Die Urteilsverkündung in der Affäre Lernout & Hauspie und der Stand der Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung stehen heute im Mittelpunkt der Kommentare in den belgischen Tageszeitungen.
La Libre Belgique berichtet auf neun Sonderseiten über die hundert Tage Verhandlungen nach den Wahlen. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Vorschläge des PS-Vorsitzenden Di Rupo eine ausreichende Grundlage für ein Regierungsabkommen bilden.
Die Gefahr besteht allerdings, dass die N-VA diese schon wieder als ungenügend abtun wird. Wenn man ein Separatist ist, ist selbstverständlich nur das N-VA Programm ausreichend. Doch man sollte keine Angst haben, denn jede institutionelle Entwicklung kann nur aus Verhandlungen entstehen, die die Standpunkte der Flamen und der Frankophonen respektiert. Eine einseitige Unabhängigkeitserklärung oder die Eingliederung in einen anderen Staat sind unmöglich.
Het Nieuwsblad meint: Jeder muss sich an einige strikte Voraussetzungen halten. Man muss zur Diskretion der ersten Tage zurückfinden. Man muss auch berücksichtigen, dass man doch unter Zeitdruck steht. Wenn man optimistisch ist, kann man eine neue Regierung für Anfang Dezember erwarten. Es wird langsam Zeit, zu entscheiden, ob man zusammen weiter machen will oder nicht. Beide Seiten haben bereits Zugeständnisse gemacht und man kann also hoffen, dass noch andere folgen werden.
Noch einmal hundert Tage
Het Belang van Limburg bemerkt: Vor hundert Tagen haben die Belgier gewählt. Die amtsführende Regierung Leterme hat keine Befugnis, um die haushaltspolitischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme anzupacken. Eine neue Regierung könnte das wohl. Und doch können die Verhandlungen noch einmal hundert Tage dauern, wenn sie nur zu einem Abkommen führen, mit dem das Land zehn oder fünfzehn Jahre weiter bestehen kann. Wir zählen auf Bart De Wever.
Le Soir stellt fest: Das Vertrauen zwischen den Partnern PS und N-VA ist auf den Nullpunkt gesunken. Dennoch will Di Rupo weiter machen. Der PS-Vorsitzende weiß, dass er dazu verurteilt ist, eine Verständigung mit dem N-VA Chef zu suchen. Es wäre undenkbar, über eine Staatsreform zu verhandeln, ohne die beiden stärksten Parteien einzubeziehen.
Lob für den Taktiker Di Rupo
Het Laatste Nieuws behauptet: Der Taktiker De Wever hat in dem Taktiker Di Rupo seinen Meister gefunden. Er hat die N-VA zunächst mit harten Erklärungen und Drohungen, aber auch mit verführerischen Vorschlägen konfrontiert. Gleichzeitig erweckte er Vertrauen bei allen anderen Parteien. Di Rupo legte Vorschläge für ein Gespräch über alle Aspekte der Staatsreform und des Haushalts auf den Tisch. Sture Ablehnung war ab diesem Augenblick keine Option mehr. Doch das bedeutet nicht, dass schon alle Hindernisse überwunden wären. Es kann durchaus sein, dass die N-VA bereits morgen neue Munition findet, um die Verhandlungen abzuschließen, wenn das neue Finanzierungsgesetz nicht ihren Forderungen entspricht.
Das Urteil Lernout & Hauspie
Zum Urteil des Genter Appellationshofs in der Betrugsaffäre Lernout & Hauspie erinnert De Morgen: Viele Menschen haben einen großen Teil ihres ersparten Geldes verloren, während die Lernout & Hauspie-Technologie noch immer nur einen Nischenmarkt bedient, der weit von den Google-Träumen seiner Gründer entfernt ist.
Sie müssen zehn Jahre später bezahlen, mit einer Verurteilung für gefälschte Jahresbilanzen und Urkundenfälschung. Tausende Anleger stehen mit leeren Händen da, Lernout & Hauspie mit einer ruinierten Karriere.
De Tijd unterstreicht: Wer in Anteile investiert, geht ein berechnetes Risiko ein. Wenn jedoch die Zahlen, die ein an der Börse notiertes Unternehmen vorlegt, nicht zuverlässig sind, kann die Börse nicht funktionieren. Die Führer von Lernout & Hauspie haben die Anleger vorsätzlich betrogen. Die Aussichten, dass sie noch eine Vergütung erhalten, sind sehr gering. Sie erhalten mit diesem Urteil nur moralische Genugtuung und bleiben mit dem Gefühl, dass ihnen keine Gerechtigkeit widerfahren ist.
Selbst schuld
Gazet Van Antwerpen fügt hinzu: Die kleinen Anleger müssen jetzt ihren eigenen Prozess machen. Sie haben viel Geld verloren und müssen sich fragen, ob sie nicht zum großen Teil selbst schuld sind. Keiner von ihnen hatte damals den Jahresbericht von Lernout & Hauspie gelesen. Sie stellten sich keine Fragen und wollten nur schnell Geld verdienen.
De Standaard erklärt: Das Urteil verursacht Zähneknirschen. Wie ist es möglich, dass niemand - mit Ausnahme der Betrüger - zur Verantwortung gezogen werden kann? Zwei Jahrzehnte irrationaler Übertreibungen auf den Finanzmärkten haben einen schweren Zoll gefordert. Die Börse ist nicht für kleine Anleger da. Das hätte man wissen müssen. Die Lernout & Hauspie-Technologie ist nicht wertlos, sie wird in anderen Betrieben hergestellt. Die Erwartungen waren allerdings stark übertrieben. Die Banken, die ihre Kunden eigentlich warnen sollten, haben geschwiegen. Wenn es um Geld geht, ist in dieser Welt jeder allein.
Bilder: belga