"Michel muss sich entscheiden"', titelt De Morgen. "Ist Michel II legitim?", fragt sich Le Soir. Und De Standaard stellt fest: "N-VA jetzt schon auf Konfrontation mit Michel II". Die belgische Presse beschäftigt sich heute vor allem mit den vielen offenen Fragen rund um die neue Regierung.
Het Nieuwsblad fragt sich: Was ist denn jetzt der beste Name für die neue Regierung? Michel II, Michel I – 1 oder Michel 30%? Ist es jetzt eine Regierung, die einfach weiterregiert oder dieselbe Regierung, die neue Prioritäten an alte Absprachen koppelt? Oder ist es dieselbe Regierung, die zwar weniger Minister hat aber dieselbe Arbeit macht? Das ist nicht allein Sache der Wahrnehmung. Die Interpretation des heutigen nie da gewesenen Zustands ist Sache der Verfassung, ob eine Regierungserklärung und eine Vertrauensabstimmung im Parlament kommen muss oder nicht. Die Chance ist groß, dass diese neue/alte Regierung diese nicht überlebt, glaubt Het Nieuwsblad.
Eine Regierungserklärung ist das Mindeste
De Morgen ist der Ansicht, dass die Regierung sich erklären muss. Sowohl der Premier als auch die übriggebliebenen Minister erklären, dass sie doch andere Akzente setzen wollen mit "einer neuen Politik". So erklärt die Regierung plötzlich Klimapolitik zu einer ihrer Prioritäten. Das darf natürlich immer – gerne sogar – aber so eine Kursänderung muss in einer parlamentarischen Demokratie natürlich die Unterstützung von der Mehrheit der Abgeordneten erhalten. Eine Regierungserklärung ist also das Mindeste. Der Premier ist nicht verpflichtet, daran eine Vertrauensfrage zu koppeln. Der Ball liegt bei der Opposition, die mit einem Misstrauensvotum die Regierung zu Fall bringen kann. Das würde dann sicher vorgezogene Neuwahlen auslösen und möglicherweise einigen Volkszorn. Das ist ein Risiko für fast alle Parteien. Es scheint also, dass die Regierung Michel II bis jetzt schon vor einer fundamentalen Entscheidung steht, entweder mit einem Minimalprogramm vorsichtig die letzten Monate bis zum Wahltag versuchen über die Bühne zu bringen oder ambitionierte neue Politik in Angriff nehmen, allerdings mit dem ständigen Risiko einer definitiven Niederlage in der Kammer, notiert De Morgen.
Guter Willen und Gelassenheit
La Libre Belgique meint dazu: Eine Minderheitsregierung ist zwar unangenehm aber kein Staatsstreich. Die fragile Regierung von Charles Michel muss bescheiden und eng mit dem Parlament zusammenarbeiten. Die Abgeordneten haben jetzt das Schicksal des Landes in ihren Händen. Es wird doch wohl einige fähige Menschen guten Willens geben, die Verantwortung zeigen und eine Krise in der Krise verhindern. Bei den kommenden Wahlen am 26. Mai haben die Wähler dann das Wort. Bis dahin wäre ein wenig guter Willen und Gelassenheit wohl sicher nicht zu viel verlangt, hofft La Libre Belgique.
Le Soir schüttelt mit dem Kopf. Die politische Krise in Belgien hört nicht auf. Sie ist unverständlich, surrealistisch und gefährlich. Die Bürger sind nicht wütend, es ist vielleicht sogar schlimmer. Sie haben aufgegeben, sie folgen nicht mehr. Sie lassen all die Regierungen, halben Regierungen, Minderheitsregierungen, geschäftsführenden Regierungen, all die Schwedischen, orange-blauen, legitimen oder undemokratischen Regierungen einfach in ihrer Parallelwelt, in ihrer Blase, die sich Politik nennt, stellt Le Soir fest.
Hysterie und Fake News
Einige Zeitungen beschäftigen sich auch mit dem Auslöser des Ganzen: dem UN-Migrationspakt. L'Echo spricht von einer Hysterie. Weil die Rechtsextremen und Populisten es so wollen, ist der Migrationspakt zum Wahlkampfthema geworden. Ohne irgendeinen Lösungsansatz für die wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Probleme anzubieten, hat sich die Rechtsextreme dazu entschieden, mit den Ängsten zu spielen. Während die Gelbwesten versuchen, so gut es geht, das Elend der Welt zu erklären, kaschiert die Rechtsextreme, und bei uns die N-VA, die Debatte zynisch mit einem "Heiligen Kampf" gegen die Hilflosesten und Schwächsten dieses Planeten. Es gibt ja nichts Einfacheres, als die Angst vor einer Invasion zu wecken, indem man Fake News wie den großen "Volksaustausch" der europäischen Bevölkerungen verbreitet, der vom so genannten "System" angezettelt wird.
Was für ein trauriger Kampf, der darin besteht, die Aufmerksamkeit der Wähler auf die Angst einer Barbareninvasion wie im letzten Jahrtausend zu lenken. Die Angst vor einer Flüchtlingskrise, die bereits seit drei Jahren beendet ist. Welch trauriger Kampf, während seit Jahresbeginn 2.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind, vor den Augen der gleichgültigen Europäer. Ein Kampf nicht für das Wohl der Gesellschaft, für liberale und menschliche Werte, sondern dafür eine freiheitsbedrohende Ordnung durchzusetzen. Es scheint wirklich einfach, sich ein politisches Mandat zu ergattern, auch wenn man nicht mal die Fähigkeit hat, ein ordentliches Wirtschafts- und Sozialprogramm auf die Beine zu stellen, schimpft L'Echo.
Auch Het Belang van Limburg beschäftigt sich schließlich mit den Fake News rund um den UN-Migrationspakt. In Deutschland kam jetzt heraus, dass sich so genannte Bots in die Diskussion eingemischt haben. Das sind automatisierte Computerprogramme, die waren verantwortlich für rund ein Viertel der Tweets über den Migrationspakt. Wer diese Fake News-Investoren auch sein mögen, in Flandern war es nicht nötig, dass sie die Diskussionen anstocherten. Hier sorgte die N-VA schon für ausreichend Tweets, kritisiert Het Belang van Limburg.
Volker Krings