"635 Millionen Euro für den Staat dank der unterschiedlichen Leaks", titelt Le Soir. "Rekord bei Steuereinnahmen war übertrieben", so die Schlagzeile von De Morgen.
Beide Zeitungen beschäftigen sich in ihren Aufmachern mit dem Geld, das der belgische Staat von Steuerflüchtlingen zurückerhalten hat. De Morgen zeigt dabei auf, dass die Höhe dieses Betrags vom ehemaligen Finanzminister Johan Van Overtveldt (N-VA) schöngerechnet worden war. Le Soir dagegen freut sich über den Erfolg, der durch die verschiedenen "Leaks" erreicht worden ist.
Diesen Enthüllungen widmet die Zeitung auch ihren Kommentar und schreibt: Drei Jahre ist es her, dass die sogenannten "Panama Papers" für Furore sorgten. Damals wie auch bei den späteren Enthüllungen über organisierte Steuerflucht waren es Journalisten auch dieser Zeitung, die dieses Unrecht aufdeckten. Ihre Arbeit ist zu vergleichen mit den aktuellen Bürgerprotesten für eine bessere Klimapolitik: Sie weisen auf Mängel und Missstände hin und erinnern die Politik daran, dass etwas getan werden muss. Diese Art von Journalismus ist Journalismus im öffentlichen Interesse, freut sich Le Soir.
De Morgen dagegen ist unzufrieden mit den Konsequenzen, die aus den Leaks in Belgien gezogen wurden. "Zu wenig hat die Regierung Michel gegen Steuerflucht getan", stellt die Zeitung fest. Wie man grundsätzlich als Bilanz der Regierung Michel sagen kann: viel zu wenig getan. Selbst beim Tax-Shift, mit dem die Regierung ja den belgischen Arbeitsmarkt auf Vordermann bringen wollte, muss man feststellen: Im europäischen Vergleich steht Belgien da weiter nicht so gut da. Ansonsten eben nur zu wenig: Ausgeglichener Haushalt? Weit davon entfernt. Effektive Klima- und Energiepolitik? Muss sich die nächste Regierung drum kümmern. Rentenreform? Nicht abgeschlossen. Und die Armut nimmt weiter zu. Es ist keine schöne Bilanz, die Charles Michel dem Land hinterlässt, resümiert De Morgen.
Schule & Umwelt
Mängel an guten politischen Entscheidungen stellt auch La Libre Belgique fest, allerdings in Bezug auf das frankophone Schulwesen. Der Lehrermangel, schreibt die Zeitung, nimmt unerträgliche Ausmaße an. Das sowieso schon nichts sehr brillante frankophone Schulsystem wird durch massiven Unterrichtsausfall wegen fehlender Lehrer weiter geschwächt. Kaum jemand will mehr Lehrer werden, kaum jemand hält das erste Praxisjahr durch. Es gibt viel zu viele administrative Aufgaben für die Schulen und die Lehrer zu erledigen. Die Politik sollte schnell etwas dagegen tun. Konkrete Lösungen sind jetzt gefragt zum Wohle unserer Kinder, fordert La Libre Belgique.
L'Avenir beschäftigt sich mit der Umwelt und notiert: Es nützt nicht viel, unsere Diesel-Autos zu verteufeln, wenn gleichzeitig die CO2-Belastung durch den Flugverkehr weiter steigt. Ryanair ist dabei der größte Schmutzfink unter den europäischen Fluggesellschaften. Um 49 Prozent hat der CO2-Ausstoß von Ryanair seit 2013 zugenommen. Die irische Billigfluggesellschaft stößt fast soviel Kohlenstoffdioxid aus, wie die deutschen und polnischen Kohlekraftwerke. Auf was wartet Europa eigentlich noch, um Kerosin endlich zu besteuern? Dann würde nämlich auch Fliegen teurer. Und wir würden uns zwei Mal überlegen, ob wir übers Wochenende tatsächlich nach Barcelona jetten oder doch lieber an die Seen von Eau d'Heure fahren, gibt L'Avenir zu bedenken.
Emanzipation von den USA
Die Wirtschaftszeitung L'Echo schreibt zur NATO: Heute und morgen feiert die NATO in Washington ihr 70-jähriges Bestehen. Als Verteidigungsbündnis ist sie auch heute immer noch wichtig. Die militärische Bedrohung durch Russland ist immer noch groß, und auch China rüstet gerade im Pazifikraum besorgniserregend auf. In der NATO sind bis heute die USA tonangebend. Es wäre an der Zeit, sich von dieser Vormachtstellung zu emanzipieren. Es wäre an der Zeit, dass Europa seine Verteidigung stärker selbst in die Hand nimmt, wünscht sich L'Echo.
"Too little, too late" – im besten Fall
Zu den jüngsten Ereignissen beim Brexit notiert die Schwesterzeitung De Tijd: Premierministerin Theresa May spielt jetzt quasi ihre letzte Karte aus. Sie will die EU noch einmal um einen Aufschub des Brexits bitten, um mit der Opposition im britischen Unterhaus einen Kompromiss zu finden. Ob das gelingt, ist natürlich fraglich. Es gleicht eher einem Glücksspiel als einem guten Plan, auf dessen Gelingen Europa vertrauen könnte, meint De Tijd.
Noch kritischer zeigt sich Het Nieuwsblad: Was soll man davon halten? Da sitzt Theresa May sieben Stunden mit ihren Ministern zusammen – und heraus kommt lediglich, dass sie zusammen mit der Labour-Opposition den Brexit verwirklichen will. Noch nicht einmal einen konkreten Vorschlag hat May aus der Sitzung mitgebracht. Wenn sie es ernst meint mit den Verhandlungen mit Labour, dann ist klar, dass es zur Spaltung bei ihren Konservativen kommen wird: Die Brexit-Hardliner wird May verlieren, wenn sie Kompromisse mit Labour eingeht. Im besten Fall ist das, was May jetzt versucht, "too little, too late". Im schlechtesten Fall ist das ein erster politischer Schachzug hinsichtlich vorgezogener Neuwahlen. Nämlich auch Labour dafür verantwortlich zu machen, dass der Brexit scheitert, analysiert Het Nieuwsblad.
Kay Wagner