"Der erste Tag eines anderen Lebens", titelt heute Le Soir. "Weiterleben mit Corona", ist die Schlagzeile von De Standaard. "Corona kriegt uns nicht klein", ist Het Laatste Nieuws überzeugt. Um Mitternacht ist für ganz Belgien der nationale Notfallplan in Kraft getreten. Schulen, Restaurants und Kneipen sind geschlossen, Veranstaltungen abgesagt. Jeder Einzelne ist betroffen.
Wir sind in einem anderen Land wach geworden und machen besser das Beste draus, stellt De Morgen fest. Wir befinden uns auf einem bislang unbetretenen Pfad. Die Notmaßnahmen wegen der Pandemie sind ungesehen. Wo die Bekämpfung der Krankheit Covid-19 an sich eine exakte Wissenschaft bleibt, ist die Reaktion auf die gesellschaftlichen Auswirkungen des Virus ein soziales Experiment. Panik ist sicher nicht nötig.
Lasst uns stattdessen diese Krise nutzen, um neue Möglichkeiten zu entdecken. Viele Unternehmen setzen jetzt zum Beispiel auf Telearbeit – was wir wegen der Klimaveränderung ohnehin machen sollten. Schulen und Universitäten können jetzt ihr E-Learning-Angebot verbessern. Und trotz der verordneten sozialen Distanz können wir dank neuer Technologien doch auch sozialer sein. Zum Beispiel mit Skype-Konferenzen mit den Großeltern oder WhatsApp-Gruppen, um sich in der Nachbarschaft zu organisieren, schlägt De Morgen vor.
Die Krise als Chance
"Der erste Tag ohne Schule, ohne Café, ohne Restaurant, ohne Großeltern", schreibt Le Soir. Der erste Tag, an dem wir den Anderen aus dem Weg gehen müssen, um ihnen zu zeigen, dass wir sie gern haben. Ein Moment des Lebens ohne Leben. Das ist schon seltsam. Der erste Tag eines anderen Lebens. Eines Lebens, um den Tod zu vermeiden.
Aber das muss auch die Herausforderung für die nächsten Wochen sein: Sich nicht unterkriegen lassen, die Zeit nutzen, um an sich und seine Bindungen mit den Mitmenschen zu denken – und warum auch nicht schon einmal an das "Danach" und die anderen Dringlichkeiten. Zum Beispiel das Klima, die Ernährung oder die Sicherheit auf den Straßen, philosophiert Le Soir.
In eine ähnliche Kerbe schlägt zunächst La Libre Belgique: Drei Wochen mindestens und sicherlich mehr, um über den Sinn des Lebens und unser Konsumverhalten nachzudenken; um sich des tollen Gesundheitssystems bewusst zu werden, von dem wir profitieren; um die Arbeit der Ärzte, Krankenpfleger und Arzthelfer zu bewundern.
Drei Wochen mindestens, um wieder Vertrauen in unser politisches System in Belgien zu fassen. Ein System, das von ein paar gewissenlosen Politikern missbraucht wurde, die sich nicht verständigen können und Parteiinteressen vor das Gemeinwohl stellen. Diese Starrköpfigkeit könnte in den nächsten Stunden oder Tagen ein Ende finden. Hat es wirklich eine Pandemie gebraucht, damit Belgien endlich eine Regierung bekommt, fragt sich La Libre Belgique.
Zeit für eine Einigung
Am Donnerstag, als Regierungschefin Sophie Wilmès die Notfallmaßnahmen angekündigt hat, hat sie uns gezeigt, dass sie nicht nur durch Zufall ins Amt gekommen ist, befindet L'Echo. Donnerstagabend ist Sophie Wilmès wirklich Premierministerin geworden. Und nebenbei bemerkt, es war ein perfektes Beispiel des Unterschieds zwischen Entschlossenheit und Aggressivität.
Politik mit weniger Testosteron tut gut. Die politische und institutionelle Krise ist deshalb noch nicht gelöst, sie ist nur in Quarantäne. Aber es ist, als ob die Streitigkeiten zwischen den Sprachgemeinschaften plötzlich überholt seien. Jetzt ist es höchste Zeit, Herr Magnette und Herr De Wever, sich den richtigen Anzug anzuziehen. Wir warten nur noch auf Sie, um die Blockade im Land zu lösen, appelliert L'Echo an die Parteivorsitzenden der N-VA und der PS.
De Standaard fasst die Auswirkungen der Corona-Krise für die Demokratie ein ganzes Stück weiter: Es ist dann, wenn es Tote gibt, die Krise zuschlägt und die Schulden auflaufen, dass wir aufpassen müssen, als Demokratie unbeschadet da herauszukommen. Das beginnt beim Befolgen der Notfallregeln, auch wenn sie lästig sind. Doch je länger die Epidemie andauert, desto mehr wird der Bürgersinn unter Druck geraten. Und dann werden wir einen starken Staat brauchen, der legitimiert ist, um die strengen Notfallregeln durchzusetzen, meint De Standaard.
Ein Stresstest für Ostbelgien
In diesen Zeiten wird deutlich, wie nutzlos und schädlich Falschinformationen sein können, schreibt Het Belang van Limburg. Nehmen wir den Sturm auf das Toilettenpapier. Das ist komplett unsinnig. Genauso wie bei Wasser, Brot oder Salz. Es ist der Drang zum Hamstern selbst, der für Probleme sorgt, weil die Regale nicht schnell genug aufgefüllt werden können.
Wenn wir diese Angstpsychose nicht eindämmen, bringen wir mehr Unheil über unser Land als nötig ist. Lasst uns mit der Panik aufhören. In den nächsten Tagen und Wochen ist es deshalb lebenswichtig, dass gut und zuverlässig informiert wird, fordert Het Belang van Limburg.
Die Erkenntnis der letzten Tage ist, was heute gilt, kann morgen schon obsolet sein, analysiert das GrenzEcho. Damit hat Corona unsere ohnehin schon schnelllebige und globalisierte Welt noch ein Stück unvorhersehbarer gemacht. Das verunsichert viele, es kann ängstigen aber eben auch zusammenschweißen.
Vor diesem Hintergrund brauchen uns die nun getroffenen Entscheidungen der Politiker nicht "in den Kram zu passen". Sie sind dennoch nötig und damit ein Stresstest für das gesellschaftliche Leben in Ostbelgien, wie es ihn in dieser Form noch nicht gegeben hat, schließt das GrenzEcho.
Peter Eßer