"Schachern und puzzeln rund um kommunale Koalitionen", schreibt De Tijd auf Seite eins. "In Gent und Ostende ist die Situation festgefahren", titelt Het Laatste Nieuws. Het Nieuwsblad sieht sogar ein "Pokerspiel um drei Städte", die Zeitung zählt noch Antwerpen hierzu.
Zwei Tage nach der Kommunalwahl sind überall im Land Koalitionsverhandlungen angelaufen mit Blick auf die Bildung neuer kommunaler Mehrheiten. Besonders spannend ist das in Flandern. In Gent und Ostende stehen sich jeweils zwei Blöcke gegenüber, die sich gegenseitig neutralisieren. Ein Ausweg ist in beiden Städten nur möglich, wenn sich eine der beiden Allianzen aufbrechen lässt. Ansonsten droht ein regelrechtes Patt. "Zwei Bürgermeister beanspruchen Gent", so fasst es jedenfalls De Standaard zusammen. De Morgen vergleicht das Ganze mit einem "Schachspiel". In Antwerpen erscheint die Situation da vergleichsweise noch einfach. Hier hat ja Bart De Wever mit seiner N-VA wieder ein Bombenergebnis erzielen können. Die bisherige Koalition hätte aber nur eine knappe Mehrheit von einem Sitz. De Wever hat also alle Parteien zu Sondierungsgesprächen eingeladen. Groen hat in einer ersten Reaktion aber eine mögliche Koalition mit der N-VA erstmal ausgeschlossen. Beide Projekte seien inkompatibel, begründeten die Grünen ihre Ablehnung.
De Wever zwischen zwei Stühlen
"De Wever sitzt buchstäblich zwischen zwei Stühlen", analysiert De Standaard in seinem Leitartikel. Er wird durch zwei Sieger eingequetscht. Auf der einen Seite der Vlaams Belang, der so ein bisschen überall in Flandern und auch in Antwerpen Achtungserfolge erzielen konnte. Die Rechtextremisten haben der N-VA am rechten Rand Stimmen abgeluchst. Da würde sich also ein Rechtsruck anbieten.
Auf der anderen Seite weist aber das gute Ergebnis von Groen daraufhin, dass es eine große Nachfrage gibt für Themen wie Lebensqualität, Mobilität oder Umwelt. Für De Wever ist es ein schwieriger Spagat.
"Das N-VA-Angebot ist eine grüne Chance", glaubt seinerseits Gazet van Antwerpen. Für Groen ist die Ausgangslage günstig. Weil De Wever auf ihrem Terrain nicht präsent ist, könnten die Grünen in einer Koalition ihre Themen setzen. Und auch, wenn De Wever hier nur Strategiespielchen spielt, hat Groen eigentlich nichts zu verlieren.
Wahlsieg als Etappe
Im frankophonen Landesteil steht die marxistische PTB im Fokus. Die Partei von Raoul Hedebouw hat am vergangenen Sonntag in den großen Städten an Sambre und Maas wohl den Durchbruch geschafft. "PS und PTB müssen verhandeln", bemerkt Le Soir auf seiner Titelseite. L'Echo vermutet dahinter aber offensichtlich eine Strategie: "Die PS will die PTB über die Macht mit dem Rücken zur Wand stellen", schreibt das Blatt.
Der eigentliche Sieger im frankophonen Landesteil, das sind aber die Grünen von Ecolo. Das gilt vor allem für Brüssel, wo es eine regelrechte grüne Welle gab. Le Soir versucht in seiner Aufmachergeschichte, den Wahlsieg zu rekonstruieren: "Wie Ecolo Brüssel erobert hat", so die Schlagzeile auf Seite eins.
Ein Sieg ist allenfalls eine erste Etappe, warnt Le Soir aber gleichermaßen Ecolo und PTB. Man muss diesen Sieg auch nach der Wahl ummünzen können. Die PTB war immer allergisch gegen die Macht. Die PS bringt die Marxisten jetzt in eine Zwickmühle: Lassen sie sich an der Macht beteiligen, dann droht die Botschaft der PTB zu verwässern. Verweigert man eine Koalitionsbeteiligung, dann geht man als populistischer Besserwisser durch, der an der Seitenlinie bleiben will.
Ecolo muss seinerseits jetzt liefern. Die lokale Ebene ist das ideale Terrain, um Veränderungen anzustoßen. Die Grünen dürfen sich hier nicht darauf beschränken zu verwalten, sie müssen gestalten.
Die Macht als Falle
Die Macht hat Ecolo nicht immer gutgetan, bemerkt auch La Dernière Heure. Man erinnere sich nur an ihre erste Regierungsbeteiligung 1999. Danach bekamen sie vom Wähler eine schallende Ohrfeige. Immer war es so, dass die hehren Ambitionen und Ideen letztlich an der Realität gescheitert sind. Für die Grünen geht es jetzt also um Glaubwürdigkeit.
L'Echo sieht da aber Grund zum Optimismus. Ein Mann wie Jean-Michel Javaux mag ein Prototyp sein. Der ehemalige Co-Vorsitzende hat als Bürgermeister von Amay gezeigt, dass man grüne Politik nicht gegen die Unternehmen machen muss, sondern Hand in Hand. Natürlich ist das ein schmaler Grat. Eine wirkliche politische Ökologie ist aber möglich, sie ist weder links noch rechts, sondern pragmatisch.
La Libre Belgique hat derweil den Eindruck, dass die traditionellen Parteien die Botschaft des vergangenen Sonntags noch nicht verstanden haben. Auf frankophoner Seite gibt es nur Gewinner. PS, MR und CDH haben es irgendwie geschafft, die Zahlen so zu drehen, dass sie die Kommunalwahlen als Erfolg verbuchen können.
Insbesondere die Liberalen scheinen nicht erkennen zu wollen, dass sie insbesondere in Brüssel eine regelrechte Klatsche kassiert haben. Sie haben nicht gemerkt, dass sich die Stadt und vor allem ihre Bewohner verändert haben. Sozialisten und Zentrumshumanisten üben sich ebenfalls in Realitätsverweigerung. Unter diesen Umständen kann es durchaus passieren, dass sich die jetzt erkennbaren Trends bei der Parlamentswahl im Mai nochmal verstärken.
Das Gespenst der Unregierbarkeit
Apropos: Einige Zeitungen blicken schon mit Sorge auf die nächste Wahl. "Das Gespenst der Unregierbarkeit geht wieder um", bemerkt etwa La Libre Belgique auf ihrer Titelseite. "Wir leben in zwei Ländern", stellt auch Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel fest. Kurz und knapp: Flandern wählt rechts, die Wallonie und Brüssel tendieren immer mehr nach links. Aus flämischer Sicht muss man feststellen: Ecolo ist nicht Groen. Die frankophonen Grünen sind wohl noch weit davon entfernt, eine Koalition mit der N-VA überhaupt nur in Erwägung zu ziehen. Umgekehrt kann man sich kaum vorstellen, dass die N-VA in ein Boot steigt mit der PS oder gar den Kommunisten. Der Rekord von 541 Tage ohne Regierung, der ist womöglich nicht für die Ewigkeit.
Vor allem die schwächelnde MR dürfte in vielen flämischen Parteizentralen für Nervosität sorgen, glaubt auch de Tijd. Die komplizierte Gemengelage könnte dazu führen, dass wir einen noch nervöseren Wahlkampf erleben werden als den letzten.
Vielleicht ist das, was in Antwerpen passiert, eine Art Laborversuch, meint sinngemäß Het Nieuwsblad. De Wever weiß, dass er Mitte nächsten Jahres im frankophonen Landesteil vor einer linken Wand stehen könnte: PS, CDH, Ecolo und PTB. Die Grünen sind da vielleicht aus seiner Sicht noch das kleinere Übel. Insofern ist sein jetziges Gesprächsangebot an die Adresse von Groen vielleicht ein erster Testlauf. Eine Schnupperrunde zwischen N-VA und Groen ist jedenfalls auch mit Blick auf 2019 nicht unlogisch.
Roger Pint