Die Reaktion der belgischen Kirche auf die zahlreichen Fälle von sexuellem Missbrauch durch Priester und Geistliche und die offensichtlich erneut festgefahrenen Verhandlungen über eine Regierungsbildung beschäftigen heute die Tageszeitungen.
L'Avenir bringt die Schlagzeile: Die Kirche ist erschüttert und sucht einen Ausweg. In ihrem Leitartikel schreibt die Zeitung: Die Kirche muss sich anstrengen, um die Wahrheit zu suchen und Kohärenz und Glaubwürdigkeit an den Tag legen. Das ist eine Frage des Respekts der Opfer und des Überlebens für die Institution. Ihre hohen Verantwortlichen dürfen sich nicht mit der Arbeit einer Kommission begnügen. Die ganze interne Organisation, die Arbeitsweise und die Denkweise sind reformbedürftig.
Het Laatste Nieuws unterstreicht: Der sexuelle Missbrauch Minderjähriger erfordert eine gründliche gesellschaftliche und gerichtliche Vorgehensweise. Die Affäre des Bischofs von Brügge darf nicht die Aufmerksamkeit von einem strukturellen Problem der Kirche ablenken. Jede geschlossene Organisation, die über große Macht verfügt, läuft Gefahr, dass sich in ihrem Schoß unzulässige Praktiken entwickeln, die vertuscht werden im Namen des Instituts - aber in Wirklichkeit, um das Überleben ihrer Führung zu sichern.
Die Justiz muss sich doch damit befassen
De Morgen fügt hinzu: Wenn tatsächlich, so wie die Kirche behauptet, nicht die Rede von Versäumnissen, Nachlässigkeit und organisierter Straffreiheit ist, gibt es keine Einwände dagegen, dass ein Untersuchungsausschuss und das Gericht ermitteln. Nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts der Adriaenssens-Kommission kann niemand mehr davon überzeugt sein, dass das Auftreten der Justiz übertrieben war. Was muss noch ans Licht kommen, um eine Hausdurchsuchung zu rechtfertigen?
De Standaard findet: Die Zeit des Leugnens und der Vertuschung ist vorbei. Nur die Wahrheit hilft. Alles muss aufgedeckt werden. Die Bischöfe werden heute einen Vorschlag machen. Ihre Lösung muss auf jeden Fall eine Verbindung zur Justiz beinhalten. Das fehlte der Adriaenssens-Kommission. Die Kirche muss auch sagen, was sie intern mit Beschuldigungen tut. Auch bei der Justiz schwieg man Jahrzehnte lang über die wenigen Klagen über die Perversität in der Kirche.
Die Kirche steht am Scheideweg
La Derniere Heure betont: Zahlreiche Verantwortliche der Kirche sind sich bewusst, dass eine starke Geste unerlässlich ist. Doch andere glauben das nicht. Wenn die Kirche einen neuen Anlauf machen will, muss das erste Lager sich durchsetzen. Die Kirche muss langfristig handeln und die begangenen Sünden anerkennen. Wenn sie nichts tut, setzt sie sich der Wut der Opfer und dem Unverständnis der Bevölkerung aus.
Für La Libre Belgique ist die Kirche am Scheideweg. Entweder sie gesteht ihre Verantwortung und akzeptiert ohne Ausreden den Ernst der von der Kommission aufgedeckten Taten. Oder sie sucht weiterhin Entschuldigungen und geht damit das Risiko ein, sich definitiv von der belgischen Gesellschaft zu trennen. Störend ist auch das ohrenbetäubende Schweigen in Rom. Der Papst und der Vatikan haben noch nichts gesagt.
Het Nieuwsblad fügt hinzu: In 92 der 147 Kirchen, die unsere Korrespondenten gestern besuchten, wurde in der Sonntagspredigt nichts über die Skandale gesagt. Das kann Ausdruck der Niedergeschlagenheit, der Erschütterung und der Scham sein. Doch das Schweigen in den Kirchen erinnert auf schaurige Weise an das Schweigen, das die Opfer jahrelang umgeben hat. Selbst heute können viele Priester nichts Sinnvolles dazu sagen.
Die Verhandlungen der Vermittler sind festgefahren
Zu den Gesprächen der königlichen Vermittler heißt es in Het Belang van Limburg: Die Verhandlungen stecken wieder in der Sackgasse. In den letzten Tagen gab es nicht einmal einen Kontakt zwischen Di Rupo und De Wever. Das ist ein sehr schlechtes Zeichen. Der PS-Vorsitzende ist es leid, und der N-VA-Präsident schielt nach den Liberalen.
Le Soir bringt auf fünf Sonderseiten einen sogenannten Plan B über die Bildung eines Staates Wallonie/Brüssel. Im Leitartikel heißt es: Der flämische Wahlsieger N-VA will den Separatismus. Die Frankophonen müssen sich darauf vorbereiten. Das ist eine unentbehrliche Vorsichtsmaßnahme.