"Das große Durcheinander", titelt Le Soir. "Die Umstrukturierung bei Proximus kommt nicht gut an", stellt De Tijd auf seiner Titelseite fest. "Die Regierung kocht vor Wut auf Proximus", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
Die anstehende Umstrukturierung beim Telekomanbieter Proximus sorgt weiter für Wirbel. Heute will das Unternehmen nähere Einzelheiten zu seinen Plänen bekanntgeben. "Proximus sorgt erst heute für Klarheit", bemerkt etwa das GrenzEcho. Seit vorgestern Abend steht eine Zahl im Raum, die heute auch auf der Titelseite von Het Laatste Nieuws prangt: "Fast 2.000 Menschen verlieren ihren Job", notiert das Blatt. "Einer von sechs Arbeitsplätzen wird geopfert", bemerkt auch L'Avenir. Wirtschaftsminister Kris Peeters hat die Zahlen im Wesentlichen bestätigt. Parallel dazu sollen aber auch neue Stellen geschaffen werden: "Proximus plant 1.900 Entlassungen und lässt zugleich auf 1.250 Neueinstellungen hoffen", so fasst L'Echo zusammen.
"Die Leitung ist gestört"
Die Föderalregierung, allen voran Premierminister Charles Michel, reagierte mit spürbarer Verstimmung auf die Meldungen: Er lasse sich nicht vor vollendete Tatsachen stellen, giftete Michel. "Maximaler Druck auf Proximus-Chefin Dominique Leroy", so resümiert es Le Soir. La Libre Belgique spricht von "gespannten Beziehungen" zwischen beiden Seiten. Michel hatte jedenfalls die Proximus-Geschäftsführerin zum Gespräch einbestellt. Die Botschaft der Regierung steht unter anderem auf Seite eins von De Morgen: "Michel will keine betriebsbedingten Kündigungen bei Proximus".
"Die Leitung ist gestört", kann L'Avenir nur feststellen. Die Regierung und ihr Staatsbetrieb sind nicht mehr auf einer Linie. Für Michel ist es bestimmt nicht lustig, von der geplanten Umstrukturierung quasi aus der Zeitung zu erfahren. Auf der anderen Seite muss man sich fragen, ob Proximus wirklich eine Wahl hat. Es war nicht zuletzt die Entscheidung der Regierung, einen vierten Anbieter auf dem belgischen Telekommarkt zuzulassen, die Proximus unter Zugzwang gesetzt hat. Das Unternehmen tut, was es tun muss: Es versucht, sein Geschäftsmodell den neuen Zeiten anzupassen.
"Was erwartet die Regierung eigentlich von Proximus?", fragt sich auch Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Proximus muss einen schwierigen Spagat hinbekommen: Ein früherer Staatsbetrieb, bei dem der Staat nach wie vor Mehrheitsaktionär ist, muss sich am Markt behaupten. Und die Regierung erwartet die Vorteile von beiden Seiten: maximalen Gewinn und zugleich Jobsicherheit für alle Mitarbeiter. Das kann man allenfalls als "weltfremd" bezeichnen.
"Schluss mit der Heuchelei!"
Das Durcheinander der letzten Tage wirft Fragen auf, meint seinerseits Le Soir. Erstens: Ist es wirklich glaubhaft, wenn die Regierung behauptet, nichts von den Plänen gewusst zu haben? Wenn das wirklich so ist, dann muss man dem Mehrheitsaktionär mindestens eine doch erstaunliche Passivität bescheinigen. Zweitens: Hat nicht die Regierung die Entscheidungen selbst heraufbeschworen, gegen die man jetzt so lauthals protestiert? Es war der damalige Telekom-Minister Alexander De Croo, der mehr Wettbewerb wollte. Dann muss man auch die Konsequenzen akzeptieren. Die Regierung wird hier eigentlich nur mit ihrer Verantwortung konfrontiert.
"Schluss mit der Heuchelei!", fordert denn auch L'Echo. Die Regierung wettert gegen eine Marschrichtung, die sie selbst in Teilen vorgegeben hat. Der Staat muss aufpassen, dass er ein börsennotiertes Unternehmen nicht daran hindert, sich auf die neuen Zeiten einzustellen. Gerade die Telekombranche wird von Big Playern wie Facebook oder Netflix aufgemischt, die alles andere als reguliert sind.
Die Regierung muss konsequent sein, findet auch De Tijd. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder, man öffnet das Kapital für Aktionäre. Dann ändern sich die Spielregeln. Diese Leute investieren schließlich nicht aus reiner Nächstenliebe in ein Unternehmen. Wenn der Regierung die neuen Spielregeln nicht passen, dann muss sie eben Proximus zurückkaufen und die Aktionäre auszahlen. Dann kann Proximus wieder zur Spielwiese für Politiker werden. Und dann können wir das Unternehmen auch wieder umtaufen in "Nationales Telegrafen- und Telefonamt".
Für La Libre Belgique sollte man indes die Lehren aus dem Ganzen ziehen: Zuallererst muss man dafür sorgen, dass sich ein Chaos wie gestern nicht wiederholt. Immerhin wurde da die Chefin eines börsennotierten Unternehmens mal eben von der Regierung zum Rapport einbestellt. Zweitens: Der Staat darf nicht zum Hemmschuh werden, wenn sich ein Unternehmen neuen Gegebenheiten anpassen will. Und drittens, apropos: Proximus, das ist nur der Anfang: Die Digitalisierung wird die ganze Gesellschaft vor neue Herausforderungen stellen. Man sollte die Ereignisse zum Anlass nehmen, um diesen Prozess vorzubereiten.
Dries Van Langenhove fordert Theo Francken heraus
In Flandern sorgt indes noch eine politische Personalie für Aufsehen: "Dries Van Langenhove wird Francken bei der Wahl Konkurrenz machen", so formuliert es Het Laatste Nieuws. Der Chef der rechtsradikalen Jugendorganisation "Schild & Vrienden" wird Spitzenkandidat für den Vlaams Belang in der Provinz Flämisch-Brabant und damit direkter Konkurrent des N-VA-Spitzenpolitikers Theo Francken. Gegen Van Langenhove und seine Organisation ermittelt inzwischen die Justiz, und das wegen rechtsextremer Umtriebe. Er selbst hatte noch bis vor Kurzem jegliches parteipolitisches Engagement kategorisch ausgeschlossen.
Der Sinneswandel kam dann doch recht schnell, frotzelt Het Laatste Nieuws in seinem Kommentar. Wenn er auch betont, dass er als unabhängiger Kandidat ins Rennen geht, das ist Unsinn. Für jemanden, der auf einer Wahlliste steht, heißt es früher oder später immer: mitgehangen, mitgefangen.
Der PR-Coup des Vlaams Belang macht der N-VA das Leben schwer, analysiert De Standaard. Die Kandidatur von Dries Van Langenhove wird den Rechtsextremen zusätzlichen Auftrieb geben: Die N-VA wird darauf reagieren müssen. Auf die Gefahr hin, Wähler in der Mitte zu verlieren. Der Kampf zwischen beiden Parteien um die rechtsextreme Wählerschaft, das ist der Wahlkampf innerhalb des Wahlkampfs.
Roger Pint