"Merkel und Macron wollen einen europäischen Hilfsfonds von 500 Milliarden Euro", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. "500 Milliarden für die wirtschaftliche Erholung", so die Schlagzeile von De Morgen.
Frankreich und Deutschland haben sich auf einen gemeinsamen Plan verständigt, um den wirtschaftlichen Motor in der EU wieder anzukurbeln. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron wollen ein Konjunkturprogramm auf den Weg bringen mit einem Gegenwert von 500 Milliarden Euro. Das mag, gemessen an den Herausforderungen, noch recht bescheiden sein.
Dennoch: "Merkel und Macron rütteln Europa", titelt Le Soir. Mehr noch: In diesem Plan steckt auch eine kleine Revolution. "Die Kehrtwende von Merkel: Nun doch solidarisch mit Südeuropa", hebt etwa De Standaard auf seiner Titelseite hervor. Es ist nämlich so, dass die EU-Staaten diese 500 Milliarden Euro gemeinsam an den Finanzmärkten leihen würdenund das haben Länder wie Deutschland und auch die Niederlande bislang immer prinzipiell ausgeschlossen.
Konjunkturprogramm von bis zu 50 Milliarden wird gebraucht
Die Staaten denken aber auch über eigene Konjunkturprogramme nach. Für Belgien machen jetzt die Sozialisten einen Vorschlag: "Wir brauchen ein Programm im Gegenwert von 30 bis 50 Milliarden Euro", das fordert PS-Chef Paul Magnette auf Seite eins von De Tijd und auch L'Echo.
"Das Plädoyer des PS-Chefs klingt in mancher Hinsicht richtig", meint L'Echo in seinem Leitartikel. Fakt ist in jedem Fall, dass da jetzt was passieren muss.
Zugegeben: Es gab schon diverse Dringlichkeitsmaßnahmen; nur muss man jetzt einen Gang höher schalten. Belgien droht ansonsten den Anschluss zu verpassen. Dafür braucht man aber eine "echte" Regierung, handlungsfähig, mit einer Mehrheit im Parlament. Und das möglichst sofort, nicht erst im Herbst. Deswegen sollte man jetzt zweigleisig verhandeln: Über das Konjunkturprogramm UND ein Regierungsabkommen.
Aber: "Ceci n'est pas une mince affaire", warnt das GrenzEcho; das wird kein Zuckerschlecken. Wer über eine Regierung verhandelt, der muss auch eine klare Vorstellung der institutionellen Zukunft des Landes haben.
Die Corona-Krise hat am Ende ans Licht befördert, was man zwar wusste, was man aber im Labyrinth der institutionellen Verästelungen gut versteckt glaubte: Der Föderalismus à la belge scheint zwar auf den ersten Blick zu funktionieren; seine Schwächen treten aber offen zutage, wenn es gilt, eine echte Krise zu managen. Ein institutioneller Status Quo ist keine Option.
Ein falsches Dilemma
Aber, allein die Diskussionen über ein Konjunkturprogramm sind auch schon kompliziert genug, meint De Tijd. Hier werden schwierige Entscheidungen und Weichenstellungen getroffen werden müssen. Denn: Im Gegensatz zum Verhängen von Ausgangsbeschränkungen gibt es jetzt wesentlich mehr mögliche Wege.
Paul Magnette etwa will vor allem die Kaufkraft der Bürger stärken. Und das ist eine direkte Reaktion auf die beängstigenden Prognosen der Nationalbank; demnach könnten in Belgien rund 250.000 Arbeitsplätze der Krise zum Opfer fallen. Nur: Ist das wirklich der richtige Fokus? Natürlich muss man verhindern, dass diese Menschen in die Armut abgleiten.
Aber: Man muss auch bedenken, dass die Binnennachfrage für die belgische Wirtschaft längst nicht so wichtig ist wie der Export. Wer also den Motor wieder ankurbeln will, der wird vielleicht pragmatische Entscheidungen treffen müssen: Hier geht es nicht um ein Dilemma, nicht: Entweder die Wirtschaft, oder der Mensch. Wenn der Motor nicht wieder anspringt, dann werden viele Menschen feststellen, dass die Wirtschaft auch etwas mit ihnen zu tun hat...
"Aber, man sollte auf jeden Fall Alleingänge vermeiden", warnt La Libre Belgique, diesmal auf Europa bezogen. Auf den ersten Block kann es so aussehen, als hätten viele Länder jetzt ihren europäischen Esprit wiederentdeckt. Die Aussicht, die Krise hinter uns zu lassen, sollte uns aber nicht übermütig werden lassen.
Beispiel: Italien will seine Grenzen wieder öffnen. Klar, der Grund liegt auf der Hand: Das Land lebt zu einem nicht unerheblichen Maße vom Tourismus. Nur sollte das kein Freibrief für Unvorsichtigkeit sein. Die wirtschaftlichen Herausforderungen zu negieren, das ist Unsinn. Die möglichen Folgeschäden von Alleingängen zu ignorieren, das ist aber auch nicht viel besser...
Lieber ein schlechter Kompromiss als gar keiner
Die Corona-Krise erhöht den Druck auf das ganze System, kann De Standaard nur feststellen. Jetzt, wo zumindest in der sanitären Krise Licht am Ende des Tunnels zu sein scheint, jetzt weicht die Angst dem Ärger. Bestes Beispiel ist der Protest der Pflegekräfte beim Besuch der Premierministerin in einem Brüsseler Krankenhaus.
Doch wenn die Wirtschaftskrise einmal ihre hässliche Fratze zeigt, dann kann der Ärger in Wut umschlagen. Der Verlust des Arbeitsplatzes kann in breiten Teilen der Bevölkerung ein Gefühl von Ungerechtigkeit auslösen. Doch birgt all das auch Chancen: Jetzt kann die Politik auch mal ausgetretene Pfade verlassen, und jetzt können auch neue, fundamentale Kompromisse geschlossen werden. Wer dazu nicht bereit ist, der sollte lieber gleich den Hut nehmen.
Die Coronakrise wird die nächste Regierung zu beispiellosen Entscheidungen zwingen, meint auch Het Laatste Nieuws. Egal, wie diese Regierung nun aussehen mag. Und da gibt es niemanden, der sozusagen "natürlichen Führungsanspruch" erheben könnte: Die Sozialisten, die Liberalen und die N-VA, alle drei repräsentieren ungefähr 16 Prozent der Bevölkerung.
Die größte politische Familie, die aus den Wahlen vom vergangenen 26. Mai hervorgegangen war, das war die der Nicht- oder Weißwähler. Hoffentlich kommt bei den Parteien schnell die Einsicht des eigenen Größenwahns. Klar: Nicht jeder Kompromiss zwischen Feuer und Wasser ist ein ehrenwerter Kompromiss. Aber keine Einigung, das ist die schlimmste aller Optionen.
Unerlaubte Kinderkrankheiten
Het Nieuwsblad ärgert sich darüber, dass das Tracing nach wie vor nicht richtig zu funktionieren scheint. "Die Kontakt-Tracer erreichen erst die Hälfte der Infizierten", schreibt das Blatt schon etwas alarmiert auf seiner Titelseite. Natürlich kennt jedes System Kinderkrankheiten, meint Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel.
Nur: Gerade hier war das eigentlich nicht erlaubt. Hier geht viel Zeit verloren. Und die Vergangenheit lehrt, dass man das schwerlich wieder aufholen kann. In den ersten Wochen der Krise haben wir schon viel Chaos gesehen. Die Frickeleien um das Kontakt-Tracing sind jetzt aber noch ein viel größeres Problem. Die möglichen Folgen können nämlich verheerend sein.
Roger Pint