"Schon 890.000 SMS für Pia", titeln Het Laatste Nieuws und Gazet van Antwerpen. "Hunderttausende SMS, um Baby Pia zu retten", schreibt Het Belang van Limburg auf Seite eins. Die kleine Pia leidet unter spinaler Muskelatrophie. Das ist eine seltene und tödliche Krankheit. Das Pharmaunternehmen Novartis hat jetzt aber ein neues Medikament entwickelt, das Pia retten könnte. Die Behandlung kostet allerdings 1,9 Millionen Euro.
Die Kosten werden von der belgischen Krankenversicherung nicht übernommen, nicht zuletzt, weil das Präparat in Europa noch gar nicht zugelassen worden ist. Für Pia ist aber Eile geboten, da die Behandlung nur effizient ist, wenn sie so früh wie möglich stattfindet. Die Eltern haben also eine sogenannte Crowdfunding-Aktion gestartet: einen Spendenaufruf. Innerhalb von 24 Stunden gingen fast eine Million SMS ein. Mit jeder SMS gehen zwei Euro auf dem Konto ein. Damit sind die Kosten also beinahe gedeckt.
"Das Land rettet Pia, die Pharmaindustrie macht Reibach", bemerkt dazu nachdenklich De Standaard. "Der Erfolg der Spendenaktion ist fantastisch, aber das kann man nicht bei jedem vergleichbaren Fall wiederholen", sagt auch ein Experte auf Seite eins von De Morgen.
Pia ist ein Grenzfall für unsere Soziale Sicherheit, meint Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Die Krankenversicherung soll dazu dienen, so vielen Menschen wie möglich die Hilfe zu geben, die sie nötig haben. Wenn die Kosten für ein Medikament durch das Gesundheitssystem zurückerstattet werden, dann greift hier das Prinzip der Solidarität. Nur sind diese Kosten eben im Fall von Pia unverhältnismäßig hoch, was ethische Fragen aufwirft.
"Man kann Menschen aber auch nicht sterben lassen, weil die Medikamente zu teuer sind", hakt De Standaard ein. Fälle wie diesen kann man aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Der eine oder andere mag beklagen, dass die Eltern hier zu faktischen Komplizen der Pharmaindustrie werden. Durch einen solchen Spendenaufruf bekommt eine komplexe Problematik plötzlich ein Gesicht: ein süßes Baby mit besorgten Eltern.
Die ansonsten eher kühle Diskussion über das Gesundheitssystem und seine Finanzierung bekommt dadurch plötzlich einen warmen und empathischen Anstrich. Die perverse Nebenwirkung davon ist aber, dass das die Pharmaindustrie dazu ermuntert, zu pokern. Immer häufiger werden Medikamente für kleine Patientengruppen entwickelt. Eigentlich müsste man da applaudieren. Der Preis ist aber im wahrsten Sinne des Wortes oft zu hoch.
Herzerwärmend ja, problemlösend nein
Eine SMS für Pia löst das Problem nicht, meint auch De Morgen. Natürlich ist es herzerwärmend, wenn Hunderttausende Menschen spontan zum Handy greifen, um einem kleinen Mädchen zu helfen. Diese SMS verhindert aber nicht, dass die Pharmaindustrie inzwischen astronomische Preise für einige ihrer Präparate verlangt. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Und wir können SMS schicken, bis wir wunde Finger haben, allen Pias kann dadurch nicht geholfen werden. Da kann am Ende nur die Politik die Grenzen setzen.
Genau das fordert auch Het Nieuwsblad auf seiner Titelseite: Preisobergrenzen für die Pharmaindustrie. Denn deren Macht ist zu groß, führt das Blatt in seinem Leitartikel aus. Die Unternehmen bestimmen die Regeln des Spiels, konkret: den Preis ihrer Produkte. Die föderale Gesundheitsministerin Maggie De Block kann allenfalls zu dem betreffenden Unternehmen hinpilgern, um zu versuchen, einen niedrigeren Preis auszuhandeln. Das ist ein peinliches Schauspiel. Von der Industrie kann man nicht erwarten, dass sie freiwillig auf ihre Macht verzichtet. Deswegen ist es an der Politik, über Gesetze mehr Einfluss auf die Preisgestaltung zu nehmen.
Allein die Wirtschaftszeitung De Tijd bringt Verständnis für die Pharmaindustrie auf: Die Entwicklung neuer Präparate ist mit enormen Kosten verbunden. Und wenn es, wie im vorliegenden Fall, um eine seltene Krankheit geht, dann ist es umso schwieriger, die Investitionskosten wieder reinzuholen. Kann man es den Pharmakonzernen wirklich verübeln, dass sie eine vernünftige Gewinnmarge anstreben? Wenn man von staatlicher Seite die Preise deckeln will, dann läuft man Gefahr, dass es am Ende keine Anreize mehr gibt, um neue, revolutionäre Medikamente oder Behandlungsmethoden zu entwickeln.
Brüsseler Nadelöhr
Bemerkenswerte Schlagzeile derweil auf Seite eins der beiden Wirtschaftsblätter: "Man denkt über einen zweiten Eisenbahntunnel in Brüssel nach", titeln L'Echo und De Tijd. Im Moment ist es ja so, dass die bisherige Nord-Süd-Verbindung lediglich sechs Gleise umfasst. Und durch dieses Nadelöhr müssen zu Stoßzeiten knapp 90 Züge pro Stunde. Ein zweiter Tunnel würde die Lage natürlich deutlich entspannen. Der würde allerdings rund zwei Milliarden Euro kosten.
"Schluss jetzt!"
Einige frankophone Zeitungen beschäftigen sich schließlich weiter mit den neuerlichen Negativschlagzeilen um die Lütticher Interkommunale Enodia und ihre Tochtergesellschaft Nethys. "Schluss jetzt!", fordert L'Echo in seinem Leitartikel. Nethys hat die wallonische Politik lang genug vergiftet. Es hat sich ja sogar schon ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit den Lütticher Praktiken beschäftigt. Diese Kommission hat der Politik eigentlich schon den Weg gewiesen. Jetzt muss endlich aufgeräumt werden.
Der Abgang von Stéphane Moreau wird nicht alle Probleme lösen, warnt seinerseits Le Soir. Allein der geplante Verkauf von VOO zeigt doch, dass gewisse Praktiken offensichtlich tiefverankert sind. Wenn vielleicht auch alles legal war, so darf man die Vorgehensweise doch zumindest als fragwürdig bezeichnen.
Roger Pint