"Verbot, Zweitwohnung zu betreten, unter Zeitdruck aufgehoben", heißt es bei La Libre Belgique auf Seite eins. "Zweitwohnungen – Los geht's", so die Schlagzeile bei L'Avenir. "Zurück an die Küste – Sonne, Meer, Sommerhäuschen", schreibt De Standaard auf seiner Titelseite.
Die meisten Zeitungen machen mit der Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrates auf, Zweitwohnungsbesitzern wieder Zugang zu ihrem Eigentum zu erlauben. Die erfolgte ja quasi gerade noch rechtzeitig vor dem Feiertag.
Grundsätzlich scheint die Entscheidung gerechtfertigt, findet L'Echo. Die gesundheitliche Lage erlaubte sie auf jeden Fall. Und es mutete schon unlogisch an, dass das Zurücklegen größerer Distanzen uneingeschränkt erlaubt war, um Angehörige zu besuchen, aber das Aufsuchen des Häuschens auf dem Land oder an der Küste verboten bleiben sollte.
Aber der von den politisch Verantwortlichen vermittelte Eindruck ist fatal: Es hat den Anschein, dass nicht auf der Basis der Erfordernisse der Volksgesundheit, sondern auf Druck mächtiger Lobbys entschieden wurde. Und dass es hier um die Interessen der Vermögenden ging, während die Kinder in den armen Stadtvierteln weiterhin vor geschlossenen Spielplätzen stehen.
Die Absicht, auf die Menschen zu hören und ihnen Freiheiten zurückzugeben, war ja lobenswert. Aber durch die erneute Kommunikationspanne untergraben die Verantwortlichen das Vertrauen der Bürger in den schrittweisen Abbau der Schutzmaßnahmen. Und darunter könnte auch die Disziplin bei einer erneuten Verschärfung der Epidemie leiden, warnt L'Echo.
Dilettantismus und Kakophonie
Die Kommunikation der Entscheidung hat einmal mehr dem Ruf der Politik geschadet, glaubt auch Het Nieuwsblad. Der flämische Ministerpräsident Jan Jambon war ja vorgeprescht und verkündete den Beschluss schon der Öffentlichkeit, während Premierministerin Sophie Wilmès nur wenige hundert Meter weiter noch nicht so weit war.
Das zeigt, dass verschiedene Politiker es immer noch nicht schaffen, ihre Krisenkommunikation aufeinander abzustimmen. Und Jambons Vorgehen war kein Versehen. Als die Flamen rausposaunten, was eigentlich eine föderale Materie war, ging es darum, die Verdienste laut für sich zu reklamieren. Das Bild, das in den Köpfen der Menschen bleiben wird, ist, dass Jan Jambon die Entscheidung getroffen hat. Die Interessen der eigenen Partei werden selbst in Corona-Zeiten noch über die Interessen der Allgemeinheit gestellt, ärgert sich Het Nieuwsblad.
Het Laatste Nieuws ist irritiert von der Art und Weise, wie die Entscheidung über die Zweitwohnungen zustande gekommen ist. Ein föderaler Beschluss, der von Jan Jambon aus Flandern heraus forciert und gefordert worden ist. Und das durch eine Partei, die nicht mal mit in der Föderalregierung sitzt. Das kriegt nicht jeder hin. Und die versammelten Liberalen haben sich einmal mehr von der N-VA die Butter vom Brot nehmen lassen. Es gibt keine Beschlüsse unserer Regierungen ohne Rauschen in der Leitung. Angesichts der Mehrstimmigkeit von Wilmès, Jambon und Co. kann man nur sagen: Was für ein Dilettantismus und was für eine Kakophonie, giftet Het Laatste Nieuws.
Zumindest an die Schwächsten denken
Für De Standaard verlieren Fragen wie der Zugang zu den Küsten-Apartments, die Fortsetzung der Fußballwettbewerbe oder die Schnelligkeit, mit der die versprochenen Mundschutzmasken geliefert werden, ziemlich an Bedeutung, wenn man bedenkt, was das Coronavirus bedroht – nämlich die mühsam erkämpfte Verbesserung der Lebensumstände von Millionen Menschen auf der Welt.
Die Auswirkungen der Krise könnten noch lange zu spüren sein, selbst zukünftige Generationen könnten noch an ihnen zu tragen haben. Und die indirekten Folgen der Krise könnten schwerer wiegen, als die jetzt sichtbaren und direkten. Wichtig ist auch, festzuhalten, dass nicht alle Menschen gleich stark betroffen sind.
Die besonders anfälligen Bevölkerungsgruppen werden im Vergleich besonders schwer zu leiden haben – in Belgien und auf der Welt insgesamt. Den Rückschlag für die menschliche Fortentwicklung werden wir wohl nicht mehr aufhalten können. Aber zumindest sollten wir versuchen, an die Schwächsten zu denken, wünscht sich De Standaard.
Jetzt, wo die Zweitwohnungsproblematik vom Tisch ist, können wir uns ja wieder anderen Problemen widmen, denkt Het Belang van Limburg. Zum Beispiel der Regierungsbildung. Nächste Woche ist es ein Jahr her, dass wir gewählt haben. Und während die Zweitwohnungsbesitzer jetzt wieder ihren Blick aufs Meer genießen können, sind unsere wirtschaftlichen Aussichten alles andere als rosig.
Die Minderheitsregierung von Premierministerin Wilmès hat unser Land mit wechselndem Erfolg durch die Corona-Krise gebracht, aber sie hat ihre beste Zeit hinter sich. Um die ökonomische Herausforderung zu meistern, brauchen wir eine vollwertige, mächtige und ehrgeizige Regierung, die eine solide Basis in allen Teilstaaten hat. Aber dafür müssen Bart De Wever und Paul Magnette über sich und ihre Parteien hinauswachsen. Vielleicht gelingt das ja dank der Corona-Krise. Andernfalls sind Neuwahlen unvermeidlich. Oder müssen wir noch bis 2024 weiterwursteln, analysiert Het Belang van Limburg.
Ein trügerischer Eindruck
Langsam und schrittweise kehren wir zu einem normalen Leben zurück, hält schließlich L'Avenir fest. Und wenn alles reibungslos verläuft, können wir darauf hoffen, uns diesen Sommer recht frei bewegen zu können. Vielleicht sogar über unsere Grenzen hinaus. Aber dieser Eindruck ist trügerisch.
Die Sorglosigkeit könnte sich als verhängnisvoll herausstellen. Dass die zweite Corona-Welle kommen wird, ist sicher, die Frage ist nur wann und wie heftig. Und sie könnte noch schlimmer als die erste werden, weil das Virus inzwischen viel allgegenwärtiger ist. Aber es liegt eben in der Natur des Menschen, gerne zu vergessen. Die nächste Woche wird entscheidend sein. Wenn wir in den letzten Tagen die Sicherheitsabstände und Regeln nicht eingehalten haben, wird sich das unweigerlich in den Zahlen niederschlagen. Und das wird in gewisser Weise dann der Moment der Wahrheit sein, mahnt L'Avenir.
Boris Schmidt
Aha, es fällt also anderen Menschen auch auf, wie wieder mal gemauschelt wurde!
Gut dem Dinge!
Es ist fatal, dass das Vertrauen in die Politik abnimmt. Um Gesellschaft und Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, ist vor allem Psychologie und Vertrauen gefragt. Nur wie soll das gehen in Belgien mit einem politischen System, das man bestenfalls als organisiertes Chaos bezeichnen kann ? Die flämischen und francophonen Politiker zanken lieber anstatt Problemlösungen zu finden. Die wenigsten sind wirklich kompetent. Zeichnen sich aus durch ein großes Mundwerk und viel Arroganz. Leadership sucht man da vergebens. Alles Voraussetzungen, um die Demokratie in ein schlechtes Licht zu setzen und zu untergraben.