Auffallend ist, dass die Inlandspresse sich heute etwas weniger intensiv mit den Verhandlungen über die Staatsreform beschäftigt. Das hat wohl damit zu tun, dass zu den Gesprächen des Königs mit den Parteipräsidenten absolut nichts durchsickert, und Präformator Di Rupo seine Beratungen erst morgen wieder aufnimmt. Politische Kommentare sind heute also eher Mangelware.
Dafür beschäftigen sich die Zeitungen umso mehr mit der "Operation Kelch", bei der es bekanntlich um den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen innerhalb der Kirche geht.
Kirchlicher Missbrauch - gerichtlicher Guerillakrieg
Wie das Grenz-Echo dazu auf Seite 1 hervorhebt, darf nach wie vor nicht publik gemacht werden, ob die spektakulären Durchsuchungen am Sitz des Erzbistums in Mechelen vor knapp zwei Monaten legal waren. Zwar gibt es darüber ein Urteil der Brüsseler Anklagekammer, doch hat der zuständige Untersuchungsrichter verboten, es zu veröffentlichen.
Kommentierend heißt es dazu in Het Laatste Nieuws: Hier handelt es sich offenbar um einen Guerillakrieg beim Brüsseler Gericht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es dort Leute gibt, die dem Ruf der Kirche einen schweren Schlag versetzen wollten. Wenn dieser interne Zwist innerhalb der Justiz nicht bald beigelegt wird, werden alle Verlierer sein, das Gericht, die Kirche und insbesondere auch die Opfer des sexuellen Missbrauchs.
Wem nützt Geheimhaltung im Fall "Operation Kelch"?
La Libre Belgique äußerst sich empört darüber, dass man die Opfer über die Entwicklung in der Untersuchungsakte vollständig im Dunkeln lässt, obwohl sie eigentlich ein Recht auf eine umfassende Information hätten. Im Prinzip darf ein Untersuchungsrichter zwar die Geheimhaltung auferlegen, doch sollte dies dann im Sinne höherer Werte geschehen, wie zum Beispiel das Prinzip der Unschuldsvermutung, wonach jeder als unschuldig zu gelten hat, solange er nicht verurteilt ist. Darum geht es in diesem Fall jedoch nicht, so dass man vermuten darf, dass der Untersuchungsrichter wahrscheinlich seine eigenen Fehler vertuschen will.
De Standaard zufolge hat der Untersuchungsrichter eine große Verantwortung auf sich geladen. Mit seinem Geheimhaltebefehl beschwört er die Gefahr herauf, dass die Bestrafung von Kindesmissbrauch in der Kirche letztlich unmöglich gemacht wird.
Die Bahn stellt ein: Kritik an Anwerbeprämie
Die Brüsseler Tageszeitung Le Soir berichtet auf Seite 1, dass Mitarbeiter der belgischen Eisenbahn mit einer Prämie von 500 Euro rechnen dürfen, wenn sie einen Freund oder Verwandten dazu bringen, eine Stelle bei der Bahn anzunehmen. Dort sucht man angeblich händeringend neue Mitarbeiter, insbesondere Elektromechaniker und Mechaniker. Die Gewerkschaften sind darüber absolut nicht erfreut und finden, es wäre wesentlich zweckdienlicher, die belgische Eisenbahn würde ihre Mitarbeiter besser bezahlen. Dann müsste sie auch keine Prämien für die Jobrekrutierung ausloben.
Fall Dutroux: Video hätte Kinder retten können
La Dernière Heure kommt zurück auf den Fall Dutroux mit der Meldung, Julie und Melissa hätten gerettet werden können, wenn die Ermittler sich rechtzeitig eine bei Dutroux beschlagnahmte Videokassette angeschaut hätten. Darauf sieht man Dutroux, wie er im Keller vor dem Eingang des Verstecks steht und stolz erläutert, dass es fast unmöglich ist, den Öffnungsmechanismus zu entdecken. Dass die Polizei sich dieses jetzt im niederländischen Fernsehen gezeigte Video nicht anschaute, weil angeblich kein Abspielgerät verfügbar war, ist nach Ansicht der Zeitung haarsträubend. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Dutroux eine Zeitlang von der Gendarmerie geschont wurde, weil er für sie als Spitzel arbeitete.
Rekordzahl obdachloser Asylbewerber
De Morgen berichtet in großer Aufmachung auf Seite 1, dass in Belgien noch nie so viele Asylbewerber auf der Straße standen. Nach vorsichtigen Schätzungen erreicht deren Zahl inzwischen etwa 3.500, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Erläuternd heißt es dazu, dass jene, denen Fedasil nicht weiterhelfen kann, in den meisten Fällen an die öffentlichen Sozialhilfezentren verwiesen werden, wo sie auf eine regelrechte Mauer stoßen. Die meisten dieser Zentren verlangen nämlich, dass die Asylbewerber einen Wohnsitz vorweisen, bevor sie ihnen Hilfe anbieten. In der Praxis läuft das dann darauf hinaus, dass die Menschen ihrem Schicksal überlassen werden.
Im gleichen Zusammenhang ist im Grenz-Echo nachzulesen, dass die kritischen Stimmen über das Empfangszentrum für Asylbewerber in Eupen verstummt sind, vermutlich, weil es dort keine besonderen Vorkommnisse gab. Ein Stimmungswechsel gegenüber den Asylbewerbern habe deshalb aber nicht unbedingt stattgefunden.
Bild: belga