Unsicherheit und Hoffnung – um diese beiden Begriffe geht es heute in den Leitartikeln nahezu aller belgischen Zeitungen. Es gibt immer mehr Unsicherheit, stellt La Libre Belgique fest. 2018 steht für europäische Regierungen in der Krise, protestierende und randalierende Gelbwesten, drohende Konflikte, triumphierende Populisten und kriselnde Aktienmärkte.
Aber 2018 hat auch Freudentränen gebracht: Leichtathletik, Fußball, Hockey und weitere - Die Belgier werden sich noch lange an die sportlichen Erfolge dieses Jahres erinnern. Als Hoffnung bleibt außerdem die Erkenntnis, dass die Bedrohung durch den Klimawandel nun endlich ernst genommen wird, findet La Libre Belgique.
Kaum Anlass für Optimismus
Das zunehmende Umweltbewusstsein hat auch L'Avenir als großen positiven Trend ausgemacht. Die alte Welt wird rissig und droht zu zerbrechen.
Aber daraus können auch neue Formen des Zusammenlebens erwachsen, die weniger auf den offiziellen Strukturen fußen. Und es gibt sie schon. Immer mehr Menschen wollen bewusst konsumieren und bei jeder Entscheidung, die sie treffen, die Auswirkungen für den Planeten bedenken.
Um die Welt zu ändern müssen wir zunächst unsere Sichtweise ändern, oder?, fragt L'Avenir rhetorisch.
De Standaard sieht allerdings kaum Anlass für Optimismus. Zu Anfang des Jahres war die Hoffnung noch groß. Die Arbeitslosigkeit nahm ab und an den Börsen stiegen die Kurse. Große Anschläge waren uns erspart geblieben und die Migrationskrise schien ihren Höhepunkt erreicht zu haben.
Aber die Hoffnung ging schnell verloren. Ein offener Handelskrieg zwischen den USA und China und ein drohender ungeordneter Brexit bringen Unsicherheit. Eine neue Dynamik zwischen Deutschland und Frankreich bleibt aus und Politologen sagen für die Europawahl einen Durchbruch populistischer Parteien voraus. Die Welt scheint der Instabilität ausgeliefert zu sein, befürchtet De Standaard.
Mehr Angst
Wir können nicht klagen, meint hingegen Het Laatste Nieuws. An wenigen Orten in der Welt lebt es sich angenehmer und sicherer.
Natürlich haben Flandern und Belgien ihre kleinen Mankos, aber wenn wir uns die Zahlen anschauen, sehen wir: 2018 ging es besser als 2008. Und 2008 ging es besser als 1988, und besser als 1968 und vor allem besser als 1918.
Die Kindersterblichkeit ist gesunken, weniger Menschen leben in Armut oder sterben durch Krieg, Terror, Epidemien und Naturkatastrophen. Wissenschaft und Technik kennen keine Grenzen.
Mehr Menschen genießen die Vorteile von Demokratie und Freiheit – es sei denn sie sind am falschen Ort geboren. Zum Beispiel in Jemen, Syrien, Iran, im Kongo oder in Venezuela. Vor allem hierzulande geht es uns besser, aber wir haben auch mehr Angst, stellt Het Laatste Nieuws fest.
De Morgen weiß auch, warum wir heute ängstlicher sind: Die sozialen Medien sind schuld. Das Geschäftsmodell der sozialen Medien basiert auf emotionalem Engagement und somit auf Wut und Empörung. Um Reaktionen hervorzurufen wird den Nutzern ein algorithmisch verzerrtes Bild der Realität präsentiert.
Das dadurch entstehende Unbehagen wird ausgenutzt und vergrößert. Und das mit Erfolg. Überall auf der Welt richtet sich der Rhythmus der Politik am Tonfall der sozialen Medien aus. Es ist gut, dass mehr und mehr Menschen merken, dass soziale Medien eine verbindende aber auch eine dunkle und manipulative Seite haben, schließt De Morgen.
Zeit für Veränderung
Gazet van Antwerpen sieht die grundsätzliche Problematik darin, dass Probleme zwar erkannt aber nicht oder zumindest nicht schnell genug angegangen werden. Wir wissen, dass Großbritannien die EU auf ordentliche Weise verlassen muss. Wir wissen, dass alle europäischen Länder Migration gemeinsam angehen müssen. Wir wissen, dass die Erde sich erwärmt. Und wir haben in 2018 wieder gesehen, dass Flandern und die Wallonie sich weiter voneinander entfernen.
Bei den Lösungen all dieser Probleme stecken wir in Grabenkämpfen fest. Diese Grabenkämpfe zwischen Großbritannien und Europa, zwischen Osten und Westen, zwischen Links und Rechts, haben unser Zusammenleben in 2018 nicht einfacher gemacht. 2019 muss sich das ändern, fordert Gazet van Antwerpen.
In diese Kerbe schlägt auch das GrenzEcho. Der Leitartikler setzt die heutige Situation in einen größeren Kontext: 1989 eröffneten sich mit dem Fall der Mauer für unsere damals zweigeteilte Welt unverhoffte Möglichkeiten. Heute, 30 Jahre später, muss man ernüchtert feststellen: Sie verstrichen ungenutzt.
Anstatt vor einem erneuten Kalten Krieg zu stehen, wären eine An- und sogar Einbindung Russlands in die Nato möglich gewesen. Man hätte auch die Zeit des chinesischen Aufschwungs nutzen können, um mit den Chinesen vernünftige Wettbewerbsregeln zu erarbeiten. Man hätte auch die Zeit nutzen könne, um eine Weltwirtschaft auf die Schiene zu bringen, die weniger Ressourcen braucht, statt auf Gedeih und Verderb auf ungezügeltes Wachstum zu setzen.
Es bleibt zu hoffen, dass sich 30 Jahre nach dem Fall der Mauer die führenden Nationen auf ihre gemeinsame Verantwortung besinnen und endlich ihre nationalen Egoismen ablegen, unterstreicht das GrenzEcho.
Peter Eßer