"Grabenkampf im Vereinigten Königreich", titelt heute Le Soir. "Theresa May kämpft um ihr politisches Überleben", heißt es bei De Tijd. Und L'Echo schreibt kurz und knapp: "Brexit Mayday".
Fast alle belgischen Tageszeitungen beschäftigen sich in ihren Leitartikeln mit dem Brexit und der britischen Premierministerin Theresa May. Das mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen wurde von den Parlamentariern im Unterhaus regelrecht in der Luft zerrissen. Eine Mehrheit wird es dort wohl nicht geben, zudem droht ein Misstrauensvotum gegen May.
Dazu meint De Morgen: Jetzt, wo die Karten endlich auf dem Tisch liegen, zeigt sich, was wir schon lange wussten – es gibt wirklich nichts Gutes an diesem ganzen Brexit. Jeder Ausweg schafft Verlierer, und die Verluste können enorm ausfallen. Der Rest Europas kann sich zwar ins Fäustchen lachen, aber es wäre eine Illusion, zu glauben, dass diese Verluste nicht auch hier zu spüren sein werden. In einer Zeit, in der die Wirtschaft wieder etwas schwächelt, ist das wahrhaftig keine schöne Aussicht, stellt De Morgen fest.
Eine triste Situation
La Libre Belgique schreibt: Die Schäden durch den Brexit sind bereits kolossal, bevor er überhaupt da ist. Die politische Landschaft in Großbritannien liegt in Trümmern, durch die Bevölkerung ziehen sich Bruchlinien, die erst in Jahren wieder geschlossen werden können. Das Vereinigte Königreich hat die Kontrolle über sich selbst verloren, indem es ein Problem geschaffen hat, wo es gar keins gab, glaubt La Libre Belgique.
L'Echo kommentiert: Wenn die Europäer eines Tages auf diese dramatischen Stunden zurückblicken werden, dann dürfen sie sich für ihre Einigkeit loben, die vielleicht das Ende einer existenziellen Krise eingeläutet hat.
Es ist eine triste Situation, gerade, weil das, was auf dem Tisch liegt, vertretbar ist, findet De Tijd. Das Austrittsabkommen beinhaltet viele gute Punkte: EU und Großbritannien wollen weder Quoten noch Zölle für Waren, die sie sich gegenseitig verkaufen, einführen. Beide versprechen auch, sich nicht zu bekämpfen – weder durch Subventionen, noch durch die Aufweichung des Arbeitsrechts, der sozialen Sicherheit oder von Umweltnormen. Das sind gute Abmachungen für einen fairen Wettbewerb, findet De Tijd.
Theresa Mays Trumpfkarte
Für Het Belang van Limburg sind es gerade die Kompromisse, die den Deal für die Brexit-Hardliner inakzeptabel machen. Dass ihr Land für unbestimmte Zeit die Regeln der EU weiter befolgen muss, ohne dass es Einfluss darauf hat, ist aber auch für die Brexit-Gegner schwer zu schlucken. In ihren Augen ist das der Beweis, dass es nur einen Ausweg aus diesem selbst geschaffenen Chaos gibt: ein zweites Referendum. Mal abgesehen vom unsicheren Ausgang wäre dieses Szenario ein großes Problem. Es würde die demokratische Entscheidung einer ganzen Nation in den Mülleimer werfen. Auch, wenn die Entscheidung aufgrund von Lügen und falschen Versprechungen zustande kam. Dem europäischen Kontinent bietet das Vereinigte Königreich in diesen Tagen ein Bild des Durcheinanders und der Zerrissenheit. Für den Brexit wird es eine Lösung geben – wie die aber aussehen wird, steht in den Sternen, so Het Belang van Limburg.
De Standaard analysiert: Wie die Briten sich aus diesem Sumpf befreien wollen, in den sie sich selbst hineinmanövriert haben, bleibt Kaffeesatzleserei. Aber May hat eine Trumpfkarte in der Hand: Es gibt keine Alternative zu ihrem gestern so schwer geschmähten Abkommen mit der EU. Niemand hat einen glaubwürdigen alternativen Vorschlag präsentiert. Es ist das Beste, worauf die Briten unter den derzeitigen Umständen hoffen können, so De Standaard.
Großbritanniens Zukunft wird wohl schmerzhaft – egal mit wem
Die Sturheit, mit der May für das Abkommen kämpft, ist bewundernswert, findet Het Nieuwsblad. Sie selbst hat hier kaum etwas zu gewinnen. Egal, wie es jetzt auch weitergeht, als Gewinnerin wird sie hier nicht hervorgehen. Sie kann ein noch so schönes Abkommen liefern, es wird niemals genügen, um die Kritik in ihrem Unvereinigten Königreich zum Verstummen zu bringen, prophezeit Het Nieuwsblad.
Auch L'Avenir hat lobende Worte für die britische Premierministerin: Theresa May ist bestimmt nicht die charismatischste der bisherigen britischen Premierminister. Es gibt sogar einige, die sie als streng, langsam und wenig fantasievoll bezeichnen. Aber sie ist ein zähes Arbeitstier, das seinen Kurs hält. Eine Frau mit Überzeugungen. Und vor diesen Waffen werden noch viele kapitulieren. Am Ende könnte es sogar sein, dass sie es schafft, ihr Abkommen durchs Parlament zu bringen, wenn auch vor wenigen Tagen die Buchmacher nicht einen Penny auf sie gesetzt hätten, glaubt L'Avenir.
Het Laatste Nieuws ist anderer Ansicht: Möglicherweise überlebt May die Rebellion in ihrer eigenen Regierung und Partei. Aber wie sie den Deal mit der EU durchs Parlament bekommen soll, bleibt ein Rätsel. Falls nicht, folgt die harte Scheidung und/oder eine Machtübernahme durch Jeremy Corbyn und seine Labour-Partei. Der Mann, der 2016 zu feige war, um sein Gewicht für das Remain-Lager in die Schale zu werfen und deshalb auch kein neues Referendum durchführen wird. Die Chance ist also groß, dass eine sehr schmerzvolle Zeit anbricht, fürchtet Het Laatste Nieuws.
Volker Krings