Das Foto eines kleinen Motorboots prangt heute auf einigen Titelseiten. Mit diesem Boot hatten gestern Transitmigranten versucht, von De Panne aus nach Großbritannien zu gelangen. Kurz nach dem Ablegen war das Boot aber schon gekentert. Daraufhin war eine große Suchaktion eingeleitet worden, die die ganze Region in Atem gehalten hatte.
Offenbar konnten sich aber alle 14 Insassen retten. "200 Meter weiter und sie wären tot gewesen", bemerkt Het Nieuwsblad im Innenteil. Das Foto zeigt jedenfalls eine regelrechte Nussschale. Man sieht sofort, dass das Schiff nicht gemacht ist, um 14 Menschen zu transportieren, geschweige denn nach England.
Einige Zeitungen sehen in der Geschichte nur ein Symptom. "Die erste Suchaktion ist womöglich nicht die letzte", orakelt De Standaard. "Achtmal so viele Flüchtlinge registriert", titelt seinerseits Het Laatste Nieuws. Gemeint sind Transitmigranten, die vom Kontinent aus mit einem Boot nach Großbritannien wollen.
Im vergangenen Jahr haben geschätzt rund 1.900 Menschen die Überfahrt geschafft. Knapp 2.800 wurden bei dem Versuch aufgegriffen. Insgesamt geht es also um mindestens 4.700 Flüchtlinge; 2018 waren es noch weniger als 600. "Und die Menschenschmuggler nutzen mehr und mehr die schlechte Bewachung an der belgischen Küste aus", notiert Het Nieuwsblad auf Seite eins. Weil die französische Küstenwache ihre Patrouillen intensiviert hat, weichen die Schleuser immer häufiger auf Belgien aus.
"Wir brauchen eine Gegenoffensive"
Es war ein dramatischer Tag an der Küste und ein trauriger Tag in den Sozialen Netzwerken, stellt Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel fest. Kaum war die Meldung raus, dass 14 Transitmigranten mitten im Winter den wahnwitzigen Versuch unternommen hatten, von De Panne aus England zu erreichen, da kochte das Internet auch schon über. Ekelhafter ging kaum. Da wurde offen bedauert, dass nicht alle 14 Flüchtlinge "abgesoffen" waren. Einige wünschten sich, dass noch viele folgen mögen, in der Hoffnung, sie mögen alle draufgehen. Beschämend!
Immerhin haben einige große Parteien gleich entschlossen reagiert, nach dem Motto: Zum Kotzen, das ist nicht mein Flandern! Vom rechtsextremen Vlaams Belang hat man so etwas leider nicht gehört. Das Problem mit den angeblich "sozialen" Medien ist, dass die asozialen Stimmen die lautesten sind. Diese Hetzer müssen übertönt werden. Wir brauchen eine Gegenoffensive.
Nicht als Präzedenzfall geeignet
Auf einigen Titelseiten sieht man auch Lotte und Sophie Nys. Das sind die Schwestern von Tine Nys, die vor zehn Jahren freiwillig aus dem Leben geschieden war. Wegen unerträglicher psychischer Leiden hatte sie Sterbehilfe beantragt, was auch bewilligt wurde. Die drei beteiligten Ärzte müssen sich aber im Moment vor dem Schwurgericht von Gent verantworten.
Nach Ansicht der Familie Nys und auch der Staatsanwaltschaft waren nicht alle erforderlichen Kriterien für die Sterbehilfe erfüllt. Die beiden Schwestern haben gestern in dem Verfahren ausgesagt. "Und dabei konnte es einem kalt den Rücken runterlaufen", bemerkt Het Laatste Nieuws.
Viele Leitartikler glauben, dass der Genter Prozess Signalwirkung haben könnte. "Die Politik hört mit", bemerkt etwa Het Laatste Nieuws in seinem Kommentar. Je nach Ausgang des Verfahrens kann das Urteil konservativen Politikern Munition liefern, um die gesamte Euthanasiegesetzgebung wieder auf die politische Agenda zu setzen. Und damit auch infrage zu stellen. Das allerdings wäre nicht fair. Der Fall Tine Nys darf nie zum Anlass werden, um dieses erworbene Recht wieder zur Diskussion zu stellen. Die Geschichte ist zu außergewöhnlich, um zu einem gleich wie gearteten Präzedenzfall werden zu können.
Und doch ist die Gefahr durchaus real, glaubt De Morgen. Über Sterbehilfe zu reden, ist nie angenehm. Und natürlich ist es für die Familie oft schwierig, eine solche Entscheidung eines geliebten Menschen zu akzeptieren. Der Lebenswille ist einfach zu stark, der Todeswunsch schwer nachvollziehbar. Und natürlich lassen die Worte der Schwestern Nys niemanden kalt. Doch ist das Gesetz, das Sterbehilfe legalisiert, immer noch eine wertvolle und schöne Form von Menschlichkeit. Hoffentlich haben auch noch nach dem Verfahren Ärzte den Mut, Menschen auf diesem schwierigen Weg zu begleiten.
Es geht um mehr, als nur ein Amtsenthebungsverfahren
Andere Zeitungen blicken nach Amerika: Vor dem Senat in Washington hat gestern das Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Donald Trump begonnen. Und das könnte ein folgenschwerer Prozess werden, meint La Libre Belgique. Hier geht es nämlich um mehr. Im Mittelpunkt stehen nicht nur Donald Trump und seine mutmaßlichen Verfehlungen, sondern auch die Institutionen und die amerikanische Demokratie an sich. Hoffentlich sind sich alle Protagonisten der wirklichen Tragweite des Verfahrens bewusst.
Wer Donald Trump wirklich und definitiv absetzen will, der muss mehr ins Feld führen, glaubt Le Soir. Man braucht, nennen wir es mal, eine "Massenverführungswaffe". Populisten präsentieren eine scheinbar kohärente und attraktive Vision der Gesellschaft. Ein vordergründig stimmiges Bild, inklusive vermeintlich einfacher Lösungen. Die Herausforderung für die Demokraten besteht nicht nur darin, eine formaljuristisch lupenreine Attacke auf den Präsidenten durchzuführen.
Der Schutzschild von Donald Trump, das sind nicht nur sein Anwalt oder seine republikanische Mehrheit im Senat, es ist der Rückhalt bei seiner Wählerschaft. Deren blindes Vertrauen, das einer Hypnose gleichkommt, muss man brechen. Und dazu bedarf es nicht nur eines Amtsenthebungsverfahrens, sondern auch einer alternativen und attraktiven Gesellschaftsvision. Kurz und knapp: eines attraktiveren Gegenentwurfs zu den Populisten.
Roger Pint