"Landesweite Streiks sorgen für Störungen". Das ist am Freitag die Überschrift auf Seite eins des GrenzEchos. "Überall könnte es eng werden", befürchtet L'Avenir. Denn die Gewerkschaften wollen am Freitag mit einem Generalstreik das gesamte Land lahmlegen. In Lüttich und Charleroi, in Brüssel und Gent, überall wird die Arbeit niedergelegt.
L'Avenir bemerkt, dass das allerdings nur der Auftakt ist. Am Freitag sind es die Gewerkschaften, am Samstag wollen die Gelbwesten wieder protestieren und am Sonntag wollen die Gegner des UN-Migrationspakts in Brüssel auf die Straße gehen. Und das alles während einer schweren Regierungskrise. Die Koalition von Premierminister Charles Michel ist ja zerbrochen, er steht ohne Mehrheit da. Die letzten Jahre hat es schon mehrmals landesweite Proteste und Streiks gegeben. Die Regierung hat aber nie nachgegeben. Nun sind letztes Wochenende die Proteste der Gelbwesten in Paris erneut eskaliert. Frankreichs Präsident sah sich genötigt, Milliarden für die Steigerung der Kaufkraft zu versprechen. Das könnte auch die Gelbwesten hierzulande anspornen.
Drohende Gewalt
Und auch am Sonntag könnte es zur Gewalt kommen. Der Demonstrationszug der Migrationsgegner, organisiert von rechten und rechtsextremen Gruppen ist eigentlich verboten worden. Die Rechten wollen aber trotzdem aufmarschieren. Drei Tage also, in denen es zu Gewalt kommen könnte. Und das in einer Zeit politischer Instabilität. Erleben wir gerade die Rückkehr der Gewalt in die Politik?, sorgt sich L'Avenir.
De Morgen geht den Ursprüngen der Unzufriedenheit nach. Es ist eine stille Erosion. Der Ökonom Philippe Defeyt hat nämlich festgestellt, dass die Kaufkraft der unteren Einkommen nicht steigt. Defeyt hat sich die Entwicklung von Einkommen und Preisen über die vergangenen 20 Jahren angeschaut. Und ja, die Kaufkraft ist rasch gestiegen. Allerdings kosten gerade alltägliche und unbedingt nötige Produkte heute sehr viel mehr. Die Preise für Energie, Wasser und Kraftstoffe sind viel schneller gestiegen als die Einkommen. Das trifft die untere Mittelklasse natürlich sehr viel härter.
Diese Erkenntnisse zeigen zum einen, dass die Schuld nicht nur bei der aktuellen Regierung zu suchen ist. Es handelt sich schließlich um eine Entwicklung über einen längeren Zeitraum. Zum anderen zeigen sie, dass die Globalisierung auch in hiesigen Wohlfahrtsstaaten klare Verlierer schafft, meint De Morgen.
Wahl zwischen Pest und Cholera
La Libre Belgique kommt auf die Regierungskrise zu sprechen. Wie eine Katze mit der Maus in ihren Krallen spielt die Opposition mit der totgeweihten Regierung. Aber Premierminister Charles Michel klammert sich an sein Amt. Er möchte mit den Zielsetzungen seiner Regierung in der Sozial-, Wirtschafts- und Klimapolitik punkten. Dabei wird er zur Geisel von Nationalisten, Grünen, Humanisten und Sozialisten. Sie werden für ihre Unterstützung Forderungen stellen, die sich mit Sicherheit gegenseitig widersprechen.
Die Situation ist gefährlich. Und alle Experten sind sich einig: Michel muss die Vertrauensfrage stellen. Sollte er dann tatsächlich fallen, würde das nicht automatisch zu vorgezogenen Neuwahlen führen. Der Premierminister kann das ablehnen und würde übergangsweise weiterregieren. Diese Situation wäre nicht schlimmer als eine Minderheitsregierung. Eins ist sicher: Kurz vor Regional- und Europawahlen können keine Parlamentswahlen stattfinden. Die Regierungsbildung würde in dem nächsten Wahlkampf fallen. Es bleibt also die Wahl zwischen Pest und Cholera: Minderheitsregierung oder geschäftsführende Regierung, stellt La Libre Belgique fest.
Generationskonflikt wegen Klimawandels
Het Nieuwsblad hat die Klimapolitik als Kernthema ausgemacht. Premierminister Charles Michel hofft noch auf die N-VA. Als sie noch gemeinsam regiert haben, hatten die flämischen Nationalisten Zugeständnisse im sozioökonomischen Bereich gemacht. Aber auf die N-VA kann sich Michel sicherlich nicht verlassen. Die zweite Rettungsleine für den Premierminister sind die Grünen. Eine vorläufige Version des föderalen Klimaplans ist jetzt öffentlich geworden und es zeigt sich: Michel muss noch sehr viel mehr tun, um die Grünen auf seine Seite zu bekommen.
Der Premier besteht darauf: Belgien ist beim Klima ehrgeizig. Und im Grunde genommen ist der Klimaplan der Regierung auch ehrgeizig. Das Problem ist, dass Belgien einen deutlichen Rückstand aufzuholen hat. Zwar findet ein Teil der Wähler, dass Klimapolitik keine Priorität hat. Aber gerade die junge Wählerschaft macht sich Sorgen. Diese Generation muss später mit den Folgen des Klimawandels leben. Die Klimapolitik birgt Potential für einen Generationskonflikt, schreibt Het Nieuwsblad.
Le Soir äußert sich zum Bedeutungsverlust des Niederländischen in Brüssel. 2001 hatte noch ein Drittel der Einwohner der Hauptstadt angegeben, gut Niederländisch zu sprechen. Heute ist es nur noch jeder Sechste. Das ist das kommende Ende der institutionell geförderten Trennung zwischen Sprechern des Flämischen und des Französischen. Diese institutionelle Trennung geht auf die Bildung der Region Brüssel 1989 zurück.
Aber seitdem hat sich einiges verändert. Gut die Hälfte der heute 1,2 Millionen Brüsseler sind nicht in Belgien geboren. Diese Menschen können sich nicht mit einer der beiden Regionalsprachen identifizieren. Heute definieren sich die Einwohner der Hauptstadt spontan oft einfach als Brüsseler. Und sie wollen politische Lösungen, um die sprachliche Trennung zu überwinden. Alle politischen Parteien wären gut beraten, das in ihren Wahlprogrammen zu berücksichtigen, rät Le Soir.
Peter Eßer