"Jambon hat die Zahlen, aber will sie nicht herausgeben", titelt Het Nieuwsblad. Die neue flämische Regierung hat gleich für eine handfeste Polemik gesorgt. Seit Tagen fordert die Opposition einen bezifferten haushaltspolitischen Fahrplan. Heute müsse schließlich das Parlament der Regierung das Vertrauen aussprechen.
Und ohne Haushaltszahlen wäre das doch eigentlich eine Farce, so die Meinung der geschlossenen Opposition. Bislang hatte die neue Koalition die Kritik an sich abperlen lassen. Bei einem Abendessen soll der neue Ministerpräsident Jan Jambon aber erklärt haben, dass er längst über die Zahlen verfüge, sie aber nicht veröffentlichen wolle. Die Oppositionsfraktionen sprechen von einer groben Missachtung des Parlaments.
Scheinveranstaltung im Flämischen Parlament
Die heutige Plenarsitzung des Flämischen Parlaments droht zu einem Schattenspiel zu geraten, meint Het Nieuwsblad in einem bissigen Kommentar. Für den, der es etwas plastischer will: Das wird eine Scheinveranstaltung. Die neue Koalition hat sich selbst zur Investitionsregierung erklärt. Da ist es regelrecht absurd, wenn man dann nicht die entsprechenden Zahlen mitliefert. Da gibt es wohl noch eine unterschwellige Botschaft: Hier soll das Parlament wohl zur "Quasselbude" abqualifiziert werden.
So gibt man denen Recht, die Abgeordnete ohnehin nur für bloße Profiteure halten. Dabei ist allerdings bemerkenswert, dass die Parlamentarier der Koalitionsparteien dieses Spiel offensichtlich mitspielen. Damit untergraben sie die Rolle des Parlaments. Und sie rollen damit den roten Teppich aus für all jene, die das Parlament mit Füßen treten wollen.
Auch De Standaard beschäftigt sich weiter mit dem Programm der neuen flämischen Regierung. "Flandern will Moscheen künftig selbst unter die Lupe nehmen, parallel zum Staatsschutz", so die Aufmachergeschichte auf Seite eins. Die neue Regierung will also eine eigene Inspektions-Behörde schaffen. Hintergrund ist wohl, dass insbesondere N-VA-Minister in der vergangenen Legislaturperiode häufiger Kritik geübt haben an den Erkenntnissen der Sûreté, also des Inlandsgeheimdienstes.
"Brauchen wir wirklich immer doppelte Strukturen?", fragt sich De Standaard in seinem Leitartikel. Die neue Regierung hat ja auch schon beschlossen, das föderale Zentrum für Chancengleichheit und Rassismusbekämpfung, Unia, zu verlassen und stattdessen eine eigene Struktur zu schaffen. Man wird den Eindruck nicht los, dass die N-VA alle Einrichtungen, die ihr nicht in den Kram passen oder die die Partei kritisieren, entweder trockenlegt oder eine eigene Version aufbaut.
Dabei bleibt im Übrigen abzuwarten, ob besagte neue Struktur dann auch wirklich ideologisch unabhängig sein wird. Aber grundsätzlich gefragt: War das wirklich das Ziel der Sechsten Staatsreform, alles zweimal zu haben? In diesen Zeiten leerer Kassen und drohender neuer Sparmaßnahmen ist das vielleicht nicht ein Zeichen von guter Regierungsführung.
Die Einheit des Landes retten ohne seine Seele zu verlieren
Nichts desto trotz ist die flämische Regierung nun im Orbit. "Jetzt ist endlich Zeit für die föderale Regierungsbildung", bemerkt De Morgen. Der designierte neue PS-Chef Paul Magnette dämpft da aber heute die Erwartungen: "Mit der N-VA gibt es bislang keine Schnittmenge", sagt Magnette auf Seite eins von Le Soir.
"Flanderns Rechtsdrift bremst PS/N-VA aus", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. Spätestens das doch sehr rechte Regierungsprogramm hat eine mögliche Achse PS-N-VA in weite Ferne rücken lassen. Wie De Tijd berichtet, haben anscheinend gestern Abend Spitzenvertreter von PS und N-VA immerhin miteinander gesprochen. Das geheime Treffen organisiert hatten die beiden Informatoren.
"Paul Magnette ist nicht zu beneiden", glaubt Le Soir. Auf den bald neuen PS-Vorsitzenden wartet eine gigantische Herausforderung, eine potentiell enorme Falle. Eine mögliche Koalition mit der N-VA wäre in jedem Fall äußerst riskant. Seit einigen Tagen wissen wir auch, dass man auf gewisse flämische Parteien nicht mehr zu zählen braucht: OpenVLD und CD&V haben sich vor den Nationalisten auf den Bauch gelegt.
Einerseits kann man sich nicht vorstellen, wie und vor allem warum die N-VA einen Kompromiss eingehen sollte. Andererseits ist es für die PS inzwischen fast unmöglich geworden, mit den Nationalisten zu koalieren: Fünf Jahre lang hat man die N-VA frontal attackiert. Und das flämische Koalitionsprogramm ist ja letztlich nur eine Bestätigung aller bisherigen Einschätzungen und Vorurteile. Die Frage aller Fragen lautet also: Wie rettet man die Einheit des Landes, ohne dabei seine Seele zu verlieren?
Verkehrssicherheit muss wieder zur Priorität werden
Einige Zeitungen beschäftigen sich mit den neuesten Unfall-Statistiken: "Die Zahl der Verkehrstoten ist stark gestiegen", titelt Het Laatste Nieuws. "Und vor allem gab es mehr tödliche Unfälle mit Radfahrern", fügt Gazet van Antwerpen hinzu.
"306 verlorene Leben", meint nachdenklich L'Avenir. 306 Dramen zu viel. Ein Anstieg um fast 30 Prozent im Vergleich zum letzten Jahr. Und eine Erklärung dafür hat niemand parat. Und doch stellt sich die Frage nach dem Warum. Wie kann es sein, dass trotz aller Sensibilisierungsaktionen und trotz immer modernerer Sicherheitstechnik die Zahl der Unfalltoten wieder steigt?
Eine Erklärung mag sein, dass sich die Realität auf unseren Straßen verändert hat. Es gibt mehr so genannte "schwache Verkehrsteilnehmer"; und parallel dazu werden Autofahrer angesichts unendlicher Staus immer ungehaltener. Eine offensichtlich tödliche Gemengelage.
"Worauf warten wir eigentlich noch?", fragt sich auch empört Gazet van Antwerpen. Wird es nicht langsam Zeit, dass alle zuständigen Minister in diesem Land ihre Kräfte bündeln, um – wie damals 2002 – die Verkehrssicherheit zu Top-Priorität zu machen?
Wenn die Zahl der Unfalltoten plötzlich einen derartigen Sprung macht, dann kann man darüber jedenfalls nicht hinwegsehen. 306 Leben wurden jäh beendet; 306 Familien trauern um einen geliebten Menschen. Kann es da eigentlich noch brennendere Probleme geben?
Roger Pint