"Vier heißt vier – aber wie entscheidet man das?", fragt De Morgen auf Seite eins. "Das Dilemma der vier Besucher", heißt es bei De Standaard. Und das GrenzEcho schreibt: "Verwirrende Regelung für Familienbesuche". Hier geht es um die Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrats, dass man ab Sonntag bis zu vier, immer gleiche Personen zu Hause empfangen darf.
Wie laut war der erste Jubel, hält De Morgen in seinem Leitartikel fest. Aber die Ernüchterung folgte schnell. Der Besuch zum Muttertag kann nämlich durchaus Konsequenzen haben. Am Sonntag verschmelzen wir unsere Schutzblase mit einer anderen Schutzblase. Nur die Menschen in dieser neuen, fusionierten Blase dürfen Kontakt zueinander haben, um Infektionsherde schnell eindämmen zu können.
Wir werden also gut nachdenken müssen, mit wem wir die neue Blase teilen wollen. Dabei sollte man nicht nur bedenken, dass das eine Entscheidung für eine Weile sein wird, sondern auch, dass alle Mitglieder des eigenen Haushalts berücksichtigt werden sollten. Besonders Kinder leiden ja unter der sozialen Isolation durch das Coronavirus. Eltern steht deshalb eine harte Wahl bevor – das gleichaltrige Paar mit Kindern, oder doch lieber die eigene Mutter? Und all das muss man vor Sonntag abwägen, erinnert De Morgen.
Küsten-Kleinkrieg
Ein anderes Thema ist das Rumoren an der Küste. Eigentlich sollen Zweitwohnungsbesitzer nicht vor dem 8. Juni wieder in ihre Domizile dürfen. Das stößt vielen sauer auf, unter anderem dem unabhängigen Kammerabgeordneten und Bürgermeister von Middelkerke, Jean-Marie Dedecker. Der polterte gestern im Parlament auch, dass er keine entsprechenden Kontrollen der lokalen Polizei mehr durchführen lassen werde. Wilmès könne ja, wenn sie wolle, die föderale Polizei schicken. Außerdem sei er ein Mann, der gewohnt sei, auch umzusetzen, was er sage, fügte er noch als Drohung hinzu.
Für Het Nieuwsblad gehört diese Debatte zu den Nebenkriegsschauplätzen. Eigentlich wäre das Toben der Küstenbürgermeister zum Lachen, wenn es nicht schlecht und auch etwas heuchlerisch wäre. Während die Bürgermeister den Zweitwohnungsbesitzern erst einmal den Vorzug geben wollen, will der Sicherheitsrat ja nach dem Gleichheitsgrundsatz handeln. Sprich: Jeden an die Küste lassen, sobald das eben möglich ist.
Meist sind die Personen, die zum zivilen Ungehorsam aufrufen, Figuren des politischen Rands. Dass das jetzt öffentlich im Parlament geschehen ist, so etwas hat es bisher noch nie gegeben. Und das ausgerechnet in dem Moment, in dem mehr denn je auf die Verantwortung der Bürger gezählt wird, um die Lockerung der Maßregeln zu ermöglichen. Da müssten doch die politisch Verantwortlichen aller Ebenen mit gutem Beispiel vorangehen. Eine diskrete Nachfrage statt der Profilierungssucht einiger wäre besser gewesen. Seeluft mag gesund sein, für gesunden Menschenverstand sorgt sie aber nicht immer, giftet Het Nieuwsblad.
Gazet van Antwerpen findet, dass Dedecker hier den Kopf verloren hat. Am Montag wollen sich die Bürgermeister der Küste ohnehin treffen, um einen gemeinsamen Standpunkt zu formulieren zur Vorlage beim Sicherheitsrat. Das ist die richtige Vorgehensweise. Nicht, als gewählter Bürgermeister die Maßnahmen der Regierung infrage zu stellen, kritisiert Gazet van Antwerpen.
Wandel – politisch und wirtschaftlich
Le Soir blickt in seinem Leitartikel auf das Thema Regierungsbildung. Mit dem Rückgang der Corona-Zahlen kommt dieses Thema langsam aber unausweichlich wieder auf die Agenda. Nicht, um die Bürger zu ärgern, sondern weil die Regierung Wilmès im besten Fall bis September demokratisch legitimiert ist. Und weil die immensen Herausforderungen in Sachen Gesundheit, Gesellschaft und Haushalt eine stabile Koalition erforderlich machen.
Das Risiko hierbei ist natürlich, dass man etwas, was funktioniert, durch etwas ersetzt, was zwar politisch legitimierter ist, aber auch zerbrechlicher. Andererseits ist es auch die Chance, es besser zu machen. Keine Verhandlungsspielchen mehr, keine Vorab-Ausschlusserklärungen. Und auch zu realisieren, dass man den Bürger mehr in die Entscheidungsfindung integrieren muss. Der wird nämlich kaum ein politisches Theater wie vor der Krise verzeihen, warnt Le Soir.
Mit Wandel in einer anderen Hinsicht befasst sich De Standaard. Noch ist zwar nicht absehbar, wie groß der wirtschaftliche Schaden durch die Pandemie sein wird, aber trotzdem wird allerorten darüber nachgedacht, wie er zu begrenzen ist und wie man die Wirtschaft wieder in Schwung bringen kann. Die Corona-Krise ist auch eine Chance, den ökologischen Wandel hinzubekommen. Dazu muss beim Wiederaufbau unserer Wirtschaft zum Beispiel das Thema Nachhaltigkeit betont werden. Wir dürfen nicht die gleichen Fehler wie nach der Bankenkrise 2008 machen. Damals waren die Treibhausgasemissionen auch erst während der Krise gefallen, nur um dann durch Stimulus-Pakete, die auch fossile Brennstoffe förderten, sogar wieder über das Vor-Krisen-Niveau zu steigen. Jetzt könnte man beispielsweise Fördermittel und Kredite für Unternehmen an Klimaziele koppeln, schlägt De Standaard vor.
Es liegt an uns
L'Avenir schließlich schlägt einen Bogen vom Kriegsende heute vor 75 Jahren zur aktuellen Krise. Natürlich kann man einige schwere Wochen jetzt nicht mit den Schreckensjahren des Zweiten Weltkriegs auf eine Stufe stellen. Aber die dramatischen Umwälzungen damals bedeuteten, dass die Menschen sich neu erfinden mussten. Und sie haben neue Formen der Solidarität hervorgebracht. Was für das Kriegsende galt, gilt ein bisschen auch für das Ende der Corona-Beschränkungen. Es liegt an uns, die Solidarität neu zu erfinden und sie zu definieren, meint L'Avenir.
Boris Schmidt