"Nationaler Streik am 13. Februar", titeln Gazet van Antwerpen und Het Belang van Limburg. "Und plötzlich steht ein nationaler Streik ins Haus", so die Schlagzeile von De Morgen. "Am 13. Februar wird das Land platt gelegt", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins.
Die drei großen Gewerkschaftsbünde rufen gemeinsam zu einem nationalen Streik im Privatsektor auf. Der soll in genau drei Wochen stattfinden, am 13. Februar. Damit sind die Verhandlungen über das neue Rahmentarifabkommen erstmal ausgesetzt. "Tarifverhandlungen: die große Blockade", titelt denn auch Le Soir.
Die Gewerkschaften verlangen nach wie vor Lohnerhöhungen von mindestens 1,5 Prozent. Die Arbeitgeber wollen ihren Mitarbeitern aber nur 0,8 Prozent zugestehen. Wegen des andauernden Patts haben die Gewerkschaften gestern den Verhandlungstisch verlassen. La Libre Belgique spricht von einer "Sackgasse"; für Het Belang van Limburg sind die Tarifverhandlungen sogar "explodiert".
(Un)Verständnis für Haltung der Gewerkschaften
Der Clash war vorhersehbar, analysiert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Seit Monaten hängt zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern der Haussegen schief. Indem sie den Verhandlungstisch verlassen haben, spielen die Arbeitnehmerorganisationen aber mit dem Feuer. Eine neue Wirtschaftskrise wirft vielleicht ihre Schatten voraus; die Konjunktur-Kontrollleuchten blinken jedenfalls orange. Hinzu kommt: Die Gewerkschaften wollen glauben machen, dass die breite Bevölkerung um ihre Kaufkraft bangen muss.
Es ist unbestritten, dass das für einen Teil der Gesellschaft zutrifft. So zu tun, als sei das ein allgemeines Problem, grenzt aber an Demagogie. Und weil das Land nur eine geschäftsführende Regierung hat, riskieren die Gewerkschaften zu allem Überfluss, dass es am Ende gar kein Rahmentarifabkommen geben wird.
Ausgerechnet die Wirtschaftszeitung De Tijd bringt ihrerseits Verständnis für die Gewerkschaften auf. Lohnerhöhungen von 0,8 Prozent in den nächsten zwei Jahren, das ist schlicht und einfach lächerlich. Der Wirtschaft geht es gut, Unternehmen sind verzweifelt auf der Suche nach zusätzlichem Personal. Da ist die Position der Arbeitgeber nur schwer zu verkaufen.
Klar: Es gibt das Gesetz, das die Lohnnorm festlegt. Das soll vermeiden, dass die Löhne in Belgien stärker steigen als in den Nachbarländern. Hier sei die Frage erlaubt, ob wirklich der Staat die Lohnentwicklung über ein Gesetz regulieren muss. Kann man das nicht den Sozialpartnern überlassen?
Kaufkraft als Wahrnehmungsproblem
Der angekündigte Streik vom 13. Februar ist aber wohl auch ein Warnschuss an die Politik. "Die Gewerkschaften machen die Kaufkraft zu Wahlkampfthema", titelt sinngemäß De Standaard. Für das Blatt ist offensichtlich: Der Protest richtet sich auch gegen das sozialwirtschaftliche Erbe der Regierung Michel.
Dass am 26. Mai gewählt wird, das dürfte wohl auch den Gewerkschaften nicht entgangen sein, bemerkt auch Gazet van Antwerpen in ihrem Kommentar. Der Streik ist wohl auch eine Ansage, die sich schon an die nächste Regierung richtet. Nach Ansicht der Gewerkschaften haben die Unternehmen in den letzten Jahren Milliardengeschenke bekommen. Und jetzt sei es an der Zeit, dass auch mal die Arbeitnehmer davon profitieren. Das verbunden mit der Frage: Ist es eigentlich normal, dass einer von fünf Belgiern wegen der niedrigen Mindestlöhne sich nur knapp über der Armutsgrenze bewegt? Ein Kompromiss erscheint hier schwierig, erst recht mit einer flügellahmen Regierung, die keinen Schmierstoff liefern kann.
Het Laatste Nieuws sieht das ähnlich. Auf der einen Seite kann man den Eindruck haben, dass die letzten vier Jahre für die Arbeitgeber ein einziges Geschenk waren. Auf der anderen Seite geht aus Umfragen hervor, dass neun von zehn Belgiern den Eindruck haben, dass ihre Kaufkraft bestenfalls gleich geblieben, in den meisten Fällen jedoch gesunken ist. Die Regierungsparteien sind also mit einem Wahrnehmungsproblem konfrontiert. Das Phänomen der Gelbwesten bettet sich genau hier ein. Der Punkt ist aber: Vom Verhandlungstisch wegzulaufen, das löst kein Problem. Beide Seiten sollten sich jetzt bitte zusammenraufen, um die Kuh vom Eis zu bekommen.
Heikle ethische Debatte
In Flandern sorgt ein Vorstoß des SP.A-Vorsitzenden John Crombez für Diskussionsstoff. Der stellt sich offen die Frage, ob man nicht für bestimmte Zielgruppen, wie etwa Drogenabhängige, das Recht auf Kinder einschränken soll. Dies zum Beispiel über eine Form von verpflichteter Verhütung. Ähnliche Ideen hatten auch schon zwei N-VA-Politikerinnen in den Raum gestellt.
Es wäre jetzt zu einfach, diese Debatte auf eine Karikatur oder eine zynische Strategie zu reduzieren, findet De Morgen. Nein, die N-VA-Politikerin Sarah Smeyers hat das nicht vorgeschlagen, weil sie ein Krypto-Nazi ist. Und nein, auch der Vorstoß von John Crombez ist nicht ein Hinweis auf einen Rechtsruck innerhalb der flämischen Sozialisten. Vielmehr haben diese Leute Einblick bekommen in die oft raue Kehrseite unserer Gesellschaft: Kinder, die in einer Welt voller Missbrauch, physischer und psychischer Gewalt, Verwahrlosung und Drogenabhängigkeit überleben müssen. Trotz aller Prävention und Sozialarbeit ist manchmal die einzige Möglichkeit, diesen Kindern diesen Leidensweg zu ersparen, die Chance, beziehungsweise das Recht, nicht geboren zu werden.
So heikel diese Debatte auch sein mag, das ist kein Grund, sie nicht zu führen, meint auch Het Nieuwsblad. Wohlwissend, dass sie schnell entgleisen kann. So darf man beispielsweise hier keinen Automatismus vorsehen, darf man niemals pauschal eine Gruppe von Menschen definieren, auf die eine solche Regel angewandt werden soll. Auch gibt es einen Unterschied zwischen unumkehrbarer Sterilisierung und zeitlich begrenzter Verhütung. Es muss aber möglich sein, sich solche Fragen zu stellen, ohne dass man einem gleich Nazi-Praktiken unterstellt.
Viele Fragen müssen da freilich noch geklärt werden, gibt auch De Standaard zu bedenken. Wer entscheidet, ob eine Frau erstmal keine Kinder mehr kriegen darf? Welche Kriterien wendet man da an? Wie drogenabhängig müssen die Eltern sein, um ihr Recht auf Kinder zeitweilig einzubüßen? Welche Methoden werden empfohlen, welche unter Zwang auferlegt? In Belgien haben wir Erfahrung mit ethischen Debatten. Hoffentlich finden wir auch hier eine Lösung im Sinne der Eltern aber eben auch der Kinder.
Roger Pint