"Todesfahrt über Zeebrugge", titelt Het Nieuwsblad. "Der tödliche Transport ging über Zeebrugge", schreiben Het Laatste Nieuws und De Standaard auf Seite eins. "Der LKW mit 39 Toten kam aus Zeebrugge", so die Schlagzeile von Het Belang van Limburg.
In Großbritannien haben die Behörden gestern einen grausigen Fund gemacht: In einem Industriegebiet östlich von London wurden in einem LKW die Leichen von 39 Migranten entdeckt. Die Menschen hatten versucht, in einem Kühlcontainer nach Großbritannien zu gelangen. Die genaue Todesursache ist noch unklar.
Nach ersten Erkenntnissen ist der Container im Hafen von Zeebrugge verschifft worden. De Morgen formuliert es denn auch auf Seite eins in Form einer Frage: "Begann die fatale Überfahrt in Zeebrugge?". Die föderale Staatsanwaltschaft hat jedenfalls eine Untersuchung eingeleitet und geht eben dieser Frage nach.
Mit dem Brexit sind weitere Dramen vorprogrammiert
"Wie niederträchtig können Menschenschmuggler sein?", fragt sich rhetorisch De Standaard in seinem Leitartikel. Es ist längst nicht das erste Drama dieser Art. 2015 wurde etwa an der österreichischen Grenze ein Lieferwagen gestoppt, in dem sich die Leichen von 71 Migranten befanden. Die Menschen waren offensichtlich erstickt.
Zwar wurden inzwischen die Strafen für Menschenhändler drastisch verschärft. Doch floriert mehr denn je dieses schmierige Geschäft; und je besser die Grenzen bewacht werden, desto mehr. Migration ist die wohl wichtigste Problematik unserer Zeit. Und verschärfte Grenzkontrollen oder strengere Strafen sind keine Lösung. Nach dem Drama in Großbritannien sind große Worte oder Betroffenheit unglaubwürdig und unangepasst.
Ohne Zusammenarbeit geht es nicht, glaubt De Morgen. Selbst Brexit-Hardliner werden früher oder später einsehen müssen, dass Grenzkontrollen an menschliche Grenzen stoßen. Selbst wenn die besten Scanner an den Häfen eingesetzt werden, werden Menschenschmuggler immer durch die Maschen schlüpfen können.
Dramen wie dieses kann man nur verhindern, wenn die britischen und europäischen Sicherheitsdienste eng zusammenarbeiten. Jetzt droht aber der umgekehrte Fall. Wenn Großbritannien nach dem Brexit Europol verlässt, dann geht das zwangsläufig auf Kosten der internationalen Polizeiarbeit und dann sind weitere Dramen vorprogrammiert. Die Briten sollten sich jedenfalls keine Illusion machen. Auch der Brexit wird die illegale Migration nicht stoppen.
Symbolträchtiges Treffen
Auf vielen Titelseiten sieht man heute aber auch die beiden Ministerpräsidenten von Flandern und der Wallonie, Jan Jambon und Elio Di Rupo. Beide sind gestern zu einem Meinungsaustausch zusammengekommen. Le Soir nennt das Treffen auf seiner Titelseite "außerordentlich symbolträchtig".
Hintergrund: Auf der föderalen Ebene kommen die Bemühungen im Hinblick auf die Bildung einer neuen Regierung nach wie vor nicht wirklich in die Gänge. PS und N-VA wirken hier immer noch unversöhnlich.
Insofern wirkt ein Zusammentreffen zwischen einem N-VA- und einem PS-Ministerpräsidenten tatsächlich fast schon wie der Beweis dafür, dass es doch geht, dass man doch vernünftig miteinander reden kann."PS und N-VA spielen im Duett die regionale Musik", meint denn auch blumig L'Echo.
Symbolträchtig war das Treffen in der Tat, meint auch Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Der Beobachter konnte den Eindruck haben, dass hier die Vision der N-VA des zukünftigen Belgiens mit einem Mal ein bisschen Wirklichkeit geworden ist. Für die flämischen Nationalisten sollten künftig die Ministerpräsidenten direkt zusammenarbeiten, Fernziel ist ein konföderales Modell.
Klar, dass die Einladung zu dem Treffen denn auch von Jambon ausgesprochen wurde. Dass Di Rupo aber relativ schnell darauf eingegangen ist, dass ist auch kein Zufall. Es ging da bestimmt nicht nur um die Eitelkeit des PS-Politikers. Di Rupo wusste sehr wohl, dass er der N-VA damit ein Geschenk macht. Dass er doch gekommen ist, kann der Beweis dafür sein, dass sich auch in der Wallonie die Meinungen zu verändern beginnen. Das gestrige Treffen mag jedenfalls so etwas wie ein Blick in die Glaskugel gewesen sein.
Eine Lektion in Sachen Realpolitik
Einige frankophone Leitartikler beschäftigen sich mit der Lage in Syrien. Russland und die Türkei haben ja Nordsyrien gewissermaßen unter sich aufgeteilt. Beide Länder wollen jedenfalls gemeinsam eine so genannte "Sicherheitszone" im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei einrichten.
Den Kurden wird hier eine Lektion in Sachen Realpolitik erteilt, analysiert La Libre Belgique. Selten wohl hat man in einem internationalen Konflikt eine so plötzliche und so einschneidende Veränderung der Lage beobachten können.
Bis vor Kurzem noch waren die Kurden die Verbündeten des Westens. Jetzt patrouillieren russische und türkische Panzer in Nordsyrien und müssen die Kurden ihre Heimat verlassen. Sie wurden einmal mehr geopfert, auf dem zynischen Altar der Großmächte. Und "ganz nebenbei" sind mindesten 100 Dschihadisten aus den Gefangenenlagern ausgebrochen und untergetaucht.
"And the winner is…"
"Und Trump feiert das Ganze noch!", giftet L'Avenir. Der US-Präsident hat den Nerv, das Ganze noch als, Zitat, "großen Erfolg" zu bezeichnen. Dabei steht am Anfang doch der ruhmlose Abzug der Amerikaner. Das hat den Türken und Russen doch erst den Weg geebnet. Das hat doch erst den Keil in die Nato getrieben. Ganz zu schweigen vom Schicksal der Kurden. Donald Trump ist das egal. Er ist erfreut. Dabei heißen die Gewinner Erdogan, Putin und Assad.
Und Europa? Auf dem alten Kontinent ist man am Boden zerstört und ohnmächtig, wie immer also. Wir dürfen allenfalls jetzt die Scherben aufkehren, man denke nur an die geflohenen Dschihadisten, die sich vielleicht schon bald auf dem Weg nach Europa machen werden.
"And the winner is", meint sarkastisch Le Soir. Der Gewinner ist Wladimir Putin. Der Meister des Kremls hat sich geschickter und gewiefter denn je gezeigt. Spätestens seit dem Treffen mit seinem türkischen Kollegen Erdogan in Sotchi gibt es keinen Zweifel mehr: Putin ist jetzt Spielführer, gibt das Tempo vor, diktiert seinen Willen.
Donald Trump hat seine Spielfiguren vom Brett entfernt. Das Ganze war wohl zu kompliziert für ihn. Dass amerikanische Militärfahrzeuge von wütenden Kurden mit Tomaten und Steinen beworfen wurden, damit kann er wohl leben. Die USA von Trump haben die Region aufgegeben. Jetzt ist Russland die zentrale Macht im Mittleren Osten. Aber Vorsicht! Wie überall kommt auch in Russland der Appetit mit dem Essen.
Roger Pint