"Generation Klima", titelt Le Soir. "Schüler rebellieren, um das Klima zu schützen", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "12.500 Schüler schwänzen die Schule für einen Marsch für das Klima", schreibt La Dernière Heure auf Seite eins.
In Brüssel sind gestern 12.500 Schüler auf die Straße gegangen, um für eine entschlossenere Klimaschutzpolitik zu demonstrieren. Die Initiative geht eigentlich von flämischen Schülern aus; am gestrigen, zweiten "Klimadonnerstag" waren aber auch schon frankophone Schüler dabei. In Flandern gibt es sogar eine Wortschöpfung dafür: "Klimaschwänzer". "Wir schwänzen bis zu den Wahlen", zitiert Het Nieuwsblad einige Schüler. "Wir ziehen das durch bis zum Ende", sagen sie auch auf Seite eins von Gazet van Antwerpen.
Die Jugend rebelliert also für den Klimaschutz, stellt La Libre Belgique fest. Die Schüler räumen da zugleich mit einigen Vorurteilen auf: Nein, diese Generation sitzt nicht nur vor der Spielekonsole, nein, die jungen Leute verbringen nicht nur ihre Zeit damit, sich selbst zu fotografieren und die Bilder ins Internet zu stellen, nein, diese Jugend schaut nicht nur auf den eigenen Nabel, sondern ist durchaus politisch engagiert. Und es ist eine schöne Initiative, die wir da gestern gesehen haben. Die Erwachsenen sind gut beraten, ihre Klischeebrille abzunehmen und ihnen zuzuhören. Denn: Sie haben Recht.
Ein rauer Gegenwind
Jetzt meldet sich also eine Generation, von der man ansonsten wenig spricht und der man auch kaum zuhört, konstatiert auch Le Soir. Allein schon deswegen sollte man sich das Phänomen einmal genauer anschauen. Man muss sich schließlich nicht nur mit denen beschäftigen, die schon wählen dürfen. Denn nicht vergessen: Die, die wir gestern in den Straßen der Hauptstadt gesehen haben, das sind diejenigen, die irgendwann einmal über uns urteilen werden. Das sind diejenigen, die die Konsequenzen unserer Inkonsequenz erleiden müssen. Und es ist das erste Mal, dass eine Generation quasi im Voraus ihre Vorgänger zur Rechenschaft zieht.
Einige Leitartikler beklagen allerdings, dass den Schülern ein doch ziemlich rauer Gegenwind vonseiten der Erwachsenen entgegenschlägt. Auch in dieser Geschichte können wir gleich wieder eine Polarisierung beobachten, analysiert etwa De Morgen. Diesmal geht es nicht um Migranten oder Identität. Doch die Reaktionen in sozialen Netzwerken sind vergleichbar. Da werden die Schüler als hoffnungslos naiv hingestellt, die im Grunde genau das Gegenteil dessen tun, wofür sie demonstrieren: Sie fliegen mal eben zum Partymachen nach Berlin oder hinterlassen das Festivalgelände wie eine Müllhalde. Das nimmt ihnen aber nicht das Recht, besorgt zu sein. Und ungerecht ist es, von den Schülern auch gleich fertige Konzepte zu fordern.
Kein verlorener Tag
Het Belang van Limburg sieht das ähnlich: Das Niveau der Kritik an den Schülern ist zuweilen unterirdisch. Engagierte Jugendliche wie Anuna De Wever, die die Bewegung mitbegründet hat, werden im Netz persönlich angegriffen und niedergemacht. Da wird sogar in ihrem Privatleben herumgeschnüffelt. Sowas gab es noch nie. Und das nur, weil die jungen Menschen es wagen, ihre aufrichtige Sorge zum Ausdruck zu bringen über ein Problem, das man kommen sieht, auf das die Gesellschaft allerdings nicht angemessen reagiert.
Das ist so billig, findet auch Het Laatste Nieuws. Wie einfach ist es, als Erwachsener den Protest der 12.500 Schüler zynisch vom Tisch zu fegen. Klar: Die Botschaft klingt naiv; und diese Generation ist auch bestimmt nicht immer konsequent. Und wirklich fundiert ist die Kritik auch nicht immer. Aber ist das nicht irgendwie auch erlaubt, wenn man erst 16 oder 17 Jahre alt ist? Es ist schon merkwürdig, wenn Erwachsene von Schülern das erwarten, was sie selber auch nicht auf die Reihe bekommen.
Wie altklug klingen da doch gewisse Reaktionen, meint auch L'Echo. Man hört da manchmal so Sätze wie: "Ihr wollt demonstrieren? Schön! Dann macht das bitte außerhalb der Unterrichtsstunden." Ist das wirklich die Antwort, die man diesen besorgten Jugendlichen geben muss? Nein, liebe Schüler, das gestern war kein verlorener Tag. Ihr habt gestern mehr gelernt als im Klassenzimmer. Ihr habt gelernt, ein Großereignis zu organisieren, den Norden und den Süden unter dem Banner des Klimaschutzes zu vereinen. Schwänzen für das Klima, das ist ein gewonnener Tag.
Wenn es ums Geld geht...
Das ändert aber nichts daran, dass die Lösungen kompliziert sind und oftmals in der Praxis die gesellschaftliche Akzeptanz fehlt, gibt De Tijd zu bedenken. Jüngstes Beispiel in Frankreich: Dort gingen die Gelbwesten ursprünglich auf die Straße, um gegen die Erhöhung der Kraftstoffpreise zu protestieren. Oft zeigt sich: Klimaschutz kostet Geld. Und apropos Gelbwesten: Schwänzen und Protestieren, das ist ja schön und gut. Irgendwann braucht es aber dann auch mal konkrete Forderungen. Und dann wird sich zeigen: Wenn es um Geld geht, dann ist es schnell vorbei mit dem Konsens.
Aber eines steht fest: Die jungen Leute wollen sich nicht totkuscheln lassen, stellt Het Nieuwsblad fest. Sie lassen sich nicht vereinnahmen. Und hier lauert ein neues, fundamentales Problem: Es droht ein echter Generationskonflikt. Wir müssen einsehen, dass wir heute viel zu viele Probleme auf die künftigen Generationen abwälzen. Die Frage ist mehr denn je: Fällt der Politik heute nichts Besseres ein als eine Haltung nach dem Motto "Nach uns die Sintflut"?
Roger Pint