Kernenergie - ja oder nein? Wer ist dafür, wer ist dagegen? Und was bedeutet das auf politischer Ebene? Derlei Fragen widmen sich am Samstag gleich mehrere Leitartikler. Die Klimadebatte ist wegen der massenhaften Proteste vielleicht das wichtigste Thema für die Wahlen im Mai, stellt Het Nieuwsblad fest.
Wer denkt, dass das schlecht für die N-VA sei, der irrt sich. Ökorealismus - das ist der neueste und am positivsten konnotierte Begriff in der Debatte und N-VA-Chef Bart De Wever hat quasi ein Patent darauf angemeldet. Glaubt an Innovation und Atomenergie, das ist seine Kernbotschaft. Allerdings ist der unerschütterliche Glaube in Innovation nicht immer angebracht. Dämme bauen, die Finger kreuzen und hoffen, dass irgendein Genie schon die Lösung findet, klingt nur bedingt nach Ökorealismus. Aber immerhin hat die N-VA eine Vision. CD&V und OpenVLD haben keine. Selbst den Grünen fehlt es an konkreten Vorstellungen. So schlecht ist die Klimadebatte für die N-VA also nicht, ist sich Het Nieuwsblad sicher.
Kein Mittelweg
Die Parteien müssen sich entscheiden, glaubt Le Soir. Nach den Wahlen wird jeder möglichen Koalition sehr klar sein müssen, was ihre Vorstellungen für die Klimapolitik angeht. Die Regierungsparteien werden einen detaillierten Strategieplan vorlegen müssen. Welche Optionen, Ziele und konkrete Maßnahmen? Und in welchem Zeitrahmen und mit welchem Geld? Ein Mittelweg wird da nicht möglich sein und somit auch keine Zusammenarbeit bestimmter politischer Formationen. Man kann sich auf jeden Fall nicht vorstellen, dass eine Partei, die für den Atomausstieg ist, sich die Macht mit einer anderen teilt, die vehement dagegen ist. Bei der Regierung Michel haben wir gesehen, wohin das führt. Beim Klima hatte sich die Koalition keine festen Ziele gesetzt. Die Diskrepanzen zwischen N-VA und den drei anderen Partnern verhinderten dann jegliche aktive Strategie, analysiert Le Soir.
De Standaard begrüßt, dass nun wegen der Klimaproteste endlich eine Grundsatzdebatte über konkrete Zukunftsvisionen geführt wird. Das Schwierigste an der Debatte wird der Umgang mit den vielen Unsicherheiten sein. Nehmen wir zum Beispiel die Kernkraftwerke. Die selbsternannten Ökorealisten von der N-VA haben die Debatte eröffnet. Aber Realismus basiert immer auf dem, was sicher ist. Bei der Zukunft der Kernenergie ist aber vieles ungewiss. Allerdings gilt das auch für die erneuerbaren Energien. Unabhängig von der politischen Couleur wird also in jedem Fall ein gewisses Maß an Optimismus nötig sein. Es besteht die Chance, dass alle Parteien guten Willen zeigen. Und das sollten auch die vielen Flamen tun, die nichts bezahlen und nichts verändern wollen, und deshalb in der Debatte hart bleiben, fordert De Standaard.
Die Welt wird gefährlicher
Ein weiteres großes Thema ist der Rückzug der USA aus dem INF-Abrüstungsvertrag mit Russland. Der Schritt hatte sich angekündigt und doch droht dadurch nichts weniger als ein neuer Kalter Krieg, befürchtet La Libre Belgique. Der Vertrag wurde im Dezember 1987 von Ronald Reagan und Michael Gorbatschow unterzeichnet. Damals symbolisierte er das Ende des Kalten Kriegs. Genau 2.692 Raketen wurden daraufhin zerstört, der Eiserne Vorhang fiel und die Sowjetunion brach in sich zusammen. Es blieb nur noch die USA als Weltmacht. Heute bedroht eine neue Macht die Hegemonie der USA: China. Der Handelskrieg, den Donald Trump vom Zaun gebrochen hat, zeugt von der Intensität dieser Rivalität. Wegen der Frage um die Kontrolle über den Westpazifik hat diese Rivalität auch eine militärische Dimension. In diesem Kontext sehen die Amerikaner in einem bilateralen Vertrag wie dem INF-Abkommen eine Beschränkung ihres Handlungsspielraums, folgert La Libre Belgique.
Ironie der Geschichte: Im konkreten Fall des INF-Vertrags rückt Trump von seiner klassischen Abneigung gegen multilaterale Verträge ab und fordert stattdessen einen, witzelt das GrenzEcho. Aber kein Grund zur Belustigung: Trump macht mit seiner aggressiven Politik die gesamte Welt unsicherer. Handelskrieg mit China, ein angedrohter Einmarsch in Venezuela. Selbst Europa droht Trump offen. Die Welthandelsorganisation würde er am liebsten abschaffen. Die Nato ist in seinen Augen obsolet und von den Vereinten Nationen hält er auch nichts. Schlimm, dass ausgerechnet in dem Jahr, in dem wir uns zum 75. Mal an die Befreiung unserer Heimat durch amerikanische Soldaten erinnern, die USA unter Trump die fiese Fratze Uncle Sams wieder einmal so unverhohlen zeigen, beklagt das GrenzEcho.
Viel Schatten und ein wenig Licht
Die Wirtschaftszeitung L'Echo widmet sich in ihrem Leitartikel der Verkehrslage in Belgien. Bei unveränderter Verkehrspolitik wird die Anzahl der Pendler proportional zur Bevölkerung weiter anwachsen. Zugleich wird es weniger Fahrgemeinschaften geben. Und noch schlimmer: Der Warentransport wird deutlich ansteigen. Da ist es zum Beispiel surreal, dass die Regierungsparteien in Brüssel jetzt wieder über einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr diskutieren, obwohl dieselben Parteien erst 2013 den kostenlosen Nahverkehr für Rentner abgeschafft hatten.
Aber es gibt auch Lichtblicke: Zum Beispiel bekommt der innere Ring Brüssels richtige Fahrradwege; die Fahrpläne von Trams, Metros und Bussen gibt es jetzt in Echtzeit und - last but not least - bekommt Lüttich endlich seine Straßenbahn, schreibt L'Echo.
Peter Eßer