"Die flämischen Schüler schneiden immer schlechter ab", titelt De Tijd. "Ostbelgiens Schüler lassen stark nach", schreibt das GrenzEcho.
Die Schlagzeilen gleichen sich. Bei der jüngsten PISA-Studie haben die Schüler aus den drei Schulsystemen des Landes eher durchwachsene Ergebnisse abgeliefert. Die Resultate sind bestenfalls stabil, oft weist die Tendenz nach unten. Überall hat natürlich schon die Suche nach den Ursachen begonnen. Bemerkenswerte Schlagzeile auf Seite eins von Le Soir: "Die Schuldirektoren stellen den Lehrern ein schlechtes Zeugnis aus".
In Flandern scheint man angesichts der überraschend schlechten Ergebnisse regelrecht geschockt zu sein. Vor rund 20 Jahren waren die flämischen Schüler noch in der Spitzengruppe. Inzwischen reicht es noch zum oberen Mittelfeld. "Jetzt liegen wir um Jahre zurück", beklagt Het Laatste Nieuws auf seiner Titelseite. Konkret: Im sechsten Schuljahr haben Schüler in Flandern schon zwei Jahre Rückstand auf Gleichaltrige in Finnland oder Polen. Der zuständige Unterrichtsminister Ben Weyts will Hilfe von außen: "Ausländische Experten müssen das flämische Unterrichtswesen retten", notiert jedenfalls Het Nieuwsblad auf seiner Titelseite.
Alle drei Jahre das gleiche Ritual
Die Resultate der flämischen Schüler sind schlecht, aber offensichtlich noch nicht schlecht genug, bemerkt De Morgen in seinem Leitartikel. Seit 2006 ist die Lesekompetenz bei 15-Jährigen um sage und schreibe 50 Punkte zurückgegangen. Das entspricht einem Rückgang von fast zehn Prozent. Auch in den anderen untersuchten Bereichen weisen die Tendenzen nach unten. Anscheinend reicht das aber noch nicht, um die Verantwortlichen wirklich wachzurütteln. Über die überfälligen Reformen wird seit Jahren gestritten. Jetzt will Minister Ben Weyts ausländische Experten zu Rate ziehen. Da kann man nur hoffen, dass deren Empfehlungen nicht auch irgendwann ungelesen in einer Schublade landen.
Das Ganze hat etwas von einem Ritual, meint auch Het Nieuwsblad. Alle drei Jahre schrillen im Unterrichtswesen alle Alarmglocken. Dann liegt eine neue PISA-Studie auf dem Tisch, die nur das bestätigt, was wir eigentlich schon wissen. Dann rufen alle nach Reformen. Nach drei Wochen Aufregung ist das Ganze dann aber wieder vergessen. Auffallend ist diesmal, dass flämische Schüler von allen OECD-Ländern die niedrigste Motivation an den Tag legen. Geht es nicht auch etwas ehrgeiziger? Hier sind allerdings auch die Lehrer gefragt. Nur können die sich immer weniger auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren. Wenn wir glänzende Schüler wollen, dann brauchen wir Lehrer, die die Möglichkeit haben, zu glänzen.
Die Schule kann vieles, aber nicht alles vermitteln
Lehrer sind in jedem Fall Teil der Lösung, meint auch De Standaard. Und man sollte ihnen auf jeden Fall mal zuhören. Sie sind schließlich die zentralen Akteure.
Am besten wäre es, man beginnt mit einem weißen Blatt, empfiehlt De Tijd. Das Problem ist nämlich immer das gleiche: Jegliche Reform wird gleich zerredet. Das Unterrichtswesen ist gewissermaßen ein in sich geschlossenes Ökosystem, in dem quasi eigene Gesetze gelten. Hier geht es um die Interessen der verschiedenen Akteure: Die Schulträger, die Gewerkschaften, die Eltern – jeder hat seine Agenda. Obendrauf kommen dann noch ideologische Grabenkämpfe. Viele dieser Schlachtfelder sind buchstäblich Jahrhunderte alt. Eigentlich sollte doch die Situation jetzt alarmierend genug sein, um dieses System aufzubrechen. Noch einmal 20 Jahre Reformstau können wir uns jedenfalls nicht leisten.
Für das GrenzEcho sind hier aber auch die Eltern gefragt. Es wäre zu einfach, Schule und Pädagogen für die derzeitige Entwicklung allein verantwortlich zu machen. Die Schule kann vieles, aber nicht alles vermitteln. Sie kann vor allem die Eltern nicht ersetzen.
Welche Kinder hinterlassen wir unserer Erde?
Die frankophonen Zeitungen blicken vor allem mit Sorge auf die abnehmende Lesekompetenz. Literatur-Lichtgestalten wie Balzac oder Dumas gehen offensichtlich bei den Jugendlichen inzwischen fast schon als Witzfiguren durch, die aus der Zeit der Brontosaurier zu stammen scheinen. Ein Buch zu lesen gilt als altbacken. Dabei ist ein Buch doch das Eingangstor zur Kultur, es schärft den analytischen Geist, ermuntert zum Nachdenken und kritischem Hinterfragen. Gerade im Zeitalter der Sozialen Netzwerke ist das doch ein unverzichtbarer Werkzeugkasten.
L'Avenir denkt in dieselbe Richtung: Wir leben in der Zuckerberg-Zivilisation, in einer digitalen Welt, in der Facebook, Instagram und Snapchat im Mittelpunkt stehen. Bestimmt ist es wichtig, dass unsere Jugendlichen diese neuen Instrumente beherrschen. Aber! Es wäre genauso beunruhigend, wenn sie dafür nicht das notwendige analytische Rüstzeug hätten. Man braucht die Fähigkeit, Informationen einzuordnen, Fakten und Ideen abzuwägen. Und all das erlangt man über Lesekompetenz. Wenn wir aus unseren Kindern kritische, unabhängige und freie Menschen machen wollen, dann sollten sie nicht nur passive Konsumenten sein.
Die Lektüre ist ein Rettungsanker, glaubt auch La Libre Belgique. Am Angebot mangelt es nicht, nie gab es wohl mehr und vielfältigere Jugendliteratur. Vielleicht sollte man den Kanon der Schullektüren mal überdenken, um den Jugendlichen die Lust am Lesen zurückzugeben. Denn es geht um viel. Erst das Lesen öffnet den Geist für Sprache und Philosophie. In diesen Zeiten des Klimawandels stellt sich nicht nur die Frage: Welche Erde hinterlassen wir unseren Kindern? Eine andere ist mindestens genauso fundamental: Welche Kinder hinterlassen wir unserer Erde?
Roger Pint