache. Jeder hat versucht, die jeweils andere Seite auszuräuchern, glaubt das Blatt: Den anderen so lange bearbeiten - oder wahlweise hängenlassen -, bis er einlenkt. Das Resultat ist jetzt aber, dass sich das ganze System selbst ausgeräuchert hat. Jetzt braucht es ein Aufbäumen der politisch Verantwortlichen. Jetzt muss Schluss sein mit den Spielchen. Klar: Eine Regierung zu bilden, das wird schwierig. Aber es gar nicht erst zu versuchen, das ist die Garantie für eine kollektive Bestrafung.
Die Menschen würden gerne aufwachen mit einer "normalen" Regierung, glaubt auch Le Soir. Erspart uns deshalb Euer Zaudern und Eure Streitigkeiten, kümmert Euch stattdessen um die res publica, die Belange des Landes und seiner Bürger. Das und nur das kann das Programm der nächsten Regierung sein. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, Verantwortung zu übernehmen.
Natürlich wird das nicht leicht, hakt auch La Libre Belgique ein. Natürlich erbt diese Generation dieses komplexe Staatsgefüge von ihren Vorgängern. Natürlich sind wir heute mit einer beispiellosen Krise konfrontiert. Dennoch: Jetzt ist es die Aufgabe dieser Generation, dem politischen Engagement einen Sinn zu geben. Schafft sie das nicht, dann werden Historiker irgendwann mal urteilen, dass diese Politikergeneration schlichtweg unfähig war...
Roger Pint